Wie Literatur von den Reichen erzählt: Ein wohlstandsverwöhnter Stamm von Wilden

Nr. 48 –

Seit der Antike haben Dichterinnen und Schreiber von Mäzenen im Mordrausch und knausrigen «Batzen-Gesellen» berichtet. Und standen dabei nur allzu oft in ambivalentem Verhältnis zu den Vermögenden selbst.

Reich an Hab und Gut lässt sich wohl von alters her ganz hübsch leben: in Musse, Überfluss und Prachtbauten. Vor den Toren stört höchstens ab und zu der aufdringliche Lärm literarischer Marktschreier. Jedenfalls sieht der Dichter Simonides von Keos im 6. Jahrhundert v.u.Z. «immer, wie die weisen Schriftgelehrten sich vor den Türen der Reichen herumtreiben». Und während sie dort auf Einlass und Zubrot warten, spinnen sie auch allerhand mythische Geschichten aus.

Gold in den Mund

So habe sich etwa Demeter, die Göttin des Feldbaus, bei einem ihrer vielen Seitensprünge in Kreta auf offenem Feld von einem Jäger, einem richtigen Zierbengel, schwängern lassen. Das Ergebnis: Plutos, der Gott des Reichtums. Den habe Gottvater Zeus gleich mit Blindheit geschlagen, damit er ja nicht brave und weise Menschen mit seinen Schlaraffengeschenken verführe. Plutos sei zum armseligen, schmutzigen wie feigen Tattergreis verkommen, der sich nur noch mit ganz «schlechtem» Reichtum wie anrüchigen Erbschaften, Betrug und Raub zu einem hinbemühe.

Das alles macht ihn dem römischen Totengott Pluto nicht nur namentlich sehr ähnlich: Noch in Dantes «Göttlicher Komödie» wird er etwa die Seelen der Geizigen und VerschwenderInnen im vierten Höllenkreis bewachen müssen.

Solch ein Erzählsinn für das Spektakuläre und das Groteske macht auch vor den Reichen selbst nicht halt. Anekdotenreich werden da die Launen und Dummheiten ausgebreitet. König Midas wünscht sich nicht nur viel mehr als goldene Wasserhähne, sondern bekommt auch für sein musikalisches Banausentum Eselsohren angehängt. Als stümpernder Verseschmied wird selbst der «stinkreiche» Trimalchio in Petronius’ «Satyricon» die geladenen Literaten zur Weissglut treiben. Mit Geld allein kann sich König Krösus ebenso wenig die Klugheit für den Machterhalt kaufen wie Timon von Athen wahre Freunde. Und wer noch in die Hände seiner Feinde fällt, wie etwa der habgierige Crassus den Parthern, bekommt als Strafe grausam viel Gold in den Mund gegossen.

Die Dramen der Reichen sind nicht nur unzählig, sondern drohen bisweilen auch die Erzähler selbst zu gefährden. Es fleht der Sänger Phemios bei Homer den von Troja zurückgekehrten, rachsüchtigen Odysseus um sein Leben an: «Mir scheint, ich könne vor dir hier singen wie vor einem Gott; drum schlage mir nicht das Haupt ab.» Er habe nur gezwungenermassen den fremdes Gut verprassenden Freiern beim Mahl aufgespielt. Odysseus verzeiht gnädig und schickt ihn lächelnd hinaus, bis er «im Hause alles verrichtet habe, was not ist», also kein Freier mehr am Leben bleibt. Im Mordrausch der Mäzene braucht es keine literarischen Zeugen.

Natürlich sehen sich in dem Fall sogleich die christlichen Moralapostel bestätigt, dass wohl ein Kamel leichter durchs Nadelöhr gehe, als ein Reicher ins Himmelreich komme. Denn ein grosses Vermögen, das alle Verhältnismässigkeit und Rechtschaffenheit sprengt, macht den besitzenden «Jedermann» zumindest für das Mittelalter äusserst verdächtig. Er ist mit seiner götzenhaften Anbetung des Seelenräubers Mammon, mit seinem habgierigen Krösusblut beispielhafter Sünder wie sozialer Störenfried.

Dienstfertigkeit und Undank

Aber gleichzeitig dient er auch als wunderbar plakative Erzählfigur, um eine fabelhafte Bekehrung zu illustrieren, selbst wenn sie erst auf dem Sterbebett erfolgt. Wer nämlich die Vergänglichkeit alles Irdischen bedenke, dem müsse doch klar werden, dass allein in der göttlichen Armut der wahre Reichtum liege. Vorbildliche Arme werden deswegen schon zu Lebzeiten über alles Geistige hinaus mit allerhand Sterntalern und Goldkot märchenhaft belohnt.

Wer hier allzu knausrig den «Batzen-Gesell» (Abraham a Sancta Clara) gibt, mutiert zur Schwankfigur. Ihre verspottete Beschränktheit zeugt von den groben Unterschieden, wie sie die sozialen Veränderungen in der frühen Neuzeit mit sich bringen. Der Bürger als Edelmann macht jedenfalls in Molières gleichnamiger Komödie 1670 gar keine gute Figur. Der selbstgefällige wie anmassende Neureiche möchte um jeden Preis zu den feinen Kreisen gehören. Dafür ist ihm die Verachtung der etablierten Oberschicht ebenso sicher wie die zukünftigen revolutionären Drohungen von unten.

