Abzockerinitiative: Die SP in der Populismusfalle
Anfang März 2013 wird über die Initiative von Thomas Minder abgestimmt, die den riesigen Salären in den Chefetagen von Schweizer Unternehmen ein Ende setzen will. Auch die SP ist dafür, obwohl die Initiative in die falsche Richtung zielt.
Wie ist es möglich, dass eine Initiative, die aus der Feder von Thomas Minder, einem Mitglied der SVP-Fraktion und Kleinunternehmer, stammt, unter Linken für so viel Euphorie sorgt? SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer hielt am SP-Parteitag Anfang Monat in Thun eine flammende Rede für die sogenannte Abzockerinitiative und versprühte dabei dermassen viel revolutionäres Pathos, dass sie damit die versammelten Delegierten in ihren Bann zog. Entsprechend fiel die Zustimmung aus: 144 zu 2 Gegenstimmen. Amen.
Minders Initiative, die am 3. März 2013 an die Urne kommt, schreibt unter anderem vor, dass die AktionärInnen börsenkotierter Unternehmen an den jährlichen Generalversammlungen verbindlich über die Gehälter des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung abstimmen sollen (vgl. «Die wichtigsten Regelungen» im Anschluss an diesen Text). Damit will der Mundwasserfabrikant die gigantischen Managersaläre, die in der Bevölkerung seit Jahren für Empörung sorgen, beschränken. Als EigentümerInnen hätten die AktionärInnen keinerlei Interesse, dass sich die ManagerInnen die eigenen Taschen mit Geld vollstopften, so die Idee. Schliesslich sei es das Geld der AktionärInnen.
Ein Blick ins Ausland spricht jedoch gegen diese Intuition: In Britannien etwa haben die AktionärInnen seit 2002 zwingend über die Vergütungen zu entscheiden – wenn auch die Abstimmung nicht bindend ist. Die bisherige Erfahrung zeigt: Die AktionärInnen nicken die Saläre einfach ab, obwohl diese von Jahr zu Jahr steigen. Eine Studie der Universität Harvard von 2009: «Wir finden keinen Anhaltspunkt, wonach sich die Höhe und die Wachstumsrate der Vergütungen der CEOs geändert haben.» Gleich sieht es hierzulande aus, wo rund die Hälfte der hundert grössten börsenkotierten Unternehmen bereits heute freiwillig konsultativ abstimmen lässt. Die Stiftung Ethos, die sich seit Jahren an den Aktionärsversammlungen gegen die hohen Saläre wehrt, schreibt: «Trotz den mehrjährigen Bemühungen von Ethos zeigt sich, dass sich die Wirtschaft nicht zufriedenstellend selbst reguliert.»
Der drohende Schaden
Nützt es nichts, so schadet es nichts? Dieser Schluss greift zu kurz. Ein Ja zur Initiative könnte beträchtlichen Schaden anrichten: Längst nicht alle AktionärInnen sind mit Herz, Seele und Portemonnaie am langfristigen Erfolg ihres Unternehmens interessiert. Viele versuchen, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Geld aus dem Unternehmen herauszupressen, um sich dann aus dem Staub zu machen. Einige InvestorInnen tun dies, indem sie genügend Aktien eines Unternehmens kaufen, um ihre Strohmänner im Verwaltungsrat einzusetzen, das Unternehmen zu zerstückeln und die einzelnen Teile dann mit Gewinn zu verkaufen. Etwa sogenannte Hedgefonds.
Diesen «Heuschrecken», wie der ehemalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering solche Finanzgesellschaften und Fonds einmal bezeichnete, würde Minders Initiative in die Hände spielen. Denn die Initiative sieht ebenso eine zwingende jährliche Wiederwahl der einzelnen Mitglieder des Verwaltungsrats sowie des Vergütungsausschusses durch die AktionärInnen vor. Umso einfacher würde es, den Verwaltungsrat auszuwechseln. Zusätzlich will die Minder-Initiative das Depot- und Organstimmrecht verbieten: Banken wäre es untersagt, anstelle ihrer KundInnen, die Aktien bei ihr hinterlegt haben, abzustimmen. Genauso wäre es der Unternehmensleitung verboten, AktionärInnen zu vertreten. Damit würde laut der Uni Zürich rund ein Viertel der Stimmen wegfallen. Entsprechend wären «Heuschrecken» auf weniger Aktienstimmen angewiesen, um Unternehmen in ihre Zangen zu nehmen.
Dass dieses Szenario kein Hirngespinst ist, zeigt ein Blick in die jüngste Schweizer Wirtschaftsgeschichte, in der es insbesondere vor der Jahrtausendwende zu zahlreichen solchen Angriffen gekommen ist. Beispiel Lonza, das der Historiker Adrian Knöpfli aufgearbeitet hat: Ende der neunziger Jahre kauften die Investoren Martin Ebner und Christoph Blocher Aktien des Algroup-Konzerns, dessen Chemiesparte Lonza die Ems-Chemie von Blocher konkurrenzierte. Ebner und Blocher nahmen im Verwaltungsrat Platz und gliederten die Lonza aus, die dabei 1,7 Milliarden Franken aus der Unternehmenskasse erhielt. Der Restkonzern wurde nach der Ausschüttung von Sonderdividenden an die kanadische Alcan verkauft.
