Kost und Logis: O du pampige

Nr. 51 –

Susi Stühlinger über (k)lausiges Essen.

O du fröhliche, was könnte man anlässlich der Saison Schönes und Schauerliches schreiben über die moralische Krux mit den Gänseleberpasteten oder warum sich italienische Rosinenkuchen in Kartonschachteln und mit ebenderer Konsistenz in unsere Verschenktradition geschlichen haben (meine Vermutung: weil man sich insgeheim wünscht, die beschenkten Verwandten würden daran ersticken), oder darüber, ob es doch nicht ganz normal ist, wenn die kaum dreissigjährige Nachbarin den ganzen Tag Weihnachtslieder hört, und zwar in einer Lautstärke, dass der Rest des Hauses gezwungen ist, mitzuhören – oder Staub zu saugen?

Aber lassen wir den ganzen Weihnachtskram, soll er uns doch nur vom Wesentlichen ablenken, von dem, was uns im Alltag umtreibt, von den als Büros verkleideten Tretmühlen, wenden wir uns vielmehr dem Inbegriff dieser Hochleistungsgesellschaft zu: der Migros in Zürich West, untergebracht im Gebäude mit dem passenden Namen «Puls 5», die an fünf Tagen die Woche die Gehetzten speist.

Sie steht inmitten von nicht einmal so misslungenen Versuchen urbaner Begrünung und quillt jeden Mittag über, schluckt Hunderte, ja Tausende und speit sie wieder aus, vom Bauarbeiter bis zur «Beobachter»-Journalistin, vom Biofan bis zum Burgermampfer, von der Bussitussi bis zum Businesspunk (ein Wort, von dem ich selbst nicht genau weiss, was es eigentlich bedeuten soll, und das nur der Alliteration wegen hier Verwendung findet). Die Gehetzten, die Essen nicht als sinnlichen oder zumindest sinnvollen Akt verstehen, sondern als lästige Notwendigkeit zwischen Terminen; so muss es sein, denn anders lässt sich nicht erklären, dass überhaupt irgendjemand etwas kauft von dem, was in den schwarzen Plastiknäpfen feilgeboten wird: Unter den Wärmelampen nimmt der Verwesungsprozess des Convenience-Food seinen Lauf. Nein, liebe Migros, damit will ich nicht sagen, dass ihr vergammelte Ware anbietet, sondern ich möchte vielmehr den Prozess beschreiben, den so ein Reis-mit-Poulet-Plastiknapf zwischen 11.30 und 14.00 Uhr durchmacht, und seien wir ehrlich, so weit von Verwesung ist es geschmacklich nun auch wieder nicht entfernt.

Eine WOZ-interne empirische Studie ergab dass einzig und allein das, was du Lasagne nennst, sich einigermassen unbeschadet konsumieren lässt. Aber auch die verleidet irgendwann, sodass frau zähneknirschend auf Hüttenkäse und ein Rüebli umsattelt, nur um diese (viel gesündere) Ernährungsweise bald wieder aufzugeben und dem Bann der schwarzen Näpfe zu erliegen, die ja doch irgendwie den Anschein machen, als handle es sich um «richtiges» Essen. Die Ernüchterung folgt natürlich auf dem Fuss – und so geht es immer weiter. Da stellt sich dann doch noch eine heimliche Vorfreude auf den Weihnachtsbraten ein.

Susi Stühlinger ist es gerade ein wenig übel. Neben ihrem Computer steht ein leerer schwarzer Plastiknapf.