Kost und Logis: Ein ungewollter Trip
Susi Stühlinger begegnet Pilzen und Kühen.
Es war ein erholsames Wochenende neulich, in einem Landgasthof irgendwo im Jura. Wären da nur nicht die beiden Zürcher Ehepaare gewesen, die sich in weit mehr als Zimmerlautstärke über den Vincent unterhielten, der noch dieses Jahr aufs Standesamt muss, weil seine zukünftige Frau den Doppelnamen will, aber eigentlich erst nächstes Jahr in Hawaii heiratet. Oder mutmassten, ob das «Menu de chasse» etwas mit dem Chasseral zu tun habe.
Eine erfreulichere Begegnung machten wir auf einer Wiese, wo in seltsam mäandernden, aber gleichsam flinken Bewegungen ein Jamaikaner herumhüpfte, der uns alsbald ansprach, «Ah, les Suisses allemandes, vous cherchez celui-ci, eh?», während er die Hand öffnete und ein beachtliches Bündel kleiner weissbrauner Pilze zum Vorschein kam. «Ah, je vous les montre», rief er freudig, ohne eine Antwort abzuwarten, und bedeutete uns hüpfend, ihm zu folgen. Zielstrebig steuerte er auf ein Grasbüschel zu und pflückte einen Pilz, kniff den unteren Teil des Stiels ab und verspeiste den Rest. Mit einem «bonne chance» zog er vergnügt von dannen, und ich erinnerte mich an eine Episode aus meiner Jugend.
Während ich heute nur schon beim Anblick eines in der Runde kreisenden Joints von gröberen Kontrollverlustängsten gepackt werde, machte ich mich vor zehn Jahren mit einer Freundin in den Jura auf, in eben der Mission, die den vergnügten Jamaikaner an diesem Herbstwochenende in die Wälder getrieben hatte. Wir waren gut vorbereitet, mit Wanderkarte und einem Migros-Sack voll Proviant. Bis zum Zeltplatz, der etwas abgelegen an einem Fluss lag, würden wir den schon tragen können. Leider stellte sich dann heraus, dass der Zeltplatz sich auf der anderen Seite des Flusses befand. Wir machten uns auf den beschwerlichen Weg zur nächsten Brücke. Die jurassischen Kühe sind behornt und überaus neugierig, und meine sonst nicht auf den Mund gefallene Kollegin jammerte kleinlaut «Tu doch etwas!», als sich die ganze Herde um uns und das letzte Fleckchen Gras, das uns noch vom Fluss trennte, scharte. Ich ergriff einen Ast und sagte «Ho! Ho!», was die Kühe kurzzeitig vertrieb.
Meine Freundin weigerte sich jedoch, auch nur noch einen weiteren Schritt auf der Kuhweide zu tun, und nötigte mich, über den Zaun bergauf ins Dickicht zu klettern. Der Rest ist schnell erzählt: Es wurde dunkel, der Migros-Sack riss, mit dem Licht einer Schlüsselanhänger-Taschenlampe stolperten wir den Berg hinauf, um Stunden später im Haus eines Basler Volleyballtrainers zu landen, der gerade seinen Heustock in eine Turnhalle mit Himmel-Deckenbemalung und Whirlpool umfunktioniert hatte. Wir beschlossen daraufhin, das Pilzsammeln sein zu lassen, denn einen solch abgefahrenen Trip, waren wir überzeugt, würden wir sowieso nicht noch einmal erleben.
WOZ-Inlandredaktorin Susi Stühlinger ass dann im besagten Landgasthof gleich zweimal Tagliatelle mit Pilzen – Pfifferlingen, versteht sich.