Verteilungsbericht 2012: Die Reichen bleiben reich – und glücklich

Nr. 17 –

Am grundsätzlichen Trend hat sich nicht viel geändert. Der zweite Bericht des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds über die ungleiche Verteilung der Einkommen in der Schweiz zeigt: Weiterhin fliesst immer mehr Geld zu den Reichen.

Die Schere klafft noch immer. Auch wenn uns die Economiesuisse anderes weismachen will. Anfang April veröffentlichte der Wirtschaftsverband eine Studie, aus der hervorging, dass angeblich nicht Gutverdienende, sondern mittlere und untere Einkommen von der Steuersenkungspolitik der letzten Jahre profitiert haben sollen. Einige Leute haben nachgerechnet und festgestellt, dass der Wirtschaftsverband in seiner Studie die Teuerung ausser Acht liess. Teuerungsbereinigt sieht die Sache anders aus: Die hohen und höchsten Einkommen profitierten überdurchschnittlich von den Steuergeschenken der Bürgerlichen. Zu diesem Schluss kommt nun auch der neue Verteilungsbericht des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB).

Der im vergangenen Jahr erstmals publizierte Bericht lieferte die längst fällige Analyse zur Entwicklung der Einkommensverteilung in der Schweiz (siehe WOZ Nr. 17/11 ). Ärgerlich war dabei nur, dass für die Jahre 2009 und 2010 keine Daten vorlagen. Nun sind die Zahlen verfügbar. Und viel geändert hat sich an den Tendenzen nicht.

Verglichen mit 1994 verdiente das oberste Prozent der SchweizerInnen im Jahr 2010 33 Prozent mehr, während mittlere und tiefe Löhne nur 7 beziehungsweise 9 Prozent Zuwachs verzeichneten. Oder anders ausgedrückt: Das bestbezahlte Prozent hatte 2010 rund 70 000  Franken zusätzlich – weniger gut Verdienende nur 4000. Erfreulich ist immerhin, dass sich seit 2008 tiefe bis hohe Löhne real um 2,5 Prozent erhöht haben, während die Topverdiener mit den höchsten Löhnen eine Einbusse von einem Prozent hinnehmen mussten. Doch das, so schliesst der SGB, sei keine Trendwende, sondern lediglich ein krisenbedingtes Phänomen: Schon in der Zeitspanne zwischen 1994 und 1996 sowie 2000 und 2002 wuchsen die höchsten Löhne jeweils weniger stark oder fielen leicht ab, um danach wieder weiter anzusteigen. Das hat laut SGB damit zu tun, dass es in Krisenjahren, wo die Finanzmärkte tauchen und die Banken weniger Gewinn machen, auch weniger Boni zu verteilen gibt.

Internationaler Kontext

Der Bericht zeigt auf, dass – entgegen den Behauptungen der Economiesuisse – hauptsächlich Reiche von der Steuer- und Abgabenpolitik der Bürgerlichen profitieren. Zwar sind die Löhne zwischen 2000 und 2010 in allen Lohnklassen angestiegen. Doch während der vierköpfigen Familie mit niedrigem Einkommen vom durchschnittlichen Jahreslohnzuwachs von 3900 Franken gerade mal 1300 Franken bleiben, was einem Drittel entspricht, sackt die Gutverdienerfamilie vom Lohnzuwachs von 17 200  ganze 15 000  ein – also fast neunzig Prozent (vgl. Grafik ). Bei den Einzelhaushalten haben Personen mit tiefen und mittleren Einkommen trotz Lohnzuwachs sogar weniger in der Tasche als ein Jahrzehnt zuvor – während GutverdienerInnen zwei Drittel und BestverdienerInnen gar mehr als neunzig Prozent vom Lohnzuwachs behalten können.

Die Ursachen sind bekannt: Höhere Abgaben wie Krankenkassenprämien und Sozialversicherungsbeiträge belasten die niedrigen Einkommen verhältnismässig mehr, ebenso einkommensunabhängige Steuern wie die Mehrwertsteuer oder indirekte Steuern wie die Tabaksteuer. Hinzu kommen explodierende Mieten, die in ärmeren Haushalten wesentlich schmerzlicher aufs Portemonnaie drücken als in reichen. Ein Viertel der Haushalte mit Kindern hat laut Bundesamt für Statistik zu wenig Einkommen und Erspartes, wenn unerwartete Ausgaben wie etwa eine grosse Zahnarztrechnung anfallen. Und die Zahl der jährlichen Privatkonkurse ist in den letzten zehn Jahren von 4500 auf 5700 gestiegen.

