«B. Traven – Die unbekannten Jahre»: Das Pseudonym hinter dem Pseudonym

Nr. 22 –

Bis heute wird die wahre Identität von B. Traven ignoriert. Nun hat der Literaturwissenschaftler Jan-Christoph Hauschild eine Biografie vorgelegt, die zeigt, wie aus dem Maschinenschlosser Otto Feige der vielgerühmte Abenteuerschriftsteller wurde.

Als Hermann Otto Albert Maximilian Feige schon Ret Marut war, aber noch nicht B. Traven: Porträtaufnahmen, 1923 von der Londoner Polizei angefertigt. Foto: Will Wyatt, Abbey Willows

Kaum ein Schriftsteller hat so ein Geheimnis um seine Identität gemacht wie B. Traven, der Autor der weltberühmten sozialkritischen Abenteuerromane «Das Totenschiff» (1926) und «Der Schatz der Sierra Madre» (1927). «Wer ist der Mann, der Traven heisst?», fragte der «Stern» 1967 und zeigte das Foto eines Schliessfachs in der Hauptpost von Mexiko-Stadt. Mehr wussten auch seine Verleger nicht von dem damals so populären Schriftsteller, der in Mexiko lebte und behauptete, US-Amerikaner zu sein.

Man ahnte zwar, dass B. Traven identisch mit dem Schauspieler und Revolutionär Ret Marut war, der 1919 aus Deutschland fliehen musste; das bestätigte die Witwe nach Travens Tod 1969. Aber auch Ret Marut war ein Pseudonym, das erst der britische Journalist Will Wyatt lüften konnte, der in London auf die Akten eines illegalen Flüchtlings stiess. Der angebliche US-Amerikaner Marut hatte 1923 die ordentliche Anmeldung versäumt und wurde wegen Verstosses gegen das Ausländergesetz festgenommen. In der Haft legte er das Geständnis ab, in Wahrheit Hermann Otto Albert Maximilian Feige zu heissen.

Obwohl Will Wyatt seine Erkenntnisse schon 1978 veröffentlichte, werden sie von vielen Traven-ForscherInnen ignoriert. Das Rätsel ist nun einmal aufregender als seine Lösung. Stattdessen gibt es kühne Konstruktionen von einer Kooperation zweier Autoren, die sich hinter dem Pseudonym versteckt haben sollen. Beliebt war auch die These, dass B. Traven ein Sohn des letzten deutschen Kaisers gewesen sei, schliesslich habe er so feine Manieren gehabt, und überhaupt könne ein Arbeitersohn nicht solch welthaltige Bücher geschrieben haben.

Schauspieler, Gewerkschafter

Genau dieses Vorurteil widerlegt jetzt der Literaturwissenschaftler Jan-Christoph Hauschild in seiner Studie «B. Traven – die unbekannten Jahre», in der er den Werdegang des Schriftstellers akribisch darlegt und beweist, dass das reale Leben kaum weniger spannend war als das Geheimnis, das B. Traven sorgfältig gepflegt hat.

Geboren wurde Feige 1882 in Schwiebus, einem Dorf in Brandenburg, das heute zu Polen gehört. Er war intelligent, aber einzelgängerisch, und er verkroch sich stets in seine Bücher, wie seine Geschwister sich erinnerten, die Will Wyatt noch interviewen konnte (und die ihm die Identität mit Ret Marut anhand von Fotos klar bestätigten). Da die Eltern ihm keine höhere Schulbildung finanzieren konnten, machte er eine Schlosserlehre. Als er anfing, sich politisch zu betätigen, kam es zum Bruch. Feige verliess sein Elternhaus für immer. Wohin er ging, wusste man nicht – auch nicht, wie es dazu kam, dass er als Schauspieler Ret Marut wieder auftauchte.

Jan-Christoph Hauschild konnte diese Lücke schliessen. Er entdeckte, dass Feige im Ruhrgebiet als Gewerkschaftssekretär tätig gewesen war. Belegt ist, dass er einen erfolgreichen Streik von Klempnergehilfen organisierte, Tarifkonflikte schlichtete und Vorträge hielt. Aber, und hier deutet sich die künftige Entwicklung an: Er gestaltete auch musikalische und literarische «Kunstabende», etwa mit Texten von Henrik Ibsen, Fritz Reuter oder Wilhelm Busch, und gründete einen Dramatischen Verein.

Schon nach einem Jahr suchte Feige einen Nachfolger und meldete sich im Oktober 1907 aus Gelsenkirchen ab. Damit war die Person dieses Namens verschwunden. Kurz darauf tauchte im Register der Bühnengenossenschaft in Essen ein Schauspieler namens Ret Marut auf, der angab, am 25. Februar 1882 in San Francisco geboren zu sein. Zwar fehlten entsprechende Dokumente, aber dafür hatte Marut eine praktische Erklärung: 1906 hatte es in San Francisco ein verheerendes Erdbeben gegeben, bei dem alle amtlichen Unterlagen zerstört worden seien.

Und immer auf dem Sprung

Mit provisorischen Ausweisen konnte Ret Marut seine Wanderjahre als Schauspieler und Regisseur durch die deutsche Provinz bestehen und unbehelligt durch die Zeit des Ersten Weltkriegs kommen. Er begann, Aufsätze und Erzählungen für diverse Feuilletons zu schreiben, und zog im November 1915 nach München, wo er die anarchistische Zeitschrift «Der Ziegelbrenner» herausgab. In der Münchner Räterepublik leitete Marut das Presseamt und bereitete die Enteignung der bürgerlichen Zeitungen vor, da diese durch ihre Kriegstreiberei ihr Existenzrecht verloren hätten. Nach dem Sturz der Räterepublik floh Marut aus Deutschland. Nachdem er aus England abgeschoben worden war, heuerte er auf einem norwegischen Dampfer an und liess sich 1924 in Mexiko als Traven Torsvan registrieren. Seine Bücher veröffentlichte er unter dem Pseudonym B. Traven – und gelegentlich trat er auch unter dem Namen Hal Croves als Agent Travens in Erscheinung.

Das Spiel mit verschiedenen Rollen war in diesem Leben die einzige Konstante, wie Hauschild in seinem Buch feststellt: «Feige befand sich gleichsam immer auf dem Sprung, in einem ewigen inneren Spannungszustand. Und hatte sich, durch immer wieder neue und schliesslich auch gemeisterte Herausforderungen, immer wieder bestätigt gesehen.»

Wie können wir bei B. Traven lesen? «Der einzige Sinn des Lebens liegt im Wechsel, in der Veränderung, in der Bewegung.»

Jan-Christoph Hauschild: B. Traven – Die unbekannten Jahre. Edition Voldemeer. Zürich 2012. 696 Seiten, 52 Abbildungen. Fr. 51.90