Fumoir: Ethnologen mit Rucksack
Esther Banz über Reisende, die die Klappe nicht halten.
Wieder fällt mir Adrian ein, der an dieser Stelle auch schon zitiert wurde, mit seinem Lieblingsspruch «Ein Revolutionär hat kein Zuhause!». Wir waren einmal zusammen in Kuba, mit weiteren FreundInnen und Bekannten, und Adrian, der von seiner Arbeit her Land und Leute bestens kannte, registrierte schon kurz nach unserer Ankunft, dass es nun auch in Kuba Fettleibige gebe. Er schlussfolgerte damals scherzend, dass es den Leuten so schlecht nicht gehen könne, wenn sie in einem weitgehend burgerfreien Land mehr Kalorien zu sich nehmen als nötig.
Das war noch in den frühen Neunzigern, und erst ein paar Jahre später wurde «white trash» zu einem Begriff, den nicht mehr nur Musikfans kannten – und die Erkenntnis setzte sich durch, dass gesundes Schlanksein in einigen Ländern zu einem Privileg der Gutverdienenden geworden ist, allen voran in den USA.
Als ich vor kurzem den Koffer packte, um nach Südostasien zu reisen, war ich total überzeugt, dass dort alle Frauen klein und zierlich seien und ich deshalb besser ein paar Hosen und T-Shirts zu viel einpacken sollte als eines zu wenig (die fehlenden Zigaretten …). Nun ja, es stellte sich heraus, dass es sehr korpulente Thai und üppig geformte Laotinnen gibt, sogar in sehr abgelegenen Dörfern, und zugegeben: Das war eine grosse Erleichterung.
Seltsam, was einem so auffällt an fremden Orten. Vor allem in sogenannt exotischen Gegenden mutiert ein weisser Mensch mit Rucksack sofort zum Ethnologen. Als ich in Vientiane, der Hauptstadt von Laos, mit einer neuseeländischen Touristin und einer deutschen Entwicklungshelferin das Taxi teilte, erzählte Erstere, sie habe in Laos immer nur die Frauen arbeiten sehen, während die Männer alle faul rumgesessen seien. «Das muss der Kommunismus sein», sagte sie halb rätselnd, halb feststellend.
Letztere gab ihr recht und fing sogleich an, auf Englisch von ihrer Arbeit im Norden des Landes zu erzählen, wie toll ihr Job als Ausbildnerin sei, weil sie direkt mit den Einheimischen zu tun habe, und wie anstrengend auch – weil sie direkt mit den Einheimischen zu tun habe. Weil diese eben AsiatInnen seien, das mache es noch schwieriger als in Afrika, wo sie auch schon gearbeitet habe, «wo die Leute wenigstens direkt sind, die schreien dich auch mal an, da weisst du, woran du bist, ne, aber hier, das ist echt schwierig, ja da kommst du auch nach Monaten nicht an die ran.» Sie habe das total unterschätzt, sagte sie und erzählte dann – immer noch auf Englisch – Anekdoten, die sich der Englisch sprechende laotische Taxifahrer notgedrungen ebenfalls anhören musste. Sie begann ihre Sätze oft mit «die …», die LaotInnen meinend, und ich konnte nicht anders, als dabei jedes Mal kurz den Taxifahrer zu mustern, aber er liess sich nichts anmerken.
Ist dieses Immer-alles-kommentieren-Müssen eigentlich etwas Westliches? Eine Meinung haben ist ja nichts Schlechtes, aber man kann seine Meinung ja auch für sich behalten, beispielsweise in anderen Kulturen, wo man nur kurz zu Besuch ist und so gut wie gar nichts versteht. Ich wollte von einem Laoten wissen, ob seine Landsleute auch kommentieren, die TouristInnen beispielsweise – er lachte nur, und ich wusste daraufhin nicht, ob er mich auslachte oder schlicht nicht verstand, was ich meinte, oder ob das seine Taktik war, einer unangenehmen Frage auszuweichen. Ich werde also bei nächster Gelegenheit meine thailändische Nachbarin in Zürich fragen, die ich bisher nur eines habe kommentieren hören, die kalten Temperaturen. Und, auweia, meine Figur – ihren rechten Daumen und Zeigefinger um die eigene Speckrolle am Bauch klemmend, fragte sie, halb rätselnd, halb feststellend: «Viel Fondue?»
Esther Banz ist freie Journalistin in Zürich.