In einem zweiten Teil des Berichts skizziert der SGB unter Einbezug internationaler Studien Ursachen und Wirkungen der Lohnschere in einem grösseren Kontext, denn: Die Umverteilung von unten nach oben ist ein globales Phänomen. Während sie in Britannien und den Vereinigten Staaten bereits in den achtziger Jahren einsetzte, kam sie in Kontinentaleuropa – und somit auch in der Schweiz – erst in den neunziger Jahren so richtig zum Tragen. In einem Vergleich der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigt sich, dass die Löhne der TopverdienerInnen in der Schweiz überdurchschnittlich gestiegen sind. Doch auch bei den Schweizer Tiefstlöhnen macht sich ein Anstieg bemerkbar. Das hat laut SGB mit der starken gewerkschaftlichen Organisation in den Niedriglohnbranchen zu tun. Der Organisationsgrad ist gemäss Gewerkschaftsbund ein wichtiger Faktor, mit dem die Lohnschere verkleinert werden kann. Interessant ist dabei, dass gemäss OECD nicht überall auf der Welt die Niedriglohnbranchen am meisten von der gewerkschaftlichen Organisation profitieren – in Kanada und Japan zum Beispiel schlägt der Organisationsgrad insbesondere bei den mittleren Einkommen zu Buche. Ein weiterer Faktor, um die Lohnschere zu verkleinern, ist gemäss SGB eine gute Arbeitslosenversicherung – diese garantiere, dass Angestellte sich nicht mit schlechten Lohnangeboten zufrieden geben müssen.

Politik wirkt am stärksten

Ursachen für die globale Lohnschere sind laut den vom SGB hinzugezogenen Studien vor allem institutionell bedingt: Von Steuersenkungen profitieren die Reichen, die Armen werden mit höheren Gebühren belastet – das hatten wir alles schon. Ein weiterer Faktor ist die Privatisierung staatlicher Unternehmen, in denen MitarbeiterInnenlöhne traditionell vergleichsweise hoch und Chefsaläre verhältnismässig tief – oder eben: angemessen – waren. Zum Vergleich: Verdiente ein SBB-Geschäftsführer unter der Regie des Bundes etwa 300 000  Franken im Jahr, sind es heute über eine Million. Variable Lohnsysteme wie Boni tragen ebenfalls dazu bei, dass sich die Lohnschere öffnet – auch unter den Gutverdienenden –, während kollektive Lohnverhandlungen zu Verbesserungen für alle führen.

Kaum eine Ursache für die sich öffnende Lohnschere sind gemäss zahlreichen Studien indes Marktkräfte wie zunehmende Globalisierung, Deregulierung der Finanzmärkte oder Migration. Technologischer Fortschritt führt – wenn überhaupt – eher bei mittleren und höheren Einkommen zu einer Angleichung der Löhne. Das heisst: Die Hauptverantwortung liegt bei der Politik. Darum fordert der SGB folgende Massnahmen: die Festsetzung von berufs- und qualifikationsspezifischen Mindestlöhnen, wobei kein Stundenlohn tiefer als 22 Franken sein darf; die Abkehr der Konzerne von der Bonus-Lohnpolitik hin zu klassischen Lohnsystemen mit generellen Lohnerhöhungen sowie eine aktive Aus- und Weiterbildungspolitik für NormalverdienerInnen; und weiter eine verstärkte Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit sowie eine gerechtere, einkommensabhängige Finanzierung der Krankenversicherung. – Es wäre also nicht arg aufwendig, darauf hinzuwirken, dass sich die Lohnschere schliesst.

Verteilungsbericht 2012

Letztes Jahr hat der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) erstmals einen sogenannten Verteilungsbericht veröffentlicht. Er ist jetzt aktualisiert worden. In seiner Zusammenfassung schreibt der SGB, dass die Einkommens- und Lohnschere seit den neunziger Jahren eines der grössten wirtschaftspolitischen Probleme in der Schweiz sei. Statistisch und analytisch sei das Problem jedoch vergleichsweise schlecht aufgearbeitet. Der Verteilungsbericht schlüsselt deshalb Löhne und Vermögenseinkommen nach sozialen Gruppen auf und berechnet das Gesamteinkommen sowie das verfügbare Haushaltseinkommen. Zudem wird darin analysiert, welche Faktoren die Lohnungleichheit beeinflussen.

www.verteilungsbericht.ch