In der Empörung über die Abzocke einiger ManagerInnen stellt sich die SP mit Leidenschaft hinter eine Initiative, die das Kernprinzip des Kapitalismus auf die Spitze treibt: Das Kapital befiehlt. Jederzeit. Möglichst unmittelbar. Ausgerechnet jene Partei, die vor zwei Jahren die Überwindung des Kapitalismus im neuen Parteiprogramm verankerte. Im schlimmsten Fall erleichtert die Umsetzung dieses Prinzips die Plünderung eines Unternehmens. Im ersehnten Fall sollen die AktionärInnen den ManagerInnen die Gehälter kürzen. Um das Geld wohin zu schaufeln? In ihre eigenen Taschen. Ganz im Sinne des Ökonomen Alfred Rappaport, der in seinem einflussreichen Buch «Creating Shareholder Value» 1986 die Profitmaximierung zugunsten der AktionärInnen zum Kernziel der Unternehmen erhob.
Zocken die ManagerInnen mit den gigantischen Gehältern jedoch wirklich die AktionärInnen ab? Oder nicht eher die Angestellten? Wie in fast ganz Europa ist auch in der Schweiz die Kapitalquote in den letzten Jahren auf Kosten der Lohnquote gestiegen. Anders ausgedrückt: Immer mehr geht als Dividende an die AktionärInnen, immer weniger als Lohn an die Angestellten. Wenn Unternehmen steigende Kapitalquoten verzeichnen, dann vor allem deshalb, weil die AktionärInnen dies so erwarten. Die sogenannte Aktionärsdemokratie zu unterstützen, bedeutet auch, dem Diktat der zunehmend kurzfristig denkenden AktionärInnen in die Hände zu spielen.
Mit Demokratie hat die Aktionärsdemokratie ohnehin wenig zu tun. Wenn sich AktionärInnen in die Geschäfte der ManagerInnen einmischen, ist das etwa so, wie wenn ein König seinen Ministern auf die Finger schaut. Wie im Königreich die Untertanen, so haben in der Aktionärsdemokratie auch die Angestellten, die von den Entscheiden betroffen sind, keinerlei Mitbestimmung – geschweige denn die Gesellschaft als Ganzes.
Besser als der Gegenvorschlag?
Wird Minders Initiative am 3. März von den Stimmberechtigten verworfen, tritt ein vom Parlament erarbeiteter indirekter Gegenvorschlag in Kraft – sofern kein Referendum dagegen ergriffen wird. Auch dieser sieht eine jährliche Aktionärsabstimmung über die Vergütungen des Verwaltungsrats sowie der Geschäftsleitung vor. Der Gegenvorschlag würde den Türspalt zugunsten der «Heuschrecken» allerdings weniger weit öffnen als die Initiative: Obwohl auch der Gegenvorschlag ein Depot- und Organstimmrechtsverbot sowie eine jährliche Einzelwahl der Verwaltungsräte postuliert, steht es den Unternehmen offen, eine Mandatsdauer von bis zu drei Jahren festzulegen.
Was sagt die SP dazu? Susanne Leutenegger Oberholzer gibt sich gegenüber der WOZ überzeugt, dass eine bindende Abstimmung durch die AktionärInnen die Saläre reduzieren würde. Dabei verweist sie auf die Stiftung Ethos, die sich, anders als die SP, für den Gegenvorschlag ausspricht, sich jedoch von der bindenden Abstimmung ebenfalls Besserung verspricht. Den Einwand, dass die Initiative den «Heuschrecken» das Spiel erleichtern würde, wischt Leutenegger Oberholzer mit der Bemerkung vom Tisch, dieses Problem bestehe auch ohne Reform. Das seien «Rudolf Strahms kleinkarierte Argumente». Der Ex-SP-Nationalrat hatte kürzlich in seiner «Tages-Anzeiger»-Kolumne auf das Problem aufmerksam gemacht.
Der stellvertretende SP-Generalsekretär Stefan Hostettler weist seinerseits auf einen Vorteil der Initiative gegenüber dem Gegenvorschlag hin: Zwar sehen beide Texte ein Verbot von Vorauszahlungen und sogenannt goldenen Fallschirmen vor. Allerdings steht im Gegenvorschlag die Möglichkeit von Ausnahmen offen, sofern eine Zweidrittelmehrheit der AktionärInnen dies wünscht.
Alle gegen Economiesuisse
Die SP sieht die Minder-Initiative jedoch vor allem als Teil eines grösseren politischen Kampfes gegen rechts, insbesondere gegen den Wirtschaftsdachverband Economiesuisse. Als Testlauf für eine Reihe von lancierten Initiativen: für die 1:12-Initiative, die Mindestlohninitiative, die Erbschaftssteuerinitiative sowie die Initiative gegen Pauschalbesteuerung. Eine Niederlage bei der Abzockerinitiative, so glaubt Leutenegger Oberholzer, hätte eine fatale Signalwirkung. Innerhalb dieser Strategie hat innerlinke Kritik, wie jene von Strahm oder des SGB-Ökonomen Daniel Lampart, keinen Platz. Die Parteileitung inszenierte in Thun entsprechend eine Pseudodebatte: Sie liess als Initiativgegner Economiesuisse-Vize und Feindbild Hans Hess auftreten – über den Leutenegger Oberholzer dann genüsslich herzog.
Wer von den Delegierten hatte da noch den Mut, sich vor versammelten GenossInnen hinter den Economiesuisse-Mann zu stellen? Gut und Böse waren wieder an ihrem festen Platz.
Hinter vorgehaltener Hand sind innerhalb der Partei entsprechend auch selbstkritische Stimmen gegen diesen populistischen Kurs der Parteispitze zu vernehmen. Dass diese dennoch nicht lauter werden, hat damit zu tun, dass auch sie wissen: Den Menschen da draussen zu erklären, dass man gegen eine Initiative ist, die gegen die «Abzocker» vorgehen will, ist hart. Ein geschickter Schachzug von Minder.
Der Wirtschaftsanwalt Peter Nobel stellte an einer Medienkonferenz von Economiesuisse zu Recht die Frage: «Soll das Wort ‹Abzocker› im Titel einer Initiative stehen dürfen?»