Aphra Behn: Loblieder auf die freie Liebe

Nr. 33 –

Aphra Behn schrieb im 17. Jahrhundert erfolgreich gegen die Ehe und die Sklaverei an. Nun wird das Werk der Engländerin auch im deutschsprachigen Raum wiederentdeckt.

Sie war die erste Frau in England, die sich vom Schreiben ernähren konnte: Aphra Behn, geboren 1640 in der Nähe von Canterbury. Ihre Komödien wurden oft und gerne gespielt, vor allem «Der Freibeuter oder Der verbannte Adel», ein erotisches Maskenspiel, das am Karneval in Neapel angesiedelt ist, jedoch die Sitten von Behns Landsmännern aufs Korn nimmt. Wie Wildschweine fallen sie in die Stadt ein und grapschen nach jeder Frau, die ihnen zu nahe kommt.

Zwar sind die weiblichen Figuren ebenfalls in Liebeslaune, jedoch spielen bei ihnen Gefühle und Geist eine grössere Rolle, während einige der Männer einfach zugreifen, auch mit Gewalt. So auch der titelgebende Freibeuter, ein herumvagabundierender Pirat, der eines Nachts eine Frau an einer geöffneten Gartentür trifft und dies als Einladung auffasst, obwohl sie sich wehrt: «Ich werde ‹Mord› und ‹Vergewaltigung› oder was auch immer schreien, wenn Ihr mich nicht sofort loslasst.» – «Vergewaltigung! Kommt schon, Ihr Lügnerin, Ihr widerspenstiges kleines Miststück», erwidert er, «eines garantiere ich Euch, niemand auf dieser Welt wird Euch glauben, dass Ihr es nicht mindestens genauso darauf angelegt hattet wie ich.»

Nymphen und Hirten

2021 ist im Aviva-Verlag eine zweibändige Ausgabe mit Aphra Behns Prosa, Lyrik und Theaterstücken erschienen, dieses Jahr folgte beim Unionsverlag eine gut kommentierte Fassung ihres Romans «Oroonoko oder Der königliche Sklave». Wird mit Behn gerade eine Feministin wiederentdeckt, die mit scharfem Blick und spitzer Feder sexistische Verhältnisse aufs Korn nahm? Ja und nein. Ja, ihr Kampf für die Gleichberechtigung ist in vielen Texten zu spüren, aber: Nein, für eine Pointe oder für die literarische Konvention stellt Behn ihr Anliegen auch wieder zurück. Der Freibeuter ist zum Beispiel trotz seines Vergewaltigungsversuchs, trotz vieler Lügen und Betrügereien ein sympathischer Bühnenheld und wird mit der Liebe einer der geistreichsten Frauen belohnt – die wiederum wunderbar freche Tiraden gegen die Ehe führen darf.

Voller Widersprüche sind die Texte Aphra Behns und ebenso die wenigen Fakten, die über ihr Leben bekannt sind. Als Anhängerin der Monarchie spionierte sie 1666 von Antwerpen aus für König Charles II. Die Briefe mit ihren Informationen sind erhalten, aber auch die Bettelbriefe an den Hof, in denen sie um ihr Honorar kämpft. War sie etwa gar nicht in offizieller Mission dort?

Lag ihr die männliche Intelligenz von London zu Füssen, wie sie es in manchen Texten darstellt – oder kämpfte sie eher darum, in diese Kreise aufgenommen zu werden? Sicher ist, dass sie als Schriftstellerin ihr Leben lang um Anerkennung kämpfen musste. Im Epilog zu einem Theaterstück lässt sie die Hauptdarstellerin sagen: «Was nur hat denn die arme Frau getan, dass man ihr abspricht den Verstand / Und von ehrwürdiger Poesie sie unbedingt muss ausgeschlossen werden?»

Aphra Behns Gedichte, schreibt Vita Sackville-West in dem Essay, der die frisch erschienene Ausgabe von «Oroonoko» begleitet, seien angelehnt an die antike Schäferlyrik voll erotischer Szenen zwischen Nymphen und Hirten – und enthielten Pfeile gegen deutlich erkennbare Zeitgenossen. Besonders peinlich wird es für einen gewissen «Lysander», der eine Nymphe verführen will und dann «unfähig» ist, «die Opferhandlung zu vollziehen». «Die Enttäuschung» heisst dieses Gedicht, das auch den fiesen Satz enthält: «Die göttliche Potenz jedoch ward von Poeten wohl erdichtet.»

