Eugénie Rebetez: «Meine Rolle und ich müssen auf der Bühne zusammenfinden»

Nr. 9 –

Die Tänzerin Eugénie Rebetez tanzt nicht nur, sie spielt, musiziert und singt auch auf der Bühne, überbordend und leise poetisch. Für ihre künstlerische Einzigartigkeit hat sie den Schweizer Kleinkunstpreis 2013 zugesprochen bekommen.

Eugénie Rebetez: «Komischerweise wollte ich nie jemand anders sein als ich selbst.» Foto: Augustin Rebetez

WOZ: Gratulation, Frau Rebetez, Sie werden im April mit dem Schweizer Kleinkunstpreis 2013 ausgezeichnet. Was ist das für ein Gefühl, mit 28 Jahren bereits einen so bedeutenden Preis zu erhalten?
Eugénie Rebetez: Es ist eine ganz grosse Ermutigung. Wenn man arbeitet, erwartet man keinen Preis, man arbeitet einfach. Es hat mich überrascht, ausgerechnet von der Kleinkunstszene ausgezeichnet zu werden, denn ich komme vom Tanz her. Allerdings bin ich schon von der Kleinkunst beeinflusst. Mit diesem Preis wird mir ein Platz in dieser Szene offeriert – das ist wunderschön. Das Theatergenre Kleinkunst findet man in der Schweiz ja nur in der Deutschschweiz.

Mit Ihrem ersten Soloprojekt, «Gina», mit dem Sie 2010 zum ersten Mal auftraten, passen Sie, wie ich finde, aber gut in die Kleinkunstszene.
Dass dies ein typisch deutschschweizerisches Genre ist, war mir gar nicht bewusst. In der Romandie sowie in Frankreich sagt man nicht «Kleinkunst», dort läuft alles unter «Theater». Es gibt dort allgemein weniger Genregrenzen. Ich weiss nicht, ob es mit der kleinen Schweiz zu tun hat, und die Deutschschweiz ist ja nochmals kleiner: Den Dialekt versteht man nur hier, und dadurch ist etwas ganz Eigenes entstanden.

Seit ich in Zürich wohne, habe ich viele Künstlerinnen und Künstler entdeckt, auch solche aus der Spoken-Word-Szene wie Kutti MC oder Big Zis, die beide in Dialekt performen. Ich habe hier eine Art zweite Ausbildung gemacht. Begonnen hat das mit der Mitarbeit beim Artistenduo Zimmermann und de Perrot, die mich 2008 als Tänzerin in ihrem Stück «Öper öpis» engagierten. Zum ersten Mal erlebte ich da, was es heisst, auf der Bühne zu spielen und auf Tournee zu gehen. Martin Zimmermann und Dimitri de Perrot sind extrem professionell und fordernd. Gleichzeitig sind sie aber auch grosszügig und offen gegenüber dem, was passiert. Ich habe die beiden viel beobachtet, und ihre Arbeit hat mich inspiriert, an meinen eigenen Projekten zu arbeiten. Wow, habe ich gedacht, die machen etwas so Persönliches und Anspruchsvolles, und doch sprechen sie ein grosses Publikum, von Kindern bis zu Erwachsenen, an – «un grand public», sagt man auf Französisch.

Ihr Stück «Gina» spricht ganz offensichtlich auch ein «grand public» an …
Wem meine Arbeit gefällt, entscheide nicht ich. Natürlich wünsche ich mir, dass meine Grossmutter kommt und auf ihre Weise das Stück geniessen kann. Und vielleicht kommt ja auch die Kuratorin vom Museum of Modern Art New York … Ich übertreibe natürlich ein bisschen. Selber mag ich extrem gerne Kommerzielles und Pop, aber auch Hochartifizielles – das dringt in meiner Arbeit durch.

Wie viel hat die Figur der Gina mit Ihnen zu tun?
Die Leute stellen mir diese Frage immer, und ich weiss nie, was ich darauf antworten soll. Gina, diese Frau mit exzessivem Charakter, ist natürlich meine Erfindung. Und sobald ich einen Fuss auf die Bühne setze, spiele ich – auch wenn ich beim Spielen ganz ehrlich bin. Etwas passiert mit mir, wenn ich auf der Bühne bin. Doch was das ist, kann ich nicht so genau erklären.

Was meinen Sie genau mit dieser Ehrlichkeit beim Spielen?
Ich habe eine Choreografie oder, da ich in meiner Arbeit viel mit Musikalität spiele, nenne ich es auch Partitur. Jeden Tag fühle ich mich anders. Emotionen und Gefühle kann ich auf der Bühne nicht zur Seite legen, die sind wie ein Rucksack, den ich mitnehme. Ich bin mir immer bewusst, dass ich spiele, aber ich kann mich selbst als Person nicht ignorieren. Ich und meine Rolle müssen zusammenfinden. Wenn das nicht klappt, ist der Auftritt weniger stark.

In Ihrer Arbeit steckt viel Humor. Sind Sie auch privat so humorvoll?
Ich weiss nicht, ob ich so viel Humor habe. Ich lache sehr gerne, es hilft mir, nicht zu stagnieren. Mit Humor komme ich immer weiter.

