Luzern: Die Wiederentdeckung der Basis
Die SP Luzern wächst, gründet neue Sektionen und feiert Wahlerfolge, zuletzt am vergangenen Wochenende in der Stadt Luzern. Einer der Schlüssel für diesen Aufwärtstrend ist die von der Mutterpartei entwickelte Basiskampagne.
Die sozialdemokratischen Parteien der Innerschweiz schwächeln. Nicht aber in Luzern. Im grössten Kanton der Gegend eilten die SozialdemokratInnen im vergangenen Wahljahr von Erfolg zu Erfolg. Die SP holte den höchsten WählerInnenanteil bei den Kantons- und Nationalratswahlen der letzten Jahrzehnte. Und dieses Wochenende nun ein Höhepunkt in der Stadt Luzern: SP-Mann Beat Züsli verdrängte einen CVPler aus dem Stadtpräsidium und setzte sich damit gegen einen «bürgerlichen Schulterschluss» durch. Eine kleine Sensation, die manche historisch nennen: Zum ersten Mal in der Geschichte Luzerns führt ein Sozialdemokrat die Stadtregierung an.
Im Stadtparlament hat die SP bereits in den nuller Jahren die Liberalen als stärkste Kraft abgelöst, seither stellt sie die grösste Fraktion. Am Wochenende legte sie nun auf Kosten der CVP zwei weitere Sitze zu. Ein Linksrutsch ist das zwar nicht, aber in der kommenden Legislatur ist sie zusammen mit der GLP in ökologischen, verkehrs- und energiepolitischen Belangen in Parlament wie Stadtregierung mehrheitsfähig.
Über 500 Treffen
Aber im Kern geht es nicht um Ämter und Mandate, es geht um Beteiligung an Politik, um Vernetzung Gleichgesinnter, um Impulse von der Basis. Erfolgreich vorgemacht hatte es Paul Rechsteiner in St. Gallen bei seinem vor acht Jahren geführten, scheinbar aussichtslosen Wahlkampf um einen Sitz im Ständerat. Seine Wahlkampagne setzte auf den direkten Kontakt auf der Strasse. Sie löste eine Bewegung über Parteigrenzen hinweg aus, inspirierte Menschen zu spontanen Aktionen und ermöglichte einen sensationellen Wahlsieg eines dezidiert Linken in einem Kanton, den die Bürgerlichen traditionell fest im Griff hatten.
Ein Schlüssel des aktuellen Erfolgs ist die von der SP Schweiz (SPS) konzipierte «Basiskampagne». Für das Wahljahr 2015 schrieb sie an einem Drehbuch, das ihre «einfachen» Mitglieder wieder ins Boot holen sollte. Zunächst trafen sich CampaignerInnen mit SektionspräsidentInnen, KandidatInnen und weiteren engagierten Personen in der ganzen Schweiz und diskutierten mit ihnen den bevorstehenden Wahlkampf. In einem weiteren Schritt luden diese Leute Basismitglieder aus ihren Sektionen und Bekannte zu sich nach Hause ein. Über 500 solche Treffen fanden alleine in der Deutschschweiz statt. In einem dritten Schritt kontaktierten diese wiederum weitere Basismitglieder telefonisch. Und schliesslich halfen so sämtliche «aktivierten» SP-Mitglieder im Wahlkampf mit. Mindestens 5000 Leute engagierten sich in der heissen Phase der Wahlausmarchung.
«Ihr seid wichtig»
«Wir bieten eine Plattform für politisches Engagement, und das kommt gut an», sagt Marco Kistler, Leiter der Abteilung Bewegung bei der SP Schweiz und verantwortlich für die Basiskampagne. Die Feuertaufe erlebte die Kampagne in einem Pilotversuch bei den Kantonsratswahlen in Luzern und Zürich. Es funktionierte. In beiden Kantonen legte die SP zu. Auch wenn sie in Luzern eine bittere Pille schlucken musste: Sie verlor nach über fünf Jahrzehnten ihren Regierungsratssitz. Doch für die SP war klar: Wahlkampf via Social Media oder Appelle via E-Mail reichen nicht. Die Partei hat den direkten Kontakt mit ihren Leuten und der Strasse wiederentdeckt.
Vor allem dank Leuten wie Lluvia Mosquera. Noch vor einem Jahr war die 36-jährige Kulturaktivistin und Marketingfachfrau eine im alternativen Kulturkuchen gut vernetzte Linke ohne Parteibuch. Heute blickt sie auf ein Jahr als Campaignerin und multiple SP-Kandidatin zurück.