Um da in eigener Sache ein wenig aufzuklären, scheut das egoistische «Portemonnaie auf zwei Beinen» (Hermann Sudermann) keinen noch so mitleiderregenden Klagegesang. Aller Besitz sei anstrengend im Unterhalt, und es plagten einen selbst noch im diskreten Abseits der Vorstadtnatur die «Goldkoliken» (Jean Paul). «Das Geld ist platt», dichtet Heinrich Heine, «und will auch platt geschmeichelt sein.» Nur lernen derart die Saturierten ihre SchmeichlerInnen meist auch von ihrer schlechtesten Seite kennen. «Alles überstürzt sich, erst in Dienstfertigkeit und hinterher in Undank», schreibt Theodor Fontane, «und deshalb glauben die Reichen an nichts Edles und Aufrichtiges in der Welt.»

Das Publikum liebt es

Das verstärkt natürlich nicht nur die Verarmungsängste der Reichen, sondern hüllt sie zusätzlich noch tiefer in ihr ökonomisches Geheimnis um den sich ständig vermehrenden Reichtum ein. Sie werden zu einer Art exotischem, wohlstandsverwahrlostem Stamm von Wilden, den die Literatur seit dem 19. Jahrhundert immer wieder neugierig erforscht. Die «grausam reichen Leute» (Jeremias Gotthelf), wie leben sie eigentlich? Sind es hochnäsige KannibalInnen mit «gepolsterten und vernagelten Herzen» (Robert Walser)? Leben sie wunschlos glücklich oder lasterhaft und gelangweilt?

Balzac füllt sein gigantisches Romanwerk «Die menschliche Komödie» erfindungsreich mit Geldsäcken wie Grandet, Gobseck oder Goriot. Für den Gesellschaftstheoretiker Karl Marx bleibt das ein geradezu erstaunlich anschauliches Quellenwerk. Andere vermögen darin nur einen neuen, bis heute äusserst erfolgreichen Lesestoff zu entdecken: der romanhafte, melancholisch stimmende Niedergang einer saturierten Familie mit all ihren Skandalgeschichtchen. Die Bestsellerautorin Irène Némirovsky empfiehlt: «Nie vergessen, dass das Publikum es liebt, dass man ihm das Leben der ‹Reichen› beschreibt.»

Von der Banalität des Reichtums

Was darüber hinaus nicht zu vergessen wäre: Der so anvisierte literarische Erfolg ist dem Ansehen von Reichtum verwandt. «Es ist nicht genug, dass man Talent habe», verrät Goethe 1829, nachdem er eine halbe Million Privatvermögen durch seine Hände hat gehen sehen. «Es gehört mehr dazu, um gescheit zu werden; man muss auch in grossen Verhältnissen leben und Gelegenheit haben, den spielenden Figuren der Zeit in die Karten zu sehen und selber zu Gewinn und Verlust mitzuspielen.»

Soll man nun diesen materiellen Leistungsausweis als KünstlerIn wörtlich nehmen? Aber wie lassen sich nur solch grosse Summen literarisch einspielen? Oder wo nur hält das Schicksal genügend Erbschaften oder Geldheiraten parat? Ein allzu grosser «Besitzklumpen» (Thomas Bernhard) ist Literaturschaffenden bei allen Neidanwandlungen nie ganz geheuer. «Jedes Ding, das ich besitzen will», sagt André Gide, «wird mir undurchsichtig.»

Und obskur bleibt eben auch, inwiefern die Literatur das geeignete Medium ist, um dem «Virus Reichtum» (Peter Bichsel) wirklich auf die Spur zu kommen. Ob Sinclair Lewis 1922 vom protzigen amerikanischen Immobilienmakler Babbitt oder Barbara Bongartz von arroganten JetsetterInnen als «illustren Kretins» in «Die Schönen und die Reichen» (2011) berichtet: Es bleibt bei aller literarischen Kunstfertigkeit jeweils ein schales Gefühl beim Lesenden zurück: wohl etwas von der Banalität des Reichen.

Wer von der schreibenden Zunft schon einmal ganz real die Türschwelle zu einer Villa Steinreicher passiert hat, der trifft dort im Idealfall auf eine kostbare Welt, in der eigentlich alles bis ins Detail stimmt. Das preist sich längst auch ohne AutorIn wie von selbst: geschmackvoll und bequem eingerichtete Räume, gute Kunst an den Wänden, vorzügliches Essen und GastgeberInnen von geradezu unglaublicher Liebenswürdigkeit. Eine verstörende Harmonie, wie sie etwa 2008 der Autor Matthias Zschokke in seinem Tagebuch beschrieben hat. «Danach, wieder zu Hause, sahen wir unser Gerümpelleben vor uns und wurden sehr nachdenklich.»

Vielleicht sollte man doch einfach nur draussen vor der Tür der Reichen ein wenig lärmig die reichhaltigsten Geschichten aushecken.