Fumoir: Der Zahn der Zeit
Reale und surreale Idole
Nachdem ich in der sechsten Klasse alle «Susanne Barden»-Krankenschwesterromane verschlungen hatte und auch den Stewardessschwärmereien entwachsen war, lechzte ich nach härterem Stoff zur Erfüllung meiner Sehnsüchte. Im Englischunterricht hielt ich einen Vortrag über Angela Davis und Malcolm X, doch schwante mir, dass mein Identifizierungsversuch mit den Black Panthers vielleicht etwas gar weit hergeholt sei. Bald darauf rissen mich die zwei Kultfilme «If» und «Easy Rider» aus dem Kinosessel, aber da in beiden Geschichten die Rebellion mit einer blutigen Abrechnung endete, liessen sie mich verstört zurück.
Als dann die Proteste gegen den Vietnamkrieg der mutigen, klugen und schönen Jane Fonda und dem charismatischen Rudi Dutschke eine Bühne boten und die Mittelschichtkids den Aufstand probten, rückten die potenziellen Idole meiner Realität ein bisschen näher. Zwar musste bei uns niemand in den Dschungelkrieg, aber an den Mittelschulen und Unis, im Elternhaus und in den Beziehungen begann ein Streiken und Protestieren, das einfach cool und fortschrittlich war und alle mitriss, die damals nicht völlig bescheuert waren.
Frisch und orientierungslos an der Uni Zürich machte ich mich auf die Suche nach einem Dutschke-Pendant. In einem Marx-Engels-Proseminar geriet ich an Andi Gross, der in der Studentenschaft und bei den Jusos aktiv war, aber die Chance verpasste, mein revolutionäres Feuer zu entfachen, weil er schusselig war und immer wieder vergass, mich an eine der häufigen Versammlungen einzuladen. Es zog mich dann in feministische Gruppen und zu den antimilitaristischen Virus-Frauen, meine ganz realen Idole hiessen nun Madeleine Marti, Lotta Suter und Chrig Perren, sie konnten klug argumentieren und trauten sich, in Seminarien oder bei Demonstrationen ihren Standpunkt zu vertreten und freche Reden zu halten.
Von einem Thomas Held hatte ich damals nie etwas gehört, er war wohl vor meiner Zeit, doch irgendwann besetzte er die Rolle des Schweizer Vorzeige-Achtundsechzigers, er hatte schliesslich eine Lederjacke, lange Haare sowie eine Dissertation über Machtverhältnisse in der Ehe vorzuweisen. Doch dann erfand er sich neu, schloss sich in den achtziger Jahren der Kirche des freien Marktes an und kürte seine Karriere als neoliberaler Direktor der Denkfabrik Avenir Suisse.
Jane Fonda begeisterte mich in «Klute» und der bösen Vietnam-Abrechnung «Coming Home», später nervte sie mit ihrem millionenschweren Aerobics-Business, und heute erklärt mir die unterdessen 74-Jährige im Fernsehen, wie einfach und sinnvoll es doch sei, ewig jung auszusehen, «weil Sie es sich wert sind». Die Frau wurde sorgfältiger restauriert als die Sixtinische Kapelle, Zeitaufwand und Mittel müssen gigantisch sein, bis die Werbung im Kasten ist. Thomas Held ist zwar erst 66, aber an ihm hat der Zahn der Zeit sichtbarer genagt. Beide haben sie ein Rezept gefunden gegen zu viele Denkfalten: einfach immer unbeirrt die gleiche Botschaft verkünden und sich dafür gut bezahlen lassen. Bei Fonda die von L’Oréal, bei Held diejenige Reagans und Thatchers. Fondas Rolle ist so einfältig, dass sie mich traurig macht, doch Held schafft es gelegentlich noch, mich zu ärgern mit seinen Kolumnen im «Magazin», etwa wenn er gegen die Energiewende wettert und behauptet, es würde Vermögen zerstört, wenn wir den noch funktionierenden Kühlschrank via staatlichen Druck durch einen energiesparenden ersetzen.
Seis drum. Meine realen HeldInnen haben Denkfalten, sparen Strom und versuchen nicht, mich für dumm zu verkaufen.
Ruth Wysseier ist Winzerin und WOZ-Redaktorin.