Kantonalparteipräsident David Roth hatte sie auf einer Geburtstagsparty angesprochen und ihr gesagt, sie wäre doch eine ideale Besetzung. Sie ging auf das Angebot ein, setzte das von der SPS konzipierte Drehbuch mit um und passte es «marginal» den Luzerner Verhältnissen an. «Wir haben Leute miteinander vernetzt, wir haben Wahlkampfklassiker wie Plakatkampagnen und Standaktionen zusammen mit der Basis organisiert», sagt Mosquera. Sie kandidierte schliesslich auch auf der Kantonsrats-, Nationalrats- und Stadtparlamentsliste.
Ausdruck der Basisbewegung ist auch das Listenprozedere. Anders als beispielsweise in Zürich, wo die Besetzung der Listenplätze einer kleinen Wissenschaft gleicht und wo mit harten Bandagen um aussichtsreiche vordere Plätze gekämpft wird, listete die Stadtluzerner SP die KandidatInnen alphabetisch auf. «Auch das eröffnet Möglichkeiten für aktive Basismitglieder und signalisiert ihnen: Ihr seid wichtig», sagt Lluvia Mosquera.
Jung, Alt, Stadt, Land
Inzwischen zählt die SP Luzern beinahe tausend Mitglieder. Es ist der grösste Mitgliederzuwachs in der jüngeren Geschichte der Partei. Den Beitritt erklärten sowohl Junge als auch über Siebzigjährige, in der Stadt wie auf dem Land.
So gründete die SP im März und im Mai in Neuenkirch und in Mauensee neue Sektionen. An der Gründungsversammlung in Neuenkirch waren siebzig Leute zugegen. Fünf Tage später trat die SP bei den Schulpflegewahlen gegen den SVP-Ortsparteipräsidenten an und gewann. Das will etwas heissen in einem Kanton, der durch einen starken Stadt-Land-Gegensatz geprägt ist. Die Basiskampagne war auch in anderen Kantonen ein Erfolg (in Basel-Stadt «aktivierte» die neue Strategie gut vierzig Prozent der Mitglieder), hat Bewegung in die SP gebracht und soll weitergeführt werden. «Wir sind nicht bloss ein Wahlverein, der sich alle vier Jahre an seine Mitglieder wendet und sie dann wieder vergisst. Wir wollen eine breit abgestützte politische Bewegung mit starken, aktiven Sektionen vor Ort sein. Das ist der Sinn und Zweck der Basiskampagne, die wir weiterführen möchten», sagt Chef-Campaigner Marco Kistler.
Aufbruch und Zuversicht
Trotz dieses Aufwärtstrends wachsen in Luzern die Bäume für die Linken nicht in den Himmel. Im Kantonsparlament, wo gerade über das grösste Sparpaket der Kantonsgeschichte beraten wird – 330 Millionen Franken sollen über drei Jahre eingespart werden –, hält die SP gerade einmal 16 von 120 Sitzen und bleibt wohl noch lange in der Oppositionsrolle marginalisiert. Aber die neuen Kräfteverhältnisse in der Stadt Luzern stimmen zuversichtlich. Die Linke hat dort bereits 2012 mit einer Initiative gepunktet: Von jährlich etwa 300 neu gebauten Wohnungen in der Stadt muss künftig ein Drittel die Bedingungen des gemeinnützigen Wohnungsbaus erfüllen. Mit unterstützt hat die Partei zudem die erfolgreiche Initiative «Ja zu einer lebendigen Industriestrasse», die zur Rettung von alternativem Wohn-, Kultur- und Gewerberaum beitrug.
Beat Züsli, der neue Stadtpräsident, sagt: «Wir haben nicht nur geredet, sondern Angebote gemacht, und die Bevölkerung hat uns unterstützt.» Das gelte zum Beispiel auch für die autofreie Bahnhofstrasse entlang der Reuss, die jetzt etappenweise realisiert werde. «Das war wahrscheinlich auch Teil unseres Wahlerfolgs. Wir sind glaubwürdig», sagt er.
PS: Nicht erst die Basiskampagne hat die Luzerner Linke aktiviert. Im konservativen Kanton ist seit Jahren eine dezidiert linke und aufsässige Juso am Werk, ein politischer Talentschuppen mit rund 200 Mitgliedern. David Roth, nicht bloss Apparatschik, sondern ein bunter Hund, der sich auch ausserhalb von parteipolitischen Zusammenhängen bewegt, ist bekanntlich ein Juso-Gewächs. Er sitzt inzwischen im Kantonsrat, führt die kantonale Partei und pflegt weiterhin einen angriffigen Stil. Auch das bekommt den Luzerner SozialdemokratInnen offensichtlich gut.