Enzyklopädie zeitgenössischer Irrtümer (21): Unheilige Allianzen (sind sündhaft)
Wenn sich Links und Rechts verbünden, jammert die Mitte. Was soll denn daran unanständig sein?
Wer sich nicht alles zu einer unheiligen Allianz zusammenfindet! Zuerst natürlich SP und SVP, die gelegentlich eine «unheilige Allianz» etwa in der Sozialpolitik bilden. Aber auch in anderen Bereichen ist die faule Sache anzutreffen. Die zahlreichen Kritikpunkte an der Neugestaltung des Marktplatzes hätten zu einer «unheiligen Allianz» gegen das Projekt geführt, meint die St. Galler Stadtregierung. Die CVP Basel bedauert eine «unheilige Allianz» gegen die Autobahnvignette. Dann wieder beklagt ein Kommentator, «Rechtsbürgerliche» und «Papsttreue» würden sich als «unheilige Allianz» für die strikte Trennung von Kirche und Staat und damit gegen die staatskirchenrechtlichen Strukturen der Schweiz aussprechen. Obwohl, das ist eine vielleicht nicht ganz unberechtigte protestantische Sicht, da sich Seine Heiligkeit in Rom durchaus als unheilig bezeichnen liesse. Wenn in der Sonntagspresse soeben eine «scheinheilige Allianz» gegen die Sonntagsarbeit zwischen einem Abt und den Gewerkschaften entdeckt worden ist, zielt das auch ein bisschen antipapistisch auf religiöse Würdenträger, die ihre Nase in Dinge stecken, die sie nichts angehen.
Zumeist aber meint die unheilige Allianz die beiden Pole des politischen Spektrums, die sich unanständig zusammenfinden. Das letzte abschreckende Beispiel waren die Juso und die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns), die beide das Referendum gegen die Steuerabkommen-Staatsverträge ergriffen. Geschieht ihnen recht, heisst es aus der politischen Mitte, dass das Referendum nicht zustande gekommen ist. Dass sich ein paar Gemeinden mit ihrer Post nach Bern nicht eben beeilt haben, kann man diesen ja nicht verargen.
Wenn die unheilige Allianz so schrecklich ist, dann wäre die «Heilige Allianz» das leuchtende Gegenteil? Die ist zuerst einmal ein historisches Ereignis und ein historischer Begriff: ein reaktionäres Bündnis zwischen Russland, Österreich und Preussen aus dem Jahr 1815, um allfällige Infektionsherde in Europa nach der Französischen Revolution im Keim zu ersticken, auszubrennen, abzutöten.
Da weht ein religiöser, modriger Geruch durch die heutige Öffentlichkeit. Umgekehrt liesse sich säkular gesinnt sagen: Die unheilige Allianz ist die demokratische Sache.
Nun steckt in der Metapher eine besondere Aussage: Die Extreme berühren sich. Das ist denkfaul. Statt auf die konkreten Gründe der Partner einer Allianz einzugehen, wird formal argumentiert. Die These von den sich berührenden Extremen behauptet nicht nur, dass die Extreme gleich sind, sondern dass sie gleich falsch sind. Falsch ist, was nicht zur selbst ernannten Mitte gehört.
Dabei ist es eine banale Einsicht, dass es unterschiedliche Gründe für gleiche Entscheidungen gibt. Ob wir etwas ablehnen oder akzeptieren, fordern oder verwerfen: Darüber entscheidet zuerst die Stichhaltigkeit der Argumente und nicht die Motive. Obwohl Letztere sich vermutlich ebenso wie die Ziele grundsätzlich unterscheiden.
Aus dem 20. Jahrhundert wirft natürlich die Totalitarismus-These ihren düsteren Schatten. Sie dekretiert: Rechte und Linke haben die Weimarer Republik zerstört. Militärdiktaturen in Spanien, Portugal und Griechenland entsprachen dem sowjetischen Völkergefängnis. Faschismus gleich Kommunismus. Das scheint weit weg von der Schweiz und der Gegenwart. Aber als grundsätzliche Frage ist das nicht so einfach von der Hand zu weisen. Vor allem nicht, was gemeinsame Mittel betrifft. Auch das ist längst eine banale Einsicht: Der Zweck heiligt nicht alle Mittel. Ja, er heiligt etliche nicht. Das gilt säkular ausgedrückt ebenfalls.
Womöglich befallen mich als Linken gelegentlich doch Berührungsängste gegenüber dem anderen Extrem, sozusagen als ästhetisch-moralischer Effekt. Der ist verständlich und muss in Rechnung gestellt werden. Trotzdem: Ich entscheide zuerst aufgrund der richtigen Gründe und erst dann taktisch. Einen Vorschlag der Rechten zu unterstützen, nur um den Mitteparteien eins auszuwischen, ist falscher Populismus. Aber Taktieren ist durchaus erlaubt. Falls Taktik im entsprechenden Fall die angebrachte Strategie ist.