Medientagebuch: Absolut irrelevant

Nr. 16 –

Das Verschwinden von KorrespondentInnen.

Seit dem 4. April 2012 heisst das Westschweizer Verlagsimperium Edipresse «Tamedia Publications romandes». Sogar aus den E-Mail-Adressen werden die Spuren der Vergangenheit getilgt. In Zukunft möge man sich an Herrn oder Frau x.y@sr.tamedia.ch richten, kommunizierte das Zürcher Verlagshaus.

Schrumpft also die Westschweiz im kollektiven Bewusstsein der Deutschschweiz zu «sr» zusammen? Es scheint fast so. Jedenfalls, wenn man die Bedeutung der Romandie an der Zahl der KorrespondentInnen misst, die die deutschsprachigen Printmedien in die Westschweiz entsenden. Sie sei in den letzten anderthalb Jahrzehnten auf ungefähr die Hälfte gesunken, schätzt einer der letzten korrespondierenden Mohikaner in der Romandie, Christophe Büchi, zuhanden von «L’Hebdo». Das Ringier-Newsmagazin hat herausgefunden, dass nur noch 10 KorrespondentInnen aller Medien in «sr» für die Deutschschweiz arbeiten, während 21 KorrespondentInnen über Deutschschweizer Aktualitäten in die Romandie berichten. Die Sprachregion ennet dem «Rideau de Röschti» ist für die Romands offensichtlich noch nicht zu «ds» mutiert!

Es war einmal eine Zeit, da interessierten wir uns für fremde Kulturen. Je exotischer, desto besser. Von diesem Interesse profitierte auch die Romandie; unzählige KorrespondentInnen berichteten über die so ganz andere Sprachregion. Denn Anderssein war damals in. Heute ist Anderssein megaout. Nach zwei Jahrzehnten SVP-Gehirnwäsche treten in der Deutschschweiz die «anderen» im harmlosesten Fall als Profiteure, im schlimmsten Fall als das Böse schlechthin auf. Und die Romands werden als verkappte griechische Abzocker enttarnt.

Doch man täusche sich nicht. Auch «les Welsches» haben ihre heissgeliebten Feindbilder. Sie tauchen auf, wenn die Minderheit verletzt aufschreit, eben zum Beispiel, wenn Edipresse zu «Publications romandes» umgetauft wird. So konnten wir auf dem dritten Kanal des Westschweizer Radios, das neuerdings auch nicht mehr Radio Suisse Romande, sondern Radio Télévision Suisse heisst, dazu einen Humoristen hören, der uns «Alémaniques» wieder einmal sagte, was wir eigentlich sind: kleine, giftige Preussenklone, die ihre Minderwertigkeitskomplexe mit Kasernenhofgeschrei übertönen und Französisch reden wie die Nazioffiziere in schlechten französischen Spielfilmen über die Résistance.

Wenn von der Westschweiz nur «sr» bleibt, wenn immer mehr «content» zwischen den Sprachregionen hin- und hergeschoben anstatt Artikel geschrieben werden, die sich an den Besonderheiten der anderen Kultur orientieren, wenn der andere Landesteil höchstens noch mit Blood, Sex and Crime vorkommt, dann haben solche Klischees eine rosige Zukunft.

Und immer häufiger werden wir «Korris» von Deutschweizer Mainstream-ChefredaktorInnen irritiert gefragt: «Was hat dein Thema mit unserer Realität zu tun?» Wir verstehen natürlich, was gemeint ist. Nämlich: «Was verleitet dich zur absurden Annahme, dass dein irrelevantes Thema, in dem Personen vorkommen, die wir nicht kennen, sowie Probleme, von denen wir keine Ahnung haben, keine haben wollen und auch nie eine haben werden, unser Publikum interessieren könnte?»

Und so ziehen wir unseren Vorschlag beschämt zurück und ersetzen ihn durch ein Thema, das «ds» interessiert. Auch wenn es absolut irrelevant ist für das Verständnis der Westschweiz.

Helen Brügger ist Westschweizer Korrespondentin unter anderem der WOZ.