Wahlen in Israel: Nur im Kino wird noch diskutiert

Nr. 3 –

In Israel stehen Wahlen bevor. Die besten Chancen, einen Sieg zu erringen, hat die Rechte. Vor allem deshalb, weil Israels wahre Probleme im Land verdrängt werden.

In Israel herrscht eine eigenartige Stimmung vor: Die BürgerInnen blicken der Wahl apathisch entgegen, obwohl das Land zwischen Krieg und Frieden zu entscheiden hat und es vor einer ökonomischen Krise steht. Der Grund für die Apathie liegt unter anderem darin, dass die politische Elite alles unternimmt, um die Thematisierung dieser Fragen zu vermeiden.

Daran wird ersichtlich, dass Israels Demokratie in einer tiefen Krise steckt. Natürlich: Als Israelis geben wir von Zeit zu Zeit an der Urne unsere Stimme ab. Doch neben diesem formalen demokratischen Prozedere ist Israels politisches System von verschiedenen Krankheiten befallen, die die Freiheit im Land akut gefährden. Auch diesmal gehen wir zur Wahl, während zugleich die Besetzung der 1967 eroberten palästinensischen Gebiete fortdauert; weiterhin verwehrt unser Land zwei Millionen PalästinenserInnen im Westjordanland und eineinhalb Millionen im Gazastreifen – einem grossen Freiluftgefängnis – ihre Menschenrechte; und die rund zwanzig Prozent israelischer BürgerInnen palästinensischer Herkunft bekommen täglich den zunehmenden Rassismus und die Diskriminierung zu spüren. Dies wird viele von ihnen von der Urne fernhalten.

Rassismus und antidemokratische Sichtweisen sind heutzutage in Israel sehr populär. Einige der wichtigsten Kandidaten der gemeinsamen Liste von Likud und Israel Beitenu sind Extremisten: Sie fordern die endgültige Annektierung der besetzten Gebiete, die Ausschaffung der PalästinenserInnen und Beschneidungen des Justizsystems, insbesondere des Obersten Gerichts.

Vergangene Hoffnungen

Die Wahlen von 2006 scheinen ein Erfolg für die Moderaten von Kadima und der Arbeiterpartei gewesen zu sein. Damals wurde Ehud Olmert (Kadima) Premierminister, Amir Peretz (Arbeitspartei) übernahm den Posten des Verteidigungsministers. Das weckte Hoffnungen. Im Juli 2006 wurden jedoch israelische Soldaten an der Nordgrenze getötet, und die sogenannt Moderaten begannen den Libanonkrieg. Zur gleichen Zeit wurde an der Südgrenze der israelische Soldat Gilad Schalit entführt. Olmert lehnte es ab, mit der Hamas-Regierung zu verhandeln. Schalit wurde erst nach fünf Jahren Gefangenschaft freigelassen, unter anderem dank Ägyptens Druck auf die Hamas.

Jahre zuvor, im August 2000, war der damalige Premierminister Ehud Barak von Verhandlungen mit dem langjährigen Führer der Palästinenser, Jassir Arafat, von Camp David zurückgekehrt und hatte die Mehrheit der Israelis – und viele auf dem internationalen Parkett – davon überzeugt, dass es «keinen Partner für den Frieden gibt».

Im November 2008 war es dann die Tötung mehrerer Palästinenser durch die israelische Armee, die eine neue Eskalation provozierte, was Israel wiederum als Vorwand für einen weiteren brutalen Angriff gegen die PalästinenserInnen des Gazastreifens diente. Die Angriffe forderten mehr als 1300 palästinensische Menschenleben, zerstörten unzählige Häuser und legten die Wirtschaft des Küstenstreifens lahm. Israels politische Elite verspricht sich von solchen Angriffen steigende Popularität. Anfang 2009 trat Olmert zur Wiederwahl an. Als Sieger ging jedoch der Likud-Chef Benjamin Netanjahu hervor. Auch er versuchte nun Ende 2012, seine Popularität mit der Tötung des Hamas-Militärführers Ahmad Schabari und mit Luftschlägen zu steigern.

Nachdem die Uno-Generalversammlung letzten November Palästina als Beobachterstaat anerkannte, entschied die israelische Regierung zudem, dass nun Sanktionen nötig seien. Im Klartext: Überall sollen neue Siedlungen gebaut werden, im besetzten Ostjerusalem wie auch in verschiedenen Teilen des Westjordanlands.

