Die Mehrzweckhalle: Tanzmusik bis in den Morgen

Nr. 42 –

Über das ländliche Musik- und Partywesen

Als Mitturner in der Jugendriege Malans war ich im November jeweils Teil des bunten Abends im Saal des «Weissen Kreuzes». Zuerst turnten wir eine Übung auf dem Barren, dann führte man ein kurzes Theater auf, und schliesslich wurde der alte Saal zum Musikclub. Es gab Tanz mit dem Duo Ramonas, der bis in den frühen Morgen andauerte.

1974 geschah eine epochale Wende im ländlichen Musik- und Partywesen. Die eidgenössischen PolitikerInnen stifteten den Investitionshilfefonds, um uns aus den Bergregionen zum Daheimbleiben zu bewegen. Denn mit seinem Geld konnten die Dorfkönige und Regionalfürsten nicht nur Abwasseranlagen, Alpstrassen und Seilbahnen finanzieren, sondern auch Mehrzweckhallen bauen. Darin setzte ich meinen Plan um, selbst anstatt der Ramonas im gelben Satinhemd mit den grossen Puffärmeln vorne auf der Bühne zu stehen.

Diese Hallenbauten gaben nicht nur mir als Musikanten, sondern auch dem Party- und Tanzwesen von Santa Maria im Münstertal bis nach Porrentruy im Jura einen Schupf. Die Theatergesellschaft, der Turnverein und der Jodelklub verschoben sich allmählich vom Säli in der «Krone» oder dem «Sternen» in die Mehrzweckhalle. Bald stellte ich zusammen mit zwei Kollegen – losgelöst vom Vereinswesen – eine private Gesellschaft auf die Beine, die Konzert- und Tanzanlässe veranstaltete.

Die Mehrzweckhalle war unser Musikclub, und wir merkten bald, wo welcher Abwart welche Marotten hatte. Die Schweizer Politik hat dieses Party- und Musikwesen in den letzten vierzig Jahren stark gefördert. Denn aus dem Investitionshilfefonds wurden mit 245 Millionen Franken 266 Mehrzweck- und Turnhallen mitfinanziert. Und wie vielfältig wird dort Musik mittlerweile aufgeführt – blättern wir durch den Kalender der Black-Sabbath-Kultur oder durch den der Ländlerzeitschrift «Stubete», sehen wir, wie eifrig und vielfältig diese Hallen bespielt werden.

Mein Favorit ist der Heimatabend mit Ländlermusik und Alpenschlager. Kleine Ortschaften wie Küblis und Seewis im Prättigau kochten über, als vor gut zehn Tagen das Alpspektakel aufgeführt wurde mit dem Auftritt der Alpschweine, dem Alpabzug und der Präsentation von Käse und Wurst. Und dann spielte die Tanzmusik bis in den Morgen hinein. Dieses Jahr heizten die Südtiroler Spitzbuam mit dem legendären Bandleader Hubert Tumler ein. Die Halle reicht schon lange nicht mehr für den gewaltigen Aufmarsch der Musikfans, die aus dem Prättigau, aber auch aus Deutschland und Österreich kommen – das ganze Dorf wurde zum Musiklokal.

Köbi Gantenbein ist Chefredaktor der Architektur- und Designzeitschrift «Hochparterre» und Klarinettist.