Buch: Eine schrecklich-komische Irrfahrt
In einer grandiosen Szene des retrofuturistischen Romans «Der Schneesturm» darf Doktor Garin ein nagelneues Produkt des «Dopaminierer»-Stamms testen. Der Trip, der in einer gläsernen Hightechpyramide steckt, ist heilsamer Horror par excellence: Der Landarzt erlebt seine eigene öffentliche Hinrichtung vor johlendem Publikum. Er verbrennt lebendigen Leibes unter unfassbaren Schmerzen in einem Kessel siedenden Öls. Und kann, als der Spuk endlich vorbei ist, sein Glück zu leben kaum fassen.
Willkommen in der schrecklich-komischen Zukunftsmärchenwelt Vladimir Sorokins. Im Grunde ist es ganz schön, dass der 1953 geborene Autor, berüchtigt als einer der schärfsten literarischen Kritiker russischer Politik, in seinem jüngsten Buch die Gegenwart Russlands ausnahmsweise nicht allzu deutlich zur Kenntlichkeit entstellt. Das war in «Der Tag des Opritschniks» (2008) noch anders, liess sich dieser gewaltgeladene Roman doch leicht als Parabel auf demokratiefeindliche Tendenzen im Reich Wladimir Putins lesen.
«Der Schneesturm» ist zumindest keine naheliegende Parodie auf die Situation seiner Heimat. Der Erzählton, sanfter und ironischer als sonst, wurde dem 19. Jahrhundert entliehen. Es geht um eine absurde Reise, deren (erzählerischer) Sinn darin besteht, die ProtagonistInnen niemals ans Ziel kommen zu lassen. Zitiert werden Alexander Puschkin, Leo Tolstoi und Franz Kafka.
Während also nun der etwas einfältige, gutmütige Kutscher Krächz und der dienstbeflissene, nachgerade ungeduldige Doktor in einem von fünfzig winzigen «Pferdis» gezogenen «Schneemobil» unterwegs sind, um Todkranke vor der Verwandlung in menschenfressende Zombies zu bewahren, arbeiten ein heftiger Schneesturm, mehrfacher Kufenbruch, lauernde Wölfe, Drogentrips, Eiseskälte sowie die sinnliche Erotik einer Müllerin hart daran, das so lebenswichtige Unterfangen kläglich scheitern zu lassen.
Auf die Frage, ob sie tatsächlich so sind, die RussInnen, kann es nur eine Antwort geben: Wer weiss?
Vladimir Sorokin: Der Schneesturm. Verlag Kiepenheuer & Witsch. Köln 2012. 206 Seiten. Fr. 25.90