Alpine Wasserressourcen: Mit nachhaltigen Schneekanonen

Nr. 49 –

Der Klimawandel macht dem Schnee in den Alpen zunehmend den Garaus. Doch in der Schweizer Forschung dominiert noch immer die Idee, dem Skitourismus mit technischen Mitteln über die Runden helfen zu können.

Er liegt inmitten einer kargen Glarner Berglandschaft auf etwas über 2000 Metern Höhe – der Chüebodensee ob Elm. Gross ist er nicht. Und doch will ihn Samuel Hefti anzapfen, um mit dem Wasser Skipisten zu beschneien und Strom zu produzieren. «Ökologisch» nennt er das und «nachhaltig». Immerhin zeichnete das Netzwerk Wasser im Berggebiet das in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Nordwestschweiz entstandene Projekt «Elmer hydro» 2009 mit dem Swiss Mountain Water Award aus.

Wasser wird zunehmend als zentrale Ressource der vermeintlich rohstoffarmen Schweiz erkannt – auch, weil ihr die Klimaerwärmung zu Leibe rückt. Diesen Zusammenhang untersuchen aktuell verschiedene Projekte, darunter das Nationale Forschungsprogramm 61 zum Thema «Nachhaltige Wassernutzung». Im Juni hat das Bundesamt für Umwelt (Bafu) einen Bericht über die «Auswirkungen der Klimaänderung auf Wasserressourcen und Gewässer» publiziert, und Ende November organisierte das Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) in Davos eine Tagung über «Alpine Schnee- und Wasserressourcen gestern, heute, morgen».

Dort präsentierte Hefti, mittlerweile pensionierter Mitarbeiter der lokalen Glarner Elektrizitätswerke, auch das «Elmer hydro»-Projekt: Der Chüebodensee soll mit einem dreissig Meter langen und drei Meter hohen Damm gestaut werden, auf dass er rund 25 000 Kubikmeter mehr Wasser fasse. Um im Winter die oberen Skipisten auf 1800 bis 2100 Metern Höhe künstlich zu beschneien, müsste das Wasser sechzig Meter höher in ein unterirdisches Becken gepumpt werden. Nachhaltig daran sei, dass andernfalls, so Hefti, Quellwasser rund 600 Meter nach oben gepumpt werden müsste. Und natürlich, dass sich das Wasser aus dem Chüebodensee ausserhalb der Skisaison nutzen lässt, um rund 300 Haushalte mit Strom zu versorgen.

Sorgsam gemiedener Konflikt

Was Hefti nicht erwähnte: Kaum war 2009 «Elmer hydro» ausgezeichnet worden, kam es zum Eklat. Lokale Umweltverbände protestierten gegen das Projekt. Der private Besitzer der Alp hatte einer solchen Nutzung und Umgestaltung seines Sees nie zugestimmt. Schliesslich sprang noch der wichtigste Partner ab, die Elmer Sportbahnen AG.

An der SLF-Tagung in Davos waren Konflikte um alpine Wasserressourcen indes ein sorgsam gemiedenes Thema. Dabei stehen sich gerade im Fall des Wintertourismus und der künstlichen Pistenbeschneiung, die immense Mengen an Wasser verbraucht, die Parteien besonders unversöhnlich gegenüber. Denn die Klimaerwärmung lässt laut Bafu-Bericht nicht nur die Schneefallgrenze in die Höhe klettern. Künftig fällt in den Alpen auch weniger Schnee, und er bleibt weniger lang liegen. «Für die einen lassen sich die daraus entstehenden Probleme mit technischen Fortschritten in der Pistenbeschneiung lösen», so der Wirtschaftsgeograf Bruno Abegg am Rande der Tagung. «Die andern werten solcherlei als Fehlanpassung an den Klimawandel oder betrachten es grundsätzlich als Frevel an der Natur.»

Der Konflikt spiegelt sich bis ins Vokabular: Sprechen KritikerInnen von «Schneekanonen», «künstlicher Beschneiung» und «Kunstschnee», bevorzugt man anderswo Begriffe wie «Schneelanzen», «Schneemaschinen» und «technische Beschneiung». Auch das SLF verwendet ausschliesslich die Bezeichnung «technischer Schnee», verschiedene seiner Forschungsprojekte verfolgen das Ziel, die Effizienz von Beschneiungsanlagen zu verbessern. Ausserdem arbeitet das SLF nach eigenen Angaben eng mit Bergbahnvertretern und Tourismusfachleuten aus den alpinen Regionen zusammen.

Und die setzen voll auf Schneekanonen: Innerhalb der vergangenen fünf Jahre ist der Anteil künstlich beschneiter Pistenflächen in der Schweiz von 19 auf 36 Prozent gestiegen. In Österreich machen sie mittlerweile gar zwei Drittel aus. Hauptproblem dabei ist der enorme Wasserverbrauch: Um nur einen Kubikmeter Kunstschnee anzuhäufen, benötigt man bis zu 500 Liter. In Davos floss bereits 2007 jeder fünfte kommunal verbrauchte Liter Wasser in die Beschneiungsanlagen, in Scuol war dies gar mehr als jeder dritte.

