Lebenslandschaften: Unabhängigkeitserklärung in der Zürcher Binz
Am letzten Samstag lud die «Familie Schoch», die seit 2006 ein ehemaliges Fabrikgelände am Fuss des Üetlibergs in Zürich besetzt hält, wieder einmal zum «Binzfest» ein. Früher mussten die Festgäste auch schon meterhohe Strickleitern hochklettern, um dann auf Rutschen ins atemberaubende Innere der Hallen hinunterzusausen. Heuer war der Zutritt höchstens für Wasserscheue ein Problem: Es tropfte aus einem hängenden Rohr. Der offene Eingang war Programm. Anstatt eines Eintrittspreises gab es eine Kollekte, die Familie verschickte keine Extraeinladungen, das Fest stand für einmal nicht unter einem Motto, und so waren in den rappelvollen Hallen auch viele Gesichter zu erblicken, deren offene Münder dafür sprachen, dass sie die «Binz» zum ersten Mal von innen sahen.
Vielleicht auch gleich zum letzten Mal: Für den Januar 2013 plant der Kanton Zürich eine Altlastensanierung. Danach will der Kanton das Areal im Baurecht an die Pensionskasse Abendrot und die Baufirma Tescon von Werner Hoffmann abgeben. Letzterer hat die ehemalige Besetzung des Hotels Atlantis am Zürcher Triemli zu einem StudentInnenwohnheim umfunktioniert. In der Binz planen Hoffmann und Abendrot eine Wohnüberbauung für Studierende und Mitarbeitende des Universitätsspitals Zürich, Ateliers, Kultur- und Begegnungsräume.
Dass die BesetzerInnen dabei nichts mehr mitzureden haben, hatte der Kanton bereits im vergangenen Februar klargemacht. Nun hat die «Familie Schoch» die Binz am Samstag zur «autonomen Zone» erklärt. Dass sie damit das Auffahren der vom Staat geschickten Bagger verhindern kann, ist wohl eher unwahrscheinlich. Es bleiben dann aber immer noch die offenen Münder vom Fest, die der Welt wohl seither eifrig erzählen, was möglich ist, wenn sich fünfzig handwerklich und künstlerisch begabte Menschen ihren Freiraum nehmen.