Multinationale Unternehmen: WanderarbeiterInnen aus dem Lande Amazon

Nr. 8 –

Der Aktienkurs des US-amerikanischen Handelsgiganten Amazon steigt beständig – auch weil er mit Steuertricks arbeitet und seine Beschäftigten ausbeutet. Das wollen jetzt nicht mehr alle hinnehmen.

Schon lange nicht mehr war im deutschen Fernsehen ein so gut recherchierter Bericht zu sehen. Und schon lange nicht mehr hat ein TV-Beitrag für so viel Furore gesorgt. Unter dem Titel «Ausgeliefert. Leiharbeiter bei Amazon» zeigte die ARD letzte Woche eine halbstündige Reportage über die Arbeits- und Lebensbedingungen von europäischen WanderarbeiterInnen, die der weltweit grösste Versandhandelskonzern zur Bewältigung des Weihnachtsgeschäfts in seine sieben deutschen Logistikzentren gelockt hatte.

Der Film deckt auf, welche Versprechungen den Arbeitsuchenden aus Osteuropa und Spanien gemacht wurden (sie bekämen 9,68 Euro in der Stunde brutto, hiess es anfangs), wie ihnen Amazon kurz vor der Ankunft in Deutschland mitteilte, dass sie nicht direkt beim Unternehmen beschäftigt sein würden, sondern bei einer Leiharbeitsfirma (zu einem Stundenlohn von 8,52 Euro), und was danach mit ihnen geschah. Die rund 5000 ArbeitsmigrantInnen wurden fernab der Lagerhäuser in Ferienanlagen zusammengepfercht, oft stundenlang mit Bussen zur Arbeit gekarrt und mussten die Schikanen der von Amazon beauftragten Sicherheitsfirma über sich ergehen lassen.

Für das Unternehmen mit dem Namen Hensel European Security Services, abgekürzt Hess (nach dem Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess), arbeiteten Männer mit kurzem Militärhaarschnitt, schwarzen Uniformjacken, Lederstiefeln und teilweise mit Kapuzenpullis der bei Neonazis beliebten Marke Thor Steinar – Leute aus dem rechtsextremen Milieu. Sie schüchterten die LeiharbeiterInnen ein, nahmen Taschenkontrollen vor, durchsuchten ihre Zimmer. Ausserdem, so schildert der Dokumentarfilm, liegt der Verdacht nahe, dass zumindest eine der von Amazon beauftragten Leiharbeitsfirmen das Sozialversicherungssystem um Abgaben in sechsstelliger Höhe prellte. Heraus kam auch, dass Amazon die Arbeit auch sonst vielfach von befristet angestellten Beschäftigten erledigen lässt: Während des Weihnachtsgeschäfts 2012 waren nach Gewerkschaftsangaben im Logistikzentrum Koblenz von insgesamt 3300 Lohnabhängigen gerade mal 200 regulär beschäftigt, im Lager Augsburg hatten von rund 5000 Angestellten nur 1000 einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Der Rest arbeitete auf Abruf.

Der grosse Protest

Kurz nach Ausstrahlung des Films, der seither 1,5 Millionen Mal auf der Website ard.de angeschaut wurde, brach eine Welle der Empörung über den Internethandelsriesen herein. Viele KonsumentInnen löschen ihre Konten bei Amazon, die Facebook-Seite «Amazon – nein danke» verzeichnet regen Zulauf, die AutorInnengruppe Syndikat (in der 800 KriminalschriftstellerInnen zusammengeschlossen sind) verlangt eine Entschuldigung, ein Verlag kündigt ganz offiziell die Zusammenarbeit mit Amazon, und die Gewerkschaft Verdi sammelt Unterschriften für eine Onlinepetition, die vom Unternehmen bessere Arbeitsbedingungen für die Leiharbeitskräfte verlangt.

Bei so viel Protest will auch die Politik nicht abseitsstehen: Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) fordert Aufklärung, hochrangige PolitikerInnen von SPD und Grünen kritisieren das Geschäftsgebaren von Amazon.

Dabei war es die rot-grüne Regierung von Kanzler Gerhard Schröder gewesen, die Leiharbeit überhaupt erst in grossem Stil ermöglichte (es gibt in Deutschland mittlerweile über 800 000  Leiharbeitskräfte) – und es war die schwarz-gelbe Koalition, die alle parlamentarischen Vorstösse zur Einschränkung dieses modernen Sklavenhandels blockierte.