Sie haben sich fast drei Jahre Zeit gelassen, bis Sie mit einem neuen Stück auftraten. Warum dauerte das so lange?
Ein Stück zu erarbeiten, ist immer schwierig, egal ob es das erste oder das zweite ist. Man kämpft einfach mit anderen Schwierigkeiten. Jeden Tag stellt man sich Fragen wie: Ist es richtig? Warum mache ich das? Schon für «Gina» habe ich mir zweieinhalb Jahre Zeit genommen. Vor einem Jahr habe ich die Tournee dann beendet. Ich musste mir Zeit lassen, «Gina» etwas vergessen, und schauen, wo ich stehe, um etwas Neues zu erarbeiten.

Ihr neues Solo heisst «Encore»: Wie würden Sie das übersetzen?
Das Wort hat verschiedene Bedeutungen: Ich will nochmals oder «encore celle-là!», schon wieder die! Es gibt auch «encore» auf Englisch, das bezeichnet die Zugabe am Ende eines Konzerts.

Mit der Stimme als Instrument haben Sie schon früher gearbeitet, in «Encore» singen Sie nun auch Lieder.
Im klassischen Tanz arbeitet man viel mit Musik. Als Kind habe ich Klavier und Trompete gespielt, und in meiner Familie haben wir immer viel gesungen. Es ist normal für mich, dass Tanz und Musikmachen zusammengehören. Aber mit der konkreten Stimmarbeit habe ich vor drei Jahren in Zürich angefangen. Die Stimme vermittelt extrem viele Emotionen, sie ist viel stärker als Worte.

Wie sind Sie zum Tanz gekommen?
Ich bin im Jura aufgewachsen. Dort habe ich in einer kleinen Tanzschule angefangen, mit klassischem und zeitgenössischem Tanz. Mit zwölf Jahren bin ich schon zweimal die Woche nach Biel zum Tanzen gegangen. Ich wollte jeden Tag tanzen.

Wo im Jura sind Sie aufgewachsen?
In Mervelier, einem kleinen Dorf mit 500 Einwohnern. Für meine Ausbildung musste ich weg vom Jura, sonst wäre ich dort geblieben. Als Kind war ich viel in der Natur, ich habe starke körperliche Erinnerungen, wie es dort war. Ich liebe die Leute dort, sie sind extrem warmherzig, und ich trete auch gerne im Jura auf. Man trägt diese Kindheitserfahrungen mit sich. Sie sind zwar nicht nur schön, aber sie vermitteln mir ein Gefühl von Freiheit, wie ich das sonst nur noch auf der Bühne habe.

Wo im Ausland haben Sie Ihre Ausbildung absolviert?
Mit fünfzehn wechselte ich auf ein Gymnasium in Belgien. Dort habe ich jeden Tag eine Tanzklasse besucht, eine sehr akademische Ausbildung. In einigen Wochen konnte ich Belgisch sprechen: Französisch, aber mit starkem belgischem Akzent. Mit fünfzehn lernt man das ganz schnell. Zurück in der Schweiz habe ich wieder mit Juraakzent gesprochen. Mit diesem Sprachenwechsel habe ich bewusst gespielt, mich interessiert die Musikalität in der Sprache. Mit achtzehn besuchte ich für drei Jahre die Kunsthochschule im holländischen Arnheim. Dort habe ich eine breitere Ausbildung bekommen; Körper- und Kopfarbeit wurden stark miteinander verknüpft, es ging nicht nur um den Blick in den Spiegel und darum, wie etwas aussieht. Diese Zeit war sehr wichtig für mich. Dann bin ich nach Brüssel umgezogen, wo es eine ganz aktive Tanzszene gibt. Ich habe mit Studenten der Tanzschule P.A.R.T.S. gearbeitet sowie mit dem Performer und Improvisator David Zambrano. Doch ich wusste lange nicht, wohin ich gehöre.

Bis ich Zimmermann und de Perrot kennenlernte: Sie engagierten mich 2008, inszenierten mich als Figur und haben mir dabei sehr viel Raum gegeben. Da hat es bei mir klick gemacht – seitdem bin ich extrem beschäftigt.

Welche wichtigen Einflüsse gibt es noch ausser Zimmermann und de Perrot?
Ich liebe Leute, die mit dem Körper arbeiten, die spielen. Seit meiner Kindheit bin ich davon begeistert. Komischerweise wollte ich jedoch nie jemand anders sein als ich selbst. Ich war begeistert von Pina Bauschs Tanztheater. Ich habe mich auf der Bühne immer wie sie gesehen, ohne dass ich sie jedoch hätte kopieren wollen.

Was die Leute an Ihnen auch fasziniert – das nervt Sie vielleicht –, das ist Ihre Figur. Sie sind füllig, Sie entsprechen nicht dem klassischen Tänzerinnenideal …
Ich bin einfach so, für mich ist das normal.

Es regt Sie auch nicht auf, dass die Leute das immer wieder ansprechen?
Journalisten schreiben