«Demokratie lernen»: Einfach revolutionär

Nr. 21 –

Man mag Günter Grass als Alterslyriker womöglich nicht so schätzen, dafür hat er insgesamt fünf Stiftungen begründet, die Schriftstellerinnen, Künstler, politische Aktivistinnen und Wissenschaftler auszeichnen und fördern. Letztere durch den neu gestifteten August-Bebel-Preis. Der erste Bebel-Preis ist 2011 an Oskar Negt gegangen. Negt, 1934 geboren, von 1970 bis 2002 Professor für Soziologie in Hannover, hat vielfach zur Geschichte der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften, zur Demokratietheorie und Bildungsarbeit publiziert, darunter mit Alexander Kluge das monumentale «Geschichte und Eigensinn» (1981) über 2000 Jahre menschlicher Fähigkeiten und Tätigkeiten.

Das Buch zur Preisverleihung enthält neben einer kurzen Rede von Grass sowie Beigemüse der VeranstalterInnen eine Laudatio von Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der «Süddeutschen Zeitung», und die Dankesrede von Oskar Negt. Prantl betont zu Recht, dass Negt seine linke Theorie immer mit der Praxis der Gewerkschaften zu verbinden suche, dabei «Klassendenken mit Klassenleben» zusammenbringen wolle. Und weiter: «Der demokratische Sozialismus ist für ihn kein akademisches Schachspiel, sondern ein Gestaltungsprinzip für eine gerechtere Gesellschaft.»

In seiner Antwort skizziert Negt zuerst die Bedeutung von August Bebel, dem Gründer der SPD, dessen «Umsetzung des Möglichkeitssinns» ein ebenso praktisches wie radikales Prinzip sei. In Bebels Nachfolge nennt sich Negt einen «konstitutionellen Sozialdemokraten», was auch heisst, innerparteilich einen Pluralismus der Positionen zuzulassen. Aber die Demokratie bleibt mit einer grösseren Hoffnung verbunden. Die allerdings anders gedacht werden muss als früher: «Wir müssen einfach einen revolutionären Prozess fördern, der die Lebensverhältnisse der Menschen ergreift, sodass Fortschritt in diesem Sinne eben nicht mehr direkt mit politischen Siegen verknüpft ist.» Wobei «einfach» hier wohl meint: selbstverständlich, zwangsläufig. Was nicht einfach ist. Immerhin: Negt hat dazu theoretische Instrumente und praktische Beiträge geliefert.

Manfred Bissinger (Hrsg.): Demokratie lernen. Zur Verleihung des 
August-Bebel-Preises an Oskar Negt. Steidl Verlag. Göttingen 2012. 80 Seiten. 10 Franken