Durch den Monat mit Veronika Jaeggi (4): Frau Solothurn, wann haben Sie eigentlich eine Minute Zeit?

Nr. 21 –

Am Sonntagnachmittag, in den letzten Stunden als Geschäftsführerin der Solothurner Literaturtage, hat Veronika Jaeggi für ein Gespräch schlicht keine Zeit. Dafür würdigen sie mehr oder weniger zufällig anwesende Dichter, Kritikerinnen und Literaturvermittler.

«Nein, keine Zeit – und nachher muss ich aufräumen»: Veronika Jaeggi vor dem Künstlerhaus S11, in dem noch bis 26. Mai die Ausstellung «Wortfluss» von Blanc de Titane zu sehen ist.

WOZ: Da sind Sie ja! Veronika Jaeggi, alles bestens?
Veronika Jaeggi (vor dem Landhaus): Es ist ein Gniet – aber hoffentlich nur für mich, nicht für die anderen. Das ist übrigens Züsi Born, meine treue Mitarbeiterin über all die Jahre. So, jetzt müssen wir aber gehen.

Haben Sie nachher noch ein wenig Zeit für ein kleines Gespräch, nur ein paar Minuten?
Jaeggi (steht auf): Nein, nachher muss ich abräumen. (Schon ist sie verschwunden. Am gleichen Tisch sitzt Donal McLaughin, ein schottischer Autor, der derzeit die Mundarterzählung «Der Goali bin ig» von Pedro Lenz in einen Glasgower Dialekt übersetzt.)

Donal McLaughin: A great woman! (Nun kommt der Dichter Raphael Urweider aus dem Landhaus und zündet sich eine Zigarette an.)

Und Sie, Herr Urweider, was halten Sie von Veronika Jaeggi?
Raphael Urweider (leuchtende Augen): Sie ist und bleibt für mich «Frau Solothurn». Als ich vor Jahren erstmals in Solothurn war, damals nur als Zuhörer einer Lesung meines Kollegen Lukas Bärfuss, hat sie mich spätabends gefragt: «U du, bruchsch no es Hotelzimmer?» Dann hat sie mir das subito organisiert und auch noch eine Flasche Wein in einem Plastiksack mitgegeben: «Damit es beim Einchecken nicht so inoffiziell aussieht.»

Und heute sind Sie ganz offiziell hier, als Autor, als Mitglied der Programmkommission, als Moderator …
Urweider (nickt): Und dass es mir hier so gefällt, hat vor allem mit Vrony zu tun. Sie ist einer der demokratischsten Menschen, die ich kenne. Und dann hat sie auch noch ein phänomenales Gedächtnis! (Aus dem Landhaus ist Applaus zu hören. Wenig später strömen weitere Leute aus dem Haus. Der Literaturkritiker Beat Mazenauer steht vor der Tür.)

Herr Mazenauer, können Sie noch ein paar Worte zu Veronika Jaeggi sagen?
Mazenauer (leuchtende Augen): Vrony! Veronika Jaeggi kann wie nur wenige Leute einer Sache eine Richtung geben – und das, ohne dass es auffällt. Sie hat eine ganz diskrete Kraft, etwas aktiv in eine Form zu lenken. Sie hat hier immer alles zusammengehalten. Sie war nie nur ein Ausführungsorgan, sondern hielt sich immer diskret im Hintergrund – und plötzlich stand etwas Schönes auf dem Tisch! (Der Dichter Pedro Lenz kommt aus dem Landhaus und zündet sich eine Zigarette an.)

Herr Lenz, was halten Sie von Veronika Jaeggi?
Pedro Lenz (leuchtende Augen): Von dem Moment an, wo du beim Vrony stehst, geht alles gut. Wenn ich Vrony sehe, bin ich gerettet. (Der Schriftsteller Rolf Lappert tritt dazu.)

Herr Lappert, und was sagen Sie zu Veronika Jaeggi?
Rolf Lappert (glänzende Augen): Ich musste eine Träne verdrücken, als man Vrony anlässlich der Ehrung von Peter von Matt auf die Bühne holte und würdigte. Schreiben Sie das ruhig: Der Schriftsteller Rolf Lappert musste eine echte Träne wegwischen, als Veronika Jaeggi die Bühne betrat. Vrony ist für mich schlicht und einfach die Verkörperung der Solothurner Literaturtage. (Vor dem «Kreuz» sitzt Roman Bucheli, NZZ-Literaturredaktor.)

Herr Bucheli, ich würde mit Ihnen gern über Veronika Jaeggi reden …
Roman Bucheli (druckreif, auf Hochdeutsch): Schreiben Sie: Veronika Jaeggi ist eine grosse Persönlichkeit in der Literaturvermittlung, die aus dem Hintergrund gewirkt und Menschen und Texte zusammengebracht hat. Sie hat ein Literaturfestival geprägt wie sonst niemand. Gut so?

Ja, sehr gut. Danke.
(Daneben sitzt die Literaturkritikerin Sibylle Birrer.)

Und Sie, Frau Birrer?
Sybille Birrer: Der Aspekt des Hintergrunds ist ganz wichtig bei Veronika Jaeggi. In diesem Punkt muss ich Peter Bichsel widersprechen, der gesagt hat, wenn man in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Solothurner Literaturtage in Vrony-Jaeggi-Literaturtage umbenennen würde, wüsste jeder in der Schweiz, was damit gemeint sei. Jaeggi aber ist über all die Jahre vor allem auch eine brillante Aus-dem-Hintergrund-Arbeiterin gewesen. (Der Schriftsteller Franco Supino, Mitglied der Geschäftsleitung der Solothurner Literaturtage, will gerade ins «Kreuz».)

Herr Supino, nur einen Moment …
Franco Supino: Ja, bitte?

Veronika Jae…
Supino (leuchtende Augen): Ja, Vrony …

Grad flüsterte sie mir ins Ohr: «U jetzt sid er mi los!» Ein typischer Vrony-Spruch. Leicht gesagt und doch so tief. Ich aber meine: Wir sind Vrony Jaeggi hoffentlich gar nie los – das ginge gar nicht. Ganz und überhaupt gar nicht ginge das!

(Es ist kurz vor 18 Uhr. Von Veronika Jaeggi weit und breit keine Spur. Sie ist wohl irgendwo am Stühlezusammenrücken, am Aufräumen oder am Honorareauszahlen. Auf jeden Fall befindet sie sich gerade wieder einmal dort, von wo aus sie seit 34 Jahren unentwegt so brillant gewirkt hat: im Hintergrund.)

Veronika Jaeggi (64) ist seit dem Anfang 1979 Geschäftsleiterin der Solothurner Literaturtage. Die 34. Ausgabe vom vergangenen Wochenende war ihre Dernière. Auf Ende Juni übergibt sie
ihr Amt Bettina Spoerri. Was sie danach tun wird, erzählt sie uns in der nächsten Woche.