Es ist nicht das erste Mal, dass Amazon – das Unternehmen kontrolliert in Deutschland über ein Fünftel des gesamten Onlineversandhandels – in die negativen Schlagzeilen gerät. Bereits während des Weihnachtsgeschäfts 2010 hatten, auch auf Druck von staatlichen Arbeitsagenturen, Tausende von Hartz-IV-EmpfängerInnen sogenannte Massnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung absolviert: Sie mussten zwei Wochen lang im Rahmen unbezahlter Praktika in Amazon-Logistikzentren arbeiten. Erst als die Sache ruchbar wurde, zogen die Arbeitsämter die Notbremse.

Das System Amazon

Im Januar hatte der 1995 gegründete US-Konzern stolz die aktuellen Zahlen vorgelegt. Im vierten Quartal 2012 betrug die Bruttogewinnmarge 24 Prozent, der weltweite Umsatz stieg um 22 Prozent auf insgesamt 21,3 Milliarden US-Dollar; im ganzen Jahr 2012 setzte der Konzern Waren im Wert von 61 Milliarden um. Und so kletterte im Januar die Aktie vorübergehend um elf Prozent auf den Rekordwert von 288 US-Dollar.

Die Investitionen für seine aggressive Verdrängungsstrategie finanziert das Unternehmen nicht nur auf dem Rücken seiner Belegschaften, sondern auch mithilfe einer geschickten Steuervermeidungsstrategie. Alle Verkäufe in Deutschland (dem grössten Auslandsmarkt des US-Unternehmens) sowie den anderen europäischen Tochterfirmen werden über die Amazon-Europazentrale in Luxemburg abgewickelt. Das spart dem Unternehmen nicht nur die in Deutschland fälligen neunzehn Prozent Mehrwertsteuer auf E-Books für Privatkunden (in Luxemburg werden drei Prozent berechnet), das senkt auch die Unternehmenssteuern, die europaweit durchschnittlich bei 24 Prozent liegen. Denn im Grossherzogtum (nomineller Steuersatz: 29 Prozent) werden Gewinne, die mit auf geistigem Eigentum basierenden Produkten erwirtschaftet werden, aufgrund einer grosszügigen Ausnahmeregelung kaum belastet. SteuerexpertInnen zufolge dürfte der Steuersatz dort zwischen null und sechs Prozent liegen.

In Britannien, wo die Steuereintreibungsinitiative UK Uncut erfolgreich Kampagnen führt (siehe WOZ Nr. 49/12 ), steht Amazon neben anderen US-Konzernen wie Google, Starbucks, Apple, eBay oder Facebook seit Monaten am Pranger. Dort hatte Amazon innerhalb von drei Jahren einen Umsatz von 7,1 Milliarden Pfund erzielt, aber nur 2,3 Millionen Pfund an Steuern entrichtet. Firmensprecher Andrew Cecil wurde im November sogar vor einen Unterhausausschuss zitiert, wo er jedoch keine näheren Angaben machen wollte: Er wisse nicht einmal, wem Amazon gehöre, sagte Cecil den verdutzten Abgeordneten.

Jetzt aber wächst der Druck. Die G20-Staaten wollen künftig Massnahmen gegen die Steuersparmodelle von Grosskonzernen ergreifen (vgl. «G20-Initiative» im Anschluss an diesen Text). In Frankreich fordern die Behörden von Amazon Steuerrückzahlungen in Höhe von 252 Millionen US-Dollar. Und in Deutschland hat die Konzernleitung in den letzten Tagen erste Zugeständnisse gemacht: Sie kündigte die Verträge mit der österreichischen Leiharbeitsfirma Trenkwalder – und mit der Sicherheitsfirma Hess.

G20-Initiative

Multinationale Firmen sollen ihre Steuern bald nicht mehr durch Gewinnverlagerungen in Niedrigsteuerländer reduzieren können. Das beschlossen am Wochenende die FinanzministerInnen von zwanzig wirtschaftsstarken Staaten und Regionen (G20) in Moskau. Eine Woche zuvor hatte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in einer Studie internationalen Konzernen eine sinkende Steuermoral und die Umgehung des Steuerrechts vorgeworfen.

Das sei der Öffentlichkeit nicht mehr zu vermitteln und verzerre den Wettbewerb. Nun will OECD-Generalsekretär Angel Gurría bis zum nächsten G20-Treffen im Sommer einen Aktionsplan vorlegen.