Labelporträt: Geistergeschichten aus einer rauen Vergangenheit

Nr. 16 –

Das Lausanner Label Three Four Records veröffentlicht seit acht Jahren Musik, die den Raum zwischen Ambient, Drone-Experiment und Song ausmisst. Nur weiss das hierzulande noch fast niemand.

Trance im Kopf und auf der Tanzfläche: Das Trio La ­Tène ist eine der aussergewöhnlichen Bands auf Gaëtan Seguins Label Three Four Records. Foto: Cyril Vandenbeusch

Der Soundcheck dauert noch ein wenig länger, hier im Konzertclub Bad Bonn im Deutschfreiburgerland, der einem Zufluchtsort am Ende der Welt gleicht. Es scheint noch ein Monitorproblem zu geben. Zeit für die drei Musiker der Band La Tène, eines ihrer repetitiven Stücke anzuspielen. Mit Harmonium, Hurdy-Gurdy-Drehleier, Schlagzeug und einigen elektronischen Geräten scharren die Genfer nach einer mysteriösen und gut vergrabenen Zeitschicht, in der sie eine rituelle und tribalistische Musik entdecken. Sie kann das Publikum in einen tranceartigen Zustand versetzen, wenn sie denn verfängt. Das war an diesem Ort schon einmal der Fall: An der letzten Bad-Bonn-Kilbi wurden La Tène zur euphorisch betanzten Entdeckung des Festivals.

Im Konzertraum wartet auch Gaëtan Seguin, vom Typ her ein herzlicher und bescheidener Musikfan. Seguin veröffentlichte das Debüt von La Tène auf seinem Label Three Four Records. Vor acht Jahren hat der heute 36-Jährige mit seinem Label begonnen, damals noch gemeinsam mit einem Freund aus Paris. «Wir wollten keine neuen Alben veröffentlichen, sondern Splitsingles mit zusätzlichen Songs von Bands, die bereits bei anderen Labels unter Vertrag sind», erinnert er sich an die Anfangstage.

Es war meist instrumentale Musik zwischen Ambient und Rock, zwischen Drone und Noise, eingespielt von KünstlerInnen aus dem französischen und US-amerikanischen Underground. Eine Musik sicherlich, die jenseits von Pop anzusiedeln ist und die doch zu melodiös ist, um in die Rausschmeisserklammer «experimentell» zu passen. «Die Musik, die ich höre und veröffentliche, ist nicht besonders experimentell», sagt Seguin. Er nennt US-Indie-Labels wie Kranky, Bluesanct oder das belgische Kassettenlabel Morc Tapes als Vorbilder – lauter Klein- bis Kleinstbetriebe mit Do-it-yourself-Ethos und einem Sound, der nicht gerade lichtdurchflutet ist. So wie jener von Three Four? – «Ja, zu Beginn war die Musik schon ziemlich kalt und dunkel.»

Als Vinyl noch billig war

Sowieso stand damals ein Medium im Mittelpunkt: das Vinyl. 2009 setzten nur Nischenlabels auf die Schallplatte, die Produktion war einigermassen billig und unkompliziert. Die Zeiten haben sich bekanntlich geändert: «Sehr viele Bands veröffentlichten damals gar kein Vinyl mehr, heute wird jede Musik auf Platte gepresst.» Selbst dann, wenn sie nicht zum analogen Medium passt. So ist es für kleine Labels schwieriger geworden, Vinyl zu veröffentlichen, denn die Presswerke sind durch die erhöhte Nachfrage der Industrie am Anschlag, die Produktion ist dadurch zeitaufwendiger und auch teurer geworden. «Unsere Nische ist ein Stück weit zerstört», fügt Seguin an.

Gleichzeitig hat sich das Profil seines Labels geschärft. Neben den Splitsingles erschienen nach und nach auch eigenständige Alben auf Three Four Records. Neue Verbindungen ergaben sich, dank der grossartigen Compilation «Your Victorian Breasts» beispielsweise nach Portugal. Dort traf Seguin auf die Gitarristen Filipe Felizardo und Norberto Lobo, die in der Folge einige der markantesten Alben zum Labelkatalog beisteuerten, etwa «The Invading Past and Other Dissolutions» (2015), das Felizardo mit schwer verzerrter Gitarre in einem Haus in der südportugiesischen Einsamkeit eingespielt hat: eine erdenschwere und auch solitäre Musik, deren bester Freund das Feedback aus dem Verstärker ist.

Näher beim Song und enger der instrumentalen Fingerpicking-Tradition des Gitarristen John Fahey verhaftet war Norberto Lobo – bis er auf seinem aktuellen Album «Muxama» (2016) neue Techniken ausprobiert hat. In den kurzen Songs moduliert und manipuliert und schichtet er die Töne seines Instruments, bis sich die Zeit zerdehnt. Wo wir hier sind? Sicherlich nicht in einer Stadt und auch nicht unbedingt in der Gegenwart, aber an einem Ort, wo Geschichten erzählt werden, die von Geistern aus einer rauen Vergangenheit belebt sind.

Wachsende Aufmerksamkeit

Was derzeit auf dem Label geschieht? Nach der erzählerischen Soloplatte «Nowruz» des Schlagzeugers João Lobo ist Ende März ein Album der Band Oba Loba erschienen, auf dem die beiden Lobos (die nicht miteinander verwandt sind) ihre expansive Spielart des Jazz vorstellen. Trotz wachsender Aufmerksamkeit ist die Zukunft des Labels offen. «Seit letztem Jahr entdecken und durchstöbern die Leute den Three-Four-Katalog. Das ist der Grund, warum ich weitermache», erzählt Gaëtan Seguin, der im Alltag als Hydrologe in Genf arbeitet. Kürzlich habe er ein Konto eröffnet und etwas Geld eingezahlt. «Wenn das aufgebraucht ist, höre ich auf.» Wie lange das Geld reicht? «Acht bis zehn Alben werden mit Sicherheit noch folgen.» Es sei denn, Three Four würde doch noch Ziel eines unwahrscheinlichen Hypes.

Zurück in Bad Bonn legt Seguin jetzt Platten aus dem Labelkatalog auf: Synthetische Drones treffen auf windschiefe Gitarrenminiaturen, ehe La Tène mit ihren eigentümlichen Instrumenten übernehmen. Die Trance findet diesmal im Kopf statt.

www.three-four.net