Angriffslustig in ihrer Lyrik, voll überbordender Fantasie in ihrer Prosa, zuweilen aber auch anlehnungsbedürftig wie in der Erzählung «Liebesbriefe an einen Edelmann», Verkünderin der auch gleichgeschlechtlichen Liebe und der Erotik, so stellt sich das weibliche Ich in den Texten Behns dar. Etwas Ähnliches findet sich in der Literatur des 17. Jahrhunderts sonst nicht. Und doch wurde die Schriftstellerin vergessen, bis sie in den 1920er Jahren von Vita Sackville-West und Virginia Woolf wiederentdeckt wurde.

Der erste realistische Roman

Der Roman «Oroonoko», der 1688, ein Jahr vor ihrem Tod, erschien, war Behns grösster Erfolg. Der Held ist ein Königssohn aus Westafrika, der wegen einer Frau mit seinem Vater aneinandergerät und als Sklave in Surinam landet, zu der Zeit, in der der Roman spielt, eine englische Kolonie. Die Ich-Erzählerin besteht darauf, eine wahre Geschichte zu berichten und gut mit Oroonoko bekannt gewesen zu sein, den sie als schönen, gebildeten Mann von exzellenten Sitten beschreibt, «edler» als mancher Europäer.

Aphra Behn war nach eigenen Aussagen selbst als junges Mädchen in Surinam. Das ist zwar nicht belegt, aber ihre Beschreibungen des Sklavenhandels und der Zustände in der Kolonie sind detailgenau und glaubwürdig. Dagegen ist die tragische Liebesgeschichte des afrikanischen Prinzen sentimental und märchenhaft verworren – ein Zugeständnis an den Publikumsgeschmack ihrer Zeit?

«Oroonoko» ist nicht nur der erste realistische Roman der Literaturgeschichte – eine Ehre, die bisher Daniel Defoe zugeschrieben wurde, dessen «Robinson Crusoe» aber dreissig Jahre später erschien. Behn war mit ihrem Roman ausserdem eine der ersten Stimmen in der Literatur, die sich gegen die Sklaverei erhoben. So legt die Autorin ihrem Helden in einem Aufruf zum Aufstand folgende Sätze in den Mund: «Wir wurden gekauft und verkauft wie Affen zum Vergnügen von Frauen, Narren und Feiglingen und um Gauner und Abtrünnige zu unterstützen, die ihre eigenen Länder verlassen mussten wegen Raub, Mord, Diebstahl und anderer Schurkereien. […] Sollen wir etwa solch einem heruntergekommenen Volk Gehorsam leisten, dem keine menschliche Tugend verblieben ist, um es von den gemeinsten Kreaturen zu unterscheiden?»

Mag Aphra Behn ihren eigenen Aufenthalt in Surinam erfunden haben, mag sie sich in ihrem Roman sogar als Kolonialherrin gebärden (so bedauert die Ich-Erzählerin etwa, dass die Kolonie an die Niederlande verkauft wurde), ihre flammende Anklage gegen den Sklav:innenhandel und den rassistischen Dünkel der Europäer:innen ist beeindruckend und zu ihrer Zeit einzigartig. Im 18. Jahrhundert feierte «Oroonoko» als Bühnenstück grosse Erfolge, der Roman wurde 1709 schon ins Deutsche und 1745 ins Französische übersetzt.

Nach ihrem Tod blieb das Werk Aphra Behns noch einige Jahrzehnte präsent. Doch das folgende prüde viktorianische Zeitalter verbannte ihre freizügigen Texte von der Bühne und aus der Öffentlichkeit. Ihre Loblieder auf die freie Liebe waren da ebenso verpönt wie ihre Polemiken gegen die Ehe: «Verrucht ist sie, die aus Geldinteresse / Einen hassenswerten Tölpel in ihr Bett nimmt; / Und ist ein öffentliches Bündnis oder Gelöbnis / Ihr Preis, dann ist sie eben eine teure Hure.»

Unbestritten war hingegen Behns geistreicher Witz – das ist in Stein gemeisselt: Bestattet wurde die erste Berufsschriftstellerin Englands im Kreuzgang von Westminster Abbey. Die Grabinschrift lautet: «Hier liegt ein Beweis dafür, dass selbst Geist und Witz nie genug Schutz gegen die Sterblichkeit bieten».

Aphra Behn: Ich lehne es ab, meine Zunge im Zaum zu halten / Fliegen sollst du. Werke: Romane und Erzählungen (Band I) und Dramen und Gedichte (Band II). Herausgegeben, aus dem Englischen übersetzt und mit einem Vorwort von Tobias Schwartz. Aviva Verlag. Berlin 2021. 620 Seiten. 70 Franken

Aphra Behn: Oroonoko oder Der königliche Sklave. Mit einem Essay von Vita Sackville-West und weiterführenden Texten. Aus dem Englischen von Susanne Althoetmar-Smarczyk und Susanne Höbel. Unionsverlag. Zürich 2022. 256 Seiten. 36 Franken