Claudio Castagnoli: Der Wrestler mit dem Schweizerkreuz

Nr. 46 –

Wrestling ist eine Welt, in der die Guten gewinnen. Doch Claudio Castagnoli, ein sympathischer Mensch und guter Wrestler, muss bei seinen Kämpfen in den USA immer den bösen Mann spielen.

«Der Wechsel in die Profiliga war krass»: Claudio Castagnoli alias Antonio Cesaro (rechts) im Kampf gegen Alex Riley. © 2012 WWE

Zwei schwitzende Männer in Unterhosen liefern sich einen erbitterten Kampf. Ein nordamerikanischer Schönling im glitzernden Slip und ein arroganter Mexikaner in Schwarz. Die Ausgangslage ist klar: Gut gegen Böse.

Der Mexikaner steigt in die Seile und wirft sich mit Gebrüll auf seinen Gegner, der bereits am Boden liegt. Der Schiedsrichter zählt an, das Publikum johlt. Im letzten Moment bäumt sich der vermeintlich Besiegte auf, windet sich aus dem Würgegriff, packt den Kopf des Mexikaners und rammt ihn mehrere Male mit voller Wucht gegen die Metallsäule in der Ringecke. Der Böse geht endgültig zu Boden.

Dies ist kein Ausschnitt aus einem Van-Damme-Film. Und doch hat der Kampf etwas Überzeichnetes, Inszeniertes. Zu sehen war er vergangenen Donnerstag im Zürcher Hallenstadion zum Auftakt der Smack Down World Tour der World Wrestling Entertainment (WWE). Wrestling, das ist für die einen eine Parodie auf alle «richtigen» Kampfkünste, für andere einfach nur eine gute Show, Theater. Die Guten sind «faces», die Bösen «heels». Die SiegerInnen – ja, es gibt auch Wrestlerinnen, doch angesichts des Barbie-Looks kippt dort die Parodie ins Peinliche – stehen bereits vorher fest, und die Kämpfe sind in der Regel choreografiert. Diese Schaukämpfe sind vor allem in den USA, Japan und Mexiko beliebt. In Zürich hat die Wrestlingnacht immerhin knapp 3500 ZuschauerInnen angezogen. Ein Grund dafür ist Antonio Cesaro, der amtierende United-States-Champion. Er heisst eigentlich Claudio Castagnoli, ist gebürtiger Luzerner und der erste Schweizer, der es im US-amerikanischen Profiwrestling zu etwas gebracht hat.

Ein Luzerner an der Spitze

Castagnoli gab sein Debüt im Jahr 2000. Damals kämpfte er noch an kleinen Independent-Events in Deutschland, Holland und Italien. Nach zahlreichen erfolglosen Versuchen, in der Schweiz und Europa eine Wrestlingliga aufzubauen, wanderte er 2004 in die USA aus. Auch dort musste er sich jahrelang in unbedeutenden Ligen durchboxen, doch seit September steht der 31-Jährige bei der WWE unter Vertrag – einem Medienunternehmen, das mit etwa 500 Millionen Dollar Umsatz pro Jahr die Topliga dominiert. Eine kleine Sensation, denn einen Schweizer Wrestler in diesen Sphären gab es bis jetzt noch nie.

«Der Wechsel in die Profiliga war krass», sagt Castagnoli. «Das Training ist härter, die Anforderungen höher und die Reisen länger.» Was als Hobby begann, ist heute harte Arbeit: «Fast jeden Tag steht Krafttraining auf dem Plan. Zusätzlich mache ich fünf Shows pro Woche.» Verletzungen inklusive: Vor drei Wochen hat er sich eine Sehnenverletzung an der Hand zugezogen. «Gekämpft habe ich trotzdem. Ich kann nicht anders, denn ich liebe diesen Sport.»

In den Staaten gilt der sympathische, knapp zwei Meter grosse Schweizer als Heel, als Bösewicht – wie die meisten NichtamerikanerInnen. Aufgabe der Heels ist es, das Publikum aufzuheizen. Wie? Sie beschimpfen ganz einfach die einheimischen Fans und ihr Land. Castagnoli beherrscht das in fünf Sprachen. Der Bösewicht ist Teil seiner Rolle. Wie auch seine Vergangenheit ein Teil davon ist: Die WWE preist ihn an als den «Mann, der wegen seiner übertriebenen Aggressionen aus der Rugbyliga verbannt wurde». «Rugby habe ich eigentlich nur kurz gespielt», sagt er und schmunzelt. «Alles bloss ein Teil der Storyline. Die amerikanischen Fans stehen auf diese Stereotype.» Darum hat er auch kein Problem damit, als Schweizer vermarktet zu werden – solange es seriös rüberkomme. «Ein Sennenkäppi wäre zu viel des Guten, aber ich trage immer irgendwo ein Schweizerkreuz auf meinem Outfit.»

Der «Swiss Uppercut»

Kurz nach 22 Uhr endlich der Höhepunkt: Castagnoli marschiert durch die frenetische Menge in die Arena. Die Bier trinkenden, teilweise verkleideten und mehrheitlich männlichen Fans halten Transparente zu Ehren ihres Idols und skandieren «Hopp Schwiiz!». Selbstverständlich ist Castagnoli heute kein Heel – sein US-amerikanischer Herausforderer Jack Swagger spielt für einmal die Rolle des Bösewichts und stachelt das einheimische Publikum auf: Die Schweiz gehe ihm am Arsch vorbei, brüllt Swagger, als er Richtung Ring stolziert. Er respektiere keinen Schweizer Bastard als US-Champion. Was folgt, ist ein martialisches Märchen: Gut gegen Böse, Kopfnüsse, akrobatische Würgegriffe und natürlich Castagnolis berüchtigter «Swiss Uppercut».

Man kann sich denken, wie der Kampf ausging: Claudio Castagnoli hat den Titel des US-Champions verteidigt, die Guten haben gewonnen. Vielleicht gab es danach ein echtes «Züri-Gschnätzlets» – «das Erste, was ich jeweils esse, wenn ich in der Schweiz bin», sagt der Champion.