Die prognostizierte Klimaerwärmung lässt den Wasserverbrauch geradezu explodieren, wie Bruno Abegg an der SLF-Tagung am Beispiel Österreich aufgezeigt hat: Steigen die Temperaturen um zwei Grad, verdoppelt bis verdreifacht sich der Wasserbedarf, um die Pisten mit Kunstschnee befahrbar zu halten. Im Fall der Schweiz lasse sich die künstlich beschneite Fläche allerdings gar nicht mehr gross erhöhen, fügt er im Gespräch am Rand der Tagung hinzu: «Der Zugang zum Wasser fehlt.» Genau dieses Problem stand beim Projekt «Elmer hydro» am Ausgangspunkt – es gibt nicht genügend Wasser, um die Pisten kontinuierlich zu beschneien oder gar zu vergrössern.

Verlängerte Agonie

Problemverschärfend kommt hinzu, dass mit dem Klimawandel mittelfristig auch die Wasserressourcen schwinden. Nur noch dreissig Prozent des heutigen Gletschervolumens werden bis 2100 übrig sein, so der Bafu-Bericht. Auch das beim Schmelzen des Schnees abfliessende Wasser dürfte sich bis 2085 im Vergleich zur Periode von 1980 bis 2009 von 40 auf 25 Prozent des gesamten aus den Alpen abfliessenden Wassers verringern. Und weil bis Ende des Jahrhunderts jeder zweite Sommer mindestens so warm sein werde wie der Hitzesommer 2003, rechnet man im Schweizer Mittelland mit häufigeren und längeren Trockenperioden. Wasserknappheit und Konflikte unter den verschiedenen NutzerInnen drohten als Folge.

Tatsächlich wogten auch an der SLF-Tagung in Davos im Rahmen einer Diskussionsrunde die Emotionen hoch. «Warum sollen wir Trinkwasser für die Unterländer speichern, statt unsern Skitourismus zu erhalten?», wetterte ein Engadiner Skilehrer. Andere finden, man werde kaum darum herumkommen, das verbleibende Speicherwasser in den Alpen mehrfach zu nutzen.

Auf dieser Überzeugung fusste auch das dem SLF angegliederte Netzwerk Wasser im Berggebiet – deshalb die Auszeichnung für das Projekt «Elmer hydro». Die Motivation hinter dem Projekt freilich deckt sich mit derjenigen des Engadiner Skilehrers: «Der durch die Klimaerwärmung bedrohte Wintertourismus ist hinsichtlich Erhaltung beziehungsweise Schaffung von Arbeitsplätzen für die Berggemeinde Elm von existentieller Bedeutung», schreibt Hefti in den Tagungsunterlagen. «Deshalb müssen die Pisten zur Gewährleistung des Skibetriebs in schneearmen Wintern künstlich beschneit werden.»

Bruno Abegg kritisiert die vorherrschende Technikgläubigkeit. Irgendwann seien die Grenzen der Wirtschaftlichkeit erreicht. «Könnte man nicht auch sagen, dass mit jedem Franken, der in den Ausbau der technischen Beschneiung fliesst, nicht nur der Skibetrieb gesichert, sondern auch die Abhängigkeit vom Skitourismus erhöht und damit die Möglichkeit verbaut wird, in neue und zukunftsfähige Geschäftsmodelle zu investieren?»

Anders gefragt: Verlängern auch Projekte wie «Elmer hydro» letztlich nur die Agonie einer Industrie, die über kurz oder lang an die Grenzen ihrer Finanzierbarkeit stossen wird? Ende 2012, so steht in den Tagungsunterlagen, soll das Projekt abgeschlossen werden. Allein, realisiert worden ist gar nichts, wie Recherchen der WOZ ergaben. Auch wenn der neue Direktor der Sportbahnen Elm AG sagt, er befürworte das Projekt grundsätzlich und es sei für die Sportbahnen «von höchstem Interesse» – aus der Gemeindeverwaltung von Glarus-Süd ist zu vernehmen, das Projekt sei «auf Eis gelegt». «Für mich ist das Projekt gestorben», sagt auch der Besitzer des Chüebodensees.

Das dem SLF angegliederte Netzwerk Wasser im Berggebiet, das «Elmer hydro» prämiert hat, ist seit Ende Juni übrigens Geschichte – die Mehrheit der beteiligten Kantone sah zu wenig Nutzen darin. Und der Chüebodensee wird seit Oktober im kantonalen Energierichtplan zu jenen Gebieten gezählt, in denen der Schutz von Natur und Landschaft Vorrang hat.

Zwei Grad

Zurzeit wird an der Uno-Klimakonferenz in Doha darum gerungen, ob und wie man die Klimaerwärmung auf zwei Grad beschränken könnte. Wie rapide sich das Zeitfenster schliesst, um dieses Ziel überhaupt noch zu erreichen, zeigt der Berner Klimaphysiker Thomas Stocker mit einem anschaulichen CO2-Emissionsmodell, das demnächst in der Fachzeitschrift «Science» erscheint. Die CO2-Emissionen erreichten 2011 den bisher höchsten Stand; dieser wird 2012 erneut überboten werden. Fahren wir mit «Business as usual» fort, ist das Fenster in wenigen Jahren definitiv zu.