Ausserdem: Die Weissmaler und die unpolitische Justiz
Gut ein Jahr ist es her, dass zwei beherzte Schaffhauser zum Farbkübel griffen und aus Protest gegen die nicht enden wollenden Hetzkampagnen der SVP einige «Masseneinwanderung stoppen!»-Plakate weiss übermalten (siehe WOZ Nr. 35/11 ). In einem Bekennerschreiben, das in der bürgerlichen Lokalzeitung publiziert wurde, schilderten sie ihre Beweggründe für die Tat. Die Weissmaler wurden daraufhin wegen Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe von 21 Tagessätzen zu 140 beziehungsweise 150 Franken und einer Busse von je 500 Franken verurteilt, die Staatsgebühr betrug zusätzlich 350 Franken. Und nicht die SVP selbst, sondern die Plakatgesellschaft APG klagte auf Schadensersatz.
So weit, so bekannt. In diesem Sommer nun hat sich der Schaffhauser Rechtsanwalt und frühere Kantonsgerichtspräsident, Werner Brandenberger die Mühe gemacht, in einem rund 15 000 Zeichen umfassenden Aufsatz zu analysieren, wie tief das Urteil der Schaffhauser Justiz im Fall «Weissmaler» tatsächlich blicken lässt. Er zeigt auf, dass die Justiz die explizit ausgewiesene politische Motivation der beiden Weissmaler schlicht übergeht, obwohl im Strafgesetzbuch unter Art. 47 Abs. 2 vorgeschrieben ist, dass «Beweggründe und Ziele des Täters» bei der Bemessung des Verschuldens zu berücksichtigen sind – wobei gemäss Brandenberger im Strafbefehl nichts darauf hinweist, dass dieser Vorschrift nachgelebt worden wäre. Daraus schliesst der Jurist: «Gerade weil das Urteil den politischen Charakter der Tat der ‹Weissmaler› plakativ negiert, wird es zu einem eminenten Indikator für politische Justiz. Die implizite Gleichstellung der Tat der ‹Weissmaler› mit irgendeiner leichtsinnigen oder böswilligen Sachbeschädigung ist Folge des autoritären Legalismus, der die Meinungsäusserungsfreiheit zu einem hohlen Versprechen und zu einem käuflichen Gut verkommen lässt. In der ganzen Diskussion, die die Aktion der ‹Weissmaler› auslöste, kam keiner – am allerwenigsten die Justiz – auf den Gedanken, dass die Meinungsäusserungsfreiheit ja nicht nur der SVP, sondern in genau gleichem Masse den ‹Weissmalern› zusteht.»
Unter Einbezug des Urteils in den Kontext «Recht auf Widerstand» kommt Brandenberger zum Fazit: «Politischer Widerstand gegen diffamierende und ausgrenzende Hetze wird als Eigentumsdelikt ohne politische Implikation kriminalisiert; die Gesetze der Marktwirtschaft gelten uneingeschränkt auch für den demokratischen Prozess, und die Meinungsäusserungsfreiheit ist die Freiheit des Kapitals.»
Werner Brandenbergers Aufsatz ist auf dem Blog www.verfaultegeschichten.ch zu finden oder unter www.tinyurl.com/weissmaler.