Jedes einzelne Haus, das für die SiedlerInnen in den besetzten Gebieten errichtet wird, ist ein weiterer Schritt in Israels kolonialer Anstrengung, die Gebiete zu annektieren. Besonders dramatisch ist der Bau von Siedlungshäusern in der sogenannten Zone E1: Dadurch wird das Westjordanland zwischen Nord und Süd in zwei Teile geteilt. Der Traum eines palästinensischen Staats weicht damit endgültig der Realität eines von Israel kontrollierten Bantustans nach südafrikanischem Vorbild.

«Nicht mit dem Feind reden ist Luxus»

Die einzigen ernsthaften Diskussionen über die Gefahren dieser Politik finden im Kino statt! In «Fünf kaputte Kameras», einem Dokumentarfilm, der die verborgene Brutalität des Lebens der PalästinenserInnen in den besetzten Gebieten zeigt. Aber vor allem in «The Gatekeepers», der für einen Oscar nominiert ist und Israels Politik harsch kritisiert: den drohenden Angriff auf den Iran, die Art, wie unsere Elite über die Zukunft des Landes entscheidet. Seine Brisanz zieht der Film aus den sechs darin interviewten Personen: keine Linken oder PalästinenserInnen, sondern ehemalige Chefs des israelischen Geheimdiensts Schin Bet.

Avi Dichter, Kopf des Schin Bet von 2000 bis 2005: «Frieden wird nicht durch militärische Mittel geschaffen. Man muss den Frieden durch Vertrauensbeziehungen aufbauen.» Und: «Als einer, der die Palästinenser kennt, sage ich, dass es kein Problem sein sollte, wirkliche Vertrauensbeziehungen mit ihnen zu schaffen.» Avraham Shalom (1980–1986) ergänzt: «Für Israel ist es ein zu grosser Luxus, nicht mit unseren Feinden zu reden.» Man solle mit allen reden, einschliesslich der Hamas, des Islamischen Dschihads und des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad. «Es gibt keine Alternative.»

Im Film wird auch aus einem Text des Philosophen Jeschajahu Leibowitz zitiert, den dieser 1968, ein Jahr nach der Eroberung der palästinensischen Gebiete, geschrieben hat: «Ein Land, das eine ihm feindlich gesinnte Bevölkerung von einer Million Fremder kontrolliert, wird zwangsläufig zu einem Schin-Bet-Staat mutieren, mit allen Konsequenzen; das wird Auswirkungen auf die Erziehung haben, auf die Rede- und Meinungsfreiheit und auf die demokratische Regierungsform. Die Korruption, die jedes koloniale Regime charakterisiert, wird auch den Staat Israel infizieren.» Juval Diskins (2005–2011) Kommentar dazu: «Ich stimme jedem Wort zu.»

Die sechs ehemaligen Direktoren des Schin Bet räumen ein, dass die Besatzung Israel grossen Schaden zufügt. «Die Zukunft ist schwarz», sagt Avraham Shalom. «Sie bringt einen Wandel im Wesen der Bevölkerung mit sich, weil wir die meisten unserer jungen Menschen in die Armee stecken und sie dort die Widersprüche sehen. Auf der einen Seite behauptet die Armee, eine Volksarmee zu sein, auf der anderen ist sie eine brutale Besatzungsarmee.»

Diese Sätze waren einige der einzig relevanten, die wir im Vorfeld der Wahlen zu hören bekamen. Nun werden politisch blinde Menschen einmal mehr die blinde Politik einer Führungsriege bestätigen, die für Israel gefährlicher ist als jede propagierte «externe Gefahr».

Zvi Schuldiner ist Dozent für Politik am
 Sapir College in Ashkelon, Israel.

Die Wahl

Am Dienstag, dem 22. Januar, wählen Israels BürgerInnen eine neue Knesset. Laut letzten Umfragen liegt das rechte Wahlbündnis des nationalistischen Likud um Benjamin Netanjahu und der rechtsextremen Partei Israel Beitenu um Avigdor Lieberman weit vorne. Gefolgt wird es von der Arbeitspartei und mehreren rechts- und nationalreligiösen Parteien. Hadasch, die einzige linke nicht zionistische Partei, in der sowohl JüdInnen als auch PalästinenserInnen sitzen, liegt wie bis anhin abgeschlagen auf den hintersten Rängen.