«Apokalypse Baby»: Mehr Sex, weniger Illusion
«Baise-moi», Virginie Despentes’ Verfilmung ihres Romandebüts, war gut für einen mittleren Skandal. Es handelt sich um einen der ersten (französischen) Publikumsfilme, in dem die AkteurInnen echten Sex miteinander haben – und dies vor dem Hintergrund eines Vergewaltigung-Rache-Plots.
Das ist zwar schon elf Jahre her, und Despentes, die früher in Massagesalons und Peepshows arbeitete, hat in der Zwischenzeit alles Mögliche gemacht. Das ungeschriebene Gesetz der Steigerung verlangt indessen mehr: mehr Sex, mehr Gewalt, mehr Gemeinheiten. «Apokalypse Baby» unterläuft diese Erwartungen.
Der Roman ist rasant, direkt, voller kluger desillusionierender Einsichten und auf boshafte Weise sogar ziemlich lustig. Eine höchst unterhaltsame Mischung aus Roadmovie, Liebesroman, Gesellschaftskritik und Verschwörungssatire. Die Brutalität hält sich in Grenzen. Es geht um die Suche zweier eigensinniger Detektivinnen nach der verschwundenen 15-jährigen Valentine. Diese Suche gestaltet sich einigermassen kompliziert, aber ungemein erfahrungsreich: vor allem für die vom Leben enttäuschte 35-jährige Lucy. Sie ermittelt an der Seite einer dominanten Lesbe, die von allen «Die Hyäne» genannt wird – ein wahrlich unberechenbar schillernder Charakter.
Während ihrer Suche tauchen die zwei in verschiedene, meist typisch französische Milieus ein – ruppig-subkulturelle, elitär-bildungsbürgerliche und migrantische. Stets gelingt es Despentes, diese unterschiedlichen Welten und ihre BewohnerInnen mit wenigen Federstrichen so übertrieben genau zu schildern, dass weh tut, was weh tun muss. Von grandios lustvoller Direktheit sind dabei die orgiastischen Lesbenliebesszenen. Blümchensex? Pustekuchen!
Despentes erzählte, sie habe es witzig gefunden, «Heterosexualität mal so darzustellen, dass man keinen Bock mehr hat, sich damit zu identifizieren». Hat man tatsächlich nicht, bei all den blasierten Dummheiten und frustrierenden Selbstverleugnungen, die im Roman mit ihr einhergehen.
Virginie Despentes: Apokalypse Baby. Aus dem Französischen von Dorit Gesa Engelhardt und Barbara Heber-Schärer. Berlin Verlag. Berlin 2012. 382 Seiten. Fr. 28.50