Ursula Stämmer, Luzerner Stadtpräsidiumskandidatin: An der Zitrone schrauben

Nr. 18 –

Am kommenden Wochenende wählt Luzern ein neues Stadtoberhaupt. Für die SP kandidiert die bisherige Stadträtin Ursula Stämmer. Das freut nicht alle ParteikollegInnen.

«Ursula Stämmer brauche ich Ihnen nicht gross vorzustellen», sagt der Moderator der Wahlkampfveranstaltung bei der Vorstellungsrunde. Tatsächlich bringt die 53-jährige SP-Politikerin Ursula Stämmer viel Erfahrung auf der Luzerner Politbühne mit. Seit zwölf Jahren schon ist sie im Luzerner Stadtrat, verantwortlich für die Sicherheitsdirektion, seit 25 Jahren ist sie Mitglied der SP. Aktuell ist sie Vizepräsidentin der Stadt Luzern. Am kommenden Wochenende will sie Präsidentin werden

Vor ihrer politischen Karriere schlachtete Stämmer Kaninchen. Mit Anfang zwanzig lebte sie auf einem Bauernhof, war weitgehend selbstversorgend und ernährte sich von Hühnern und Kaninchen aus eigener Zucht. Gleichzeitig absolvierte sie eine Ausbildung zur Pflegefachfrau. «Die Schwester, Ursula, ist die Dienerin des Arztes», sagte man ihr damals. Ein Satz, der sie prägte. Nicht dienen wollte sie, sondern leiten. Nach der Ausbildung machte Stämmer eine Managementweiterbildung an der höheren Fachschule in Bern.

Ihr politisches Vorbild ist Josi Meier, die vor sechs Jahren verstorbene Luzerner Christdemokratin. Meier sei eine starke Frau gewesen, eine, die sich eingemischt habe. Stämmer mag Frauen, die es zu etwas gebracht haben. So erhält auch Magdalena Martullo-Blocher, Chefin der Ems-Chemie und Tochter von SVP-Nationalrat Christoph Blocher, «ihren vollen Respekt». Dass sich Josi Meier parteipolitisch anders positionierte, stört sie nicht. Sie sei in den zwölf Jahren in der Exekutive pragmatischer geworden.

Niemanden vor den Kopf stossen

Und sie weiss: Will sie die erste sozialdemokratische Luzerner Stadtpräsidentin werden, dann muss sie auch bürgerliche WählerInnen von sich überzeugen. Das linke Wählerpotenzial liegt in Luzern derzeit bei rund 35 bis 40 Prozent, zu wenig, um gewählt zu werden. Oft rettet sie sich in öffentlichen Diskussionen deshalb ins Allgemeine – bloss niemanden vor den Kopf stossen.

Das zeigt sich an ihrer Rhetorik: Je nachdem, mit wem sie spricht, betont sie das Wort «moderat» oder das Wort «Steuererhöhung». Befragt man sie zum Reizthema «Sparen», findet sie manchmal, «wir müssen wahrscheinlich an gewissen Standards schrauben», dann wieder, «die Zitrone ist ausgepresst», je nach Publikum. Bei unangenehmen Fragen macht sie bei ihrer Antwort oft eine Klammer auf, ohne sie je zu schliessen. Oder sie wirft die Frage anderen zu wie eine heisse Kartoffel, an der sie sich nicht verbrennen möchte. «Wohin mit dem Strassenstrich, Frau Stämmer?» – «Das soll das Parlament entscheiden.» – «Braucht es in Luzern ein Dreispartentheater, Frau Stämmer?» – «Fragen Sie das die Kulturschaffenden.»

Der verhängnisvolle Polizeieinsatz

Stämmers «Pragmatismus» überzeugt nicht alle ihre ParteikollegInnen. Der SP-Kantonsrat und Präsident der nationalen Juso, David Roth, beispielsweise findet linke Anliegen im Stadtrat durch Stämmer zu wenig gut vertreten. Seine sachpolitischen Differenzen mit Stämmer, sagt Roth, lägen im Kleinen: Stämmer will im Gegensatz zu ihm mehr Geld in den Strassenbau investieren. Sie findet, dass Bahnfahrende höhere Billettpreise bezahlen sollen, und setzt sich für eine Videoüberwachung und den Wegweisungsartikel ein. Doch gerade auf kleine Unterschiede, sagt Roth, komme es auf lokaler Ebene eben an.

Die Luzerner JungsozialistInnen haben an ihrer Delegiertenversammlung im Januar sogar beschlossen, Stämmer nicht auf ihre Wahlliste zu setzen. Bei den Grünen, die gemeinsam mit der SP Wahlkampf machen, sind ebenfalls kritische Stimmen zu hören.

Spricht man Stämmer – abseits vom Podium – auf die Wahlliste der Luzerner JungsozialistInnen an, gibt sie sich enttäuscht. Vieles hätte sie mit den jungen Linken gemeinsam, sie bedaure es, dass die Juso ihre Kandidatur nicht unterstütze. Den Grund für das «zerrüttete Verhältnis» sieht Stämmer in einem Polizeieinsatz, den sie als Sicherheitsdirektorin zu verantworten hatte. Mehr als vier Jahre ist dieser Einsatz nun her, bei dem Stämmer eine unbewilligte Demonstration von jungen Linken auflösen liess. Blickt sie heute auf «den Vorfall» zurück, bedauert sie ihn – weiss aber nicht, was sie anders hätte machen sollen. Kein anderes Ressort ist für SP-VertreterInnen so schwierig wie die Sicherheitsdirektion. Stämmer wusste, dass ihr das Amt bei den GenossInnen nicht nur Lob einbringen würde.

Aber ihr politisches Engagement höre ja nicht bei der Sicherheitspolitik auf, betont sie. Sie stehe auch für eine offene Aussenpolitik, sie wolle einen Mindestlohn und plädiere für eine Steuererhöhung. Sie sei, sagt Stämmer im persönlichen Gespräch über sich, von Herzen Sozialdemokratin. Den Kapitalismus abschaffen, nein, das wolle sie allerdings nicht.