100 Wörter: Wer reinen Herzens ist
Der Grossfriedhof am Stadtrand war unverhofft ins Zentrum gerückt, was bei Immobilienspekulantinnen und Leichenfledderern heftige Begehrlichkeiten weckte. Sie rotteten sich in den rundherum aus dem Boden schiessenden Müttercafés und Väterbars zusammen und äugten gierig auf die vielen Quadratmeter unverbauter Fläche oder auf das, was darunter begraben lag. Doch die Friedhofsverwaltung war weder von gestern noch von schlechten Eltern und zog darum eine Mauer hoch, die nur überwinden konnte, wer reinen Herzens war. Danach herrschte erst mal Ruhe, wenn auch die Besucherzahlen massiv zurückgingen und der Stadtrat nur noch zu dritt antreten konnte, wenn es besonders verdiente BürgerInnen zu verabschieden galt.
Stephan Pörtner ist Krimiautor («Köbi der Held», «Stirb, schöner Engel») und lebt in Zürich. Für die WOZ schreibt er Geschichten, die aus exakt 100 Wörtern bestehen.
Momentan ist er mit seinem neuen Buch «Bin gleich zurück. Komisches aus dem Leben von Beat Schlatter» unterwegs: Winterthur, Orell Füssli, Fr, 2. November 2012. 19 Uhr. www.books.ch