Argentinien: Die Präsidentin bleibt gelassen
So eine Gelegenheit will sich keine Opposition entgehen lassen: Nach den niedrigsten Schätzungen demonstrierten am Donnerstag vergangener Woche 200 000 Menschen in Buenos Aires gegen die Politik der gemässigt linken Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner, nach den höchsten waren es 700 000 . Doch die Einheit im Protest hielt nur für diesen einen Tag. Schon am Morgen danach ging der Streit los, wer denn nun diese Menschenmassen für sich vereinnahmen darf.
Zu unterschiedlich waren die Gruppen und Grüppchen, die da gegen Fernández auf die Kochtöpfe klopften. Es waren Linke, denen die Austeritätspolitik der Regierung zu weit geht. Dazu KorruptionskritikerInnen, denen die Aufklärung der Vorwürfe gegen Vizepräsident Amado Boudou viel zu schleppend vorangeht – sein Privatvermögen hat sich wundersam vermehrt. Anderen sind alle PolitikerInnen suspekt, und sie fordern wie während des Staatsbankrotts zur Jahreswende von 2001 auf 2002 «que se vayan todos», dass einfach alle verschwinden sollen.
Zu diesen tendenziell eher linken KritikerInnen kommen die braven BürgerInnen, die sich aufregen, dass die Regierung die Inflation seit Jahren auf unter zehn Prozent herunterrechnet, obwohl sie bei über zwanzig Prozent liegen dürfte. Auch die dauernden Stromausfälle und die streikende Müllabfuhr sorgen für Ärger. Bessergestellte protestieren gegen die Beschränkung von Dollarkäufen, die erschwert, Vermögen ins Ausland zu schaffen.
Auch die rechte Opposition war auf der Strasse: die Agrarindustriellen, die Fernández nie verziehen haben, dass sie die Exportsteuern erhöht hat. Und natürlich Mauricio Macri, der erzkonservative Bürgermeister von Buenos Aires, der die Massendemonstrationen als Sprungbrett für eine Präsidentschaftskandidatur nutzen will. Seine politischen FreundInnen malen derweil das Gespenst an die Wand, Cristina Fernández wolle die Verfassung ändern lassen, um ein drittes Mal in Folge bei der Wahl ums höchste Staatsamt antreten zu können. Nach derzeitiger Rechtslage ist das nicht möglich. Gewinnen aber könnte sie durchaus.
Weil die Präsidentin weiss, dass die eine Hälfte der ArgentinierInnen auf ihrer Seite steht, die andere aber heillos zersplittert ist, kann sie Massendemonstrationen ganz gelassen zuschauen. Die Gruppen und Grüppchen sind sich untereinander zum Teil so spinnefeind, dass die eine erst der anderen an den Hals springt, bevor es der Staatschefin an die Gurgel geht. Vorerst hat Fernández die Proteste einfach ignoriert.