«Virgin Tales»: Keuschheit ohne Fragen
«Unbefleckt» in die Ehe zu gehen, ist für immer mehr junge Frauen und Männer ein wichtiger Bestandteil ihres Glaubens. Es ist auch ein Trend, der besonders unter den evangelikalen ChristInnen in den USA – einer ultrakonservativen Religionsgemeinschaft, die glaubt, dass die Bibel unfehlbar ist – viele AnhängerInnen findet: Eines von acht Mädchen in den USA legt inzwischen ein Keuschheitsgelübde ab.
Wie die Gläubigen ihre Überzeugungen im Alltag umsetzen und welche Widersprüche dabei auftauchen, sind Fragen, denen die Schweizer Filmemacherin Mirjam von Arx in ihrem Dokfilm «Virgin Tales» nachgeht. Zwei Jahre lang begleitete sie Pastor Randy Wilson und seine Familie aus dem US-Bundesstaat Colorado. Als engagierte Mitglieder der evangelikalen ChristInnen predigen die Wilsons landesweit Keuschheit und Reinheit. Sie haben die populären Purity Balls (Reinheitsbälle) erfunden, bei denen schon siebenjährige Mädchen auf Keuschheit eingeschworen werden. Von Arx ist dabei ein faszinierend intimer, unzensierter Blick ins Innere einer Gemeinschaft gelungen, die sich ansonsten stark von der Aussenwelt abschottet. Es ist ein Blick, der Gänsehaut auslösen kann, da man durchaus Sympathien für die Familienmitglieder entwickelt, selbst wenn sie Haarsträubendes äussern. Gänsehaut aber auch, weil die Wilsons gewieft jede nur ansatzweise kontroverse Frage der Regisseurin mit ihrem unerschütterlichen Glauben kontern und so alle Versuche einer kritischen Auseinandersetzung scheitern lassen.
Entsprechend ist es verständlich, dass sich die Regisseurin für einen rein beobachtenden Status entschieden hat – oder entscheiden musste. Mit der Folge jedoch, dass man die Aussagen der Wilsons ohne Hilfe eines Kommentars erlebt und das Gesehene selbst einordnen muss. Die grösste Stärke des Films, die Nähe und Offenheit seiner ProtagonistInnen, wird so leider auch zu seiner grössten Schwäche.