Durch den Monat mit Köbi Gantenbein (Teil 2): Wie sind Sie politisiert worden?
Nach Jahrzehnten in Zürich ist Köbi Gantenbein zurück nach Graubünden gezogen. Der Kanton, seine Kulturen und Landschaften faszinieren ihn bis heute. Beim Thema Landschaft hat er seine Rolle als Journalist immer wieder verlassen und politisch interveniert.
WOZ: Köbi Gantenbein, Sie sind in Malans aufgewachsen und wohnen heute wieder ganz in der Nähe, in Fläsch. Hatten Sie Heimweh?
Köbi Gantenbein: Ich war lange und gern in Zürich, habe dort eine nie erwartete Bereicherung erfahren. Aber ich hatte mit meinen Leuten hier immer engen Kontakt. Nach gut dreissig Jahren schönem und interessantem Leben im Unterland wusste ich: Ich gehe zurück. Ich habe einen starken Bezug zu Graubünden, der Landschaft hier. Zu ihrem Bild, aber auch zu ihrer Substanz.
Also zum Wein?
Ja, aber auch zu den Tieren, etwa den Vögeln. Schon als Bub war ich im Ornithologischen Verein Landquart. Ich war in den Fächern, die man damals Heimatkunde nannte, immer gut. Das war meine Grundausbildung in Landschaft. Während meiner Zeit als Redaktor der «Bündner Zeitung» hatte ich dann mit dem ganzen Kanton zu tun. Danach studierte ich in Zürich Soziologie und Wirtschaftsgeschichte und schrieb alle Arbeiten über Graubünden, etwa über die touristische Entwicklung des Prättigaus, das Lizenziat dann über Landschaftsbilder in der Tourismusgrafik. Mein Kanton, auch seine Verknorzungen und Verhockungen, haben mich seit je beschäftigt, wohl auch, weil ich ein Stubenhocker bin. Mit 25 war meine Weltreisezeit vorbei.
Seither konzentrieren Sie sich auf Graubünden?
Ja. Ich bin allen Flüssen des Kantons von der Quelle bis zur Mündung nachgewandert – nur die Moesa im Misox fehlt mir noch. Und seit fünfzehn Jahren mache ich mit Magda Vogel und John Wolf Brennan Kirchenwanderungen im Unterengadin. Man geht von Kirche zu Kirche, Magda singt, John spielt Orgel, und ich erzähle über das Tal und die Kirchen. Das wird mein nächstes Buch – «Hochparterre» hat mir zum 65. Geburtstag eine Carte blanche für ein Buch geschenkt. Wunderbar. Wir haben drei grosse Kulturräume in Graubünden, deutsch, italienisch und romanisch, und topografisch ist die Vielfalt gross. Ins Puschlav fahre ich einen Tag! Wo gibt es das sonst, einen Kanton, in dem du einen ganzen Tag Zug fahren kannst? Und ich finde immer wieder einen Menschen, einen Baum oder einen Stein, die ich noch nicht kenne.
Sie sagen «ünsch» für «uns», daran erkenne ich Sie als Walser. Bedeutet Ihnen das etwas?
Es hat mir in meiner Biografie geholfen. Als ich nach Zürich zog, arbeitete ich schon als Journalist. Ich sah, dass es bei Radio DRS einen Konrad Tönz gab. Also klingelte ich mit meinen Zeitungsausschnitten beim Radiostudio und sagte, ich käme aus dem Prättigau, und er müsse aus Vals kommen, als Tönz. Es sei ja Sitte und Brauch, dass wir Walser uns im Unterland hälfen, und ich würde gern Radio lernen. Er war baff, er war schon ein Secondo, sprach Zürichdeutsch, aber dank ihm konnte ich das Radiomachen von der Pike auf lernen. Da geht es ja auch darum, wie du tönst. Ich habe bald gemerkt, wenn ich bündnere, finden das die Leute sympathisch.
Wie sind Sie politisiert worden?
Daheim. Hitsch, mein Vater, war Lokführer bei der RhB und in der Gewerkschaft. Ich bin im Milieu der ländlichen Arbeiterschaft aufgewachsen, mit einem Bewusstsein und einem Stolz für meine Klasse. Hitsch hat meine Neugier auf soziale Fragen und die Politik befördert. Wesentlich war meine Zeit an der Evangelischen Mittelschule in Schiers. Dort arbeiteten Lehrer, die in den sechziger Jahren von den fortschrittlichen Strömungen der Basler Mission politisiert worden waren. Die gingen nach Afrika, in die Entwicklungshilfe, wie man damals sagte, kamen zurück und waren beseelt von der Idee der Weltgerechtigkeit. Das hat mir Eindruck gemacht. Ich bin dann früh in die SP Malans eingetreten – noch nicht konfirmiert, war ich schon Kassier. Malans ist die fortschrittlichste Gemeinde der Herrschaft. Aber ich habe dennoch keine Politkarriere gemacht, sondern ging zur «Bündner Zeitung».
Und dann zogen Sie nach Zürich – rechtzeitig für die Achtzigerbewegung?
1980 war ich Reporter bei Radio DRS, zwar gleich alt wie viele in der Bewegung, aber ich hatte als teilnehmender Beobachter Distanz. Ich kannte sie zwar alle, den Filmer Samir, Steff Fischer oder DJ Punky, aber ich hatte als Journalist eine spezielle Rolle. Ich machte eine Reihe Reportagen zusammen mit meinem alten Freund Martin Woker, der dann NZZ-Korrespondent im arabischen Raum wurde. Auch später gehörte ich nie zur politischen Garde. Ich bin gerne der Zaungast, der Beobachter.
Bis heute?
Wenn es um Raumentwicklung und Landschaft ging, habe ich meine Journalistenrolle immer wieder verlassen. Zum Beispiel für die Auseinandersetzung um die Rosengartenstrasse und die Hardbrücke in Zürich, die hat mich fast dreissig Jahre begleitet. Und dann im Kampf gegen die zweite Gotthardröhre oder bei der Landschaftsinitiative, über die wir bald abstimmen werden. Zu all dem haben wir von «Hochparterre» Themenhefte gemacht und Geschichten geschrieben, die beherzt Partei waren.
Nächstes Mal würde ich gern über Musik reden. Was empfehlen Sie mir zur Vorbereitung?
Das Album «Invenziuns» von Curdin und Domenic Janett.
Köbi Gantenbein (66) war bis Frühling dieses Jahres Verleger und Chefredaktor der Architekturzeitschrift «Hochparterre».