Roy and the Devil’s Motorcycle: Mit dem pinkfarbenen Cadillac ins All

Nr. 20 –

Seit über zwanzig Jahren drehen die Gebrüder Stähli aus Oberdiessbach bei Thun als Roy and the Devil’s Motorcycle ihre Kreise im Space-Rock-Kosmos. Mit «Tell it to the People» haben sie ein Album geschaffen, «in dem alle Partikel durcheinandertanzen».

Von Oberdiessbach nach Paris: Auftritt der Stähli-Brüder im April 2012.

Das Feedback setzt an, dreht Schlaufen und lauert durchgehend im Hintergrund. Eine Trommel gibt den Puls an, ehe an der akustischen Gitarre eine listige Bluesminiatur gezupft wird und der besungene pinkfarbene Cadillac langsam ins Soundweltall entgleitet: in den Raum, den Roy and the Devil’s Motorcycle auf ihrem dritten Album, «Tell It to the People», öffnen.

«Wir sind eine Band, die einfach spielt», sagt Markus Stähli, einer von drei Gitarrenbrüdern, die die Band bilden. Seit über zwanzig Jahren existieren Roy and the Devil’s Motorcycle, und in all den Jahren folgten Christian, Markus und Matthias im Verbund mit wechselnden Schlagzeugern (aktuell Alain Perret-Gentil, der ehemalige Sänger der Bieler Garage-Combo The Come N’ Go) ihrem eigenen Rhythmus, fern aller Trends. Die Brüder expedierten hin zum Geisterblues, streiften den traditionellen Hinterwäldlerfolk, lärmten zu Beginn extrem rudimentär, mit den Jahren zunehmend radikaler – und zuletzt, auf dem Album «Because of Women» (2006), auch erdiger.

Befreiter Lärm aus dem Kaff

Oberdiessbach bei Thun ist die Heimat der Stählis, ein Kaff im Bermudadreieck zwischen Berner Oberland, Emmental und der Autobahn, das sie mittlerweile verlassen haben. Und wahrscheinlich ist eine Band wie diese nur in der Provinz möglich: «Die Leute probieren im Kaff, sich selber zu helfen. In der Stadt orientiert man sich schneller an dem, was läuft», sagt Markus. Und wahrscheinlich hätte man sich auch früher aus den Augen verloren.

Immerhin gab es einen ehemaligen Jugendkulturkeller in Oberdiessbach. Und dort probten die drei, nachdem Matthias, der Älteste, seine beiden jüngeren Brüder rekrutiert und ihnen eine Gitarre umgehängt hatte. Später dislozierte die Band nach Thun, ins mittlerweile abgerissene Selve-Areal, wo sie den Übungsraum mit der Avantgardeband Alboth! teilten.

Aus dem Jahr 1991 stammt ein erstes, rudimentäres Demotape, das dieses Jahr wieder aufgetaucht ist: «Wild Primitive Teenage Rock ’n’ Roll» verspricht diese Kellerkassette, die die Radikalität des ersten wichtigen «Roy»-Werks «Forgotten Million Sellers» noch nicht erahnen lässt. 1997 als allererste Platte überhaupt auf Voodoo Rhythm, dem Musiklabel des Berners Reverend Beat-Man, erschienen, klingt dieser 35-minütige Freakout immer noch frisch. Befreiter Noise, übersteuerter Acid-Rock, explodierender Blues, wie ihn zu dieser Zeit die US-amerikanische Band Jon Spencer Blues Explosion zelebriert hat, beseelter Gospel, Stimmen aus dem Äther: Hier ist das am besten zu hören, was gemäss Markus Stähli den Witz des Rock ’n’ Roll ausmacht: «Die eine Seite ist die Musik, ist das Amüsement, die andere ist die lauernde Gefahr, und du weisst nicht, was dich erwartet.»

Die üblichen Rockbandhierarchien sind bei den Roys ausgehebelt – zumindest auf der neuen Platte, die im eigenen Übungskeller in einer alten Käserei in der Seeländer Gemeinde Epsach entstanden ist: «Wie im Universum, in dem alle Partikel durcheinandertanzen» wirke ihr drittes Album «Tell It to the People» zeitweise, so Markus: «Meine Idee war, dass das Album offen ist und den Zuhörern Platz bietet.»

Ein Feedback, das spult und spult

Viel Platz gibt es auf «Tell It to the People» fürwahr: Da ist etwa die Interpretation von «Will the Circle Be Unbroken», einem Traditional. Nur die Stimme von Christian fliegt durch diesen kosmischen Soundnebel aus echoenden Mundharmonikas und klackenden und wabernden Gitarrendrones, ganz ohne Schlagzeug. Da ist das psychedelische «Piggy Bank»: Die einzelnen Soundelemente rennen gegeneinander an, und der rechte Kanal weiss scheinbar nicht, was im linken geschieht.

Da sind aber auch zugespitzte Attacken wie «I’m Alright», in dem Free-Bläser Hans Koch die Kakofonie verstärkt – und die Musik um ein weiteres, freies und lautes Element anreichert. Die Musik auf dem Album unterscheidet sich stark von dem, was Roy and the Devil’s Motorcycle auf Konzerten spielen: Aufnehmen, das sei keine Bandangelegenheit, sagt Markus. Und so gab es im Studio auch nicht eine einzige festgelegte Arbeitsweise, zumal die Band reichlich desorganisiert sei – was sich auch in der Vielfalt ihrer Einflüsse widerspiegelt: Viel Reggae und Dub, etwa die Produktionen des Londoner Labels OnU-Sound, habe man während des Aufnahmeprozesses gehört, oder die beunruhigende Leere im Sound der britischen Band Talk Talk. Ein weiterer wichtiger Bezugspunkt – weniger für seine Brüder, aber zumindest für Markus selbst, ist der vor zwei Jahren verstorbene US-amerikanische Singer-Songwriter Alex Chilton, der etwas auf den Punkt bringen und gleichzeitig demontieren konnte.

Auf dem Punkt und doch wacklig sind auch Roy and the Devil’s Motorcycle: «Was machen wir da überhaupt?», fragen sich die Brüder immer wieder. «Doch es geht immer irgendwie weiter», sagt Markus. Immer weiter fliegt auch dieses so detailreiche Album, ehe ein Brunnen minutenlang vor sich hin plätschert, Vögel zwitschern und zum finalen «Henry’s Blues» angesetzt wird. Nur das Feedback, das lauert und lodert und spult im Hintergrund weiter. Immer weiter.

«Tell It to the People» und «Forgotten Million Sellers» (Re-Issue) sind beide bei Voodoo Rhythm erschienen.

Roy and the Devil’s Motorcycle treten im Rahmen des Aufeinandertreffens der zwei Labels Voodoo Rhythm und A Tree in a Field Records auf (unter anderem mit Papiro, Combineharvester, Fai Baba und Heart Attack Alley) in: Bern, Dachstock der Reitschule, Samstag, 19. Mai 2012, 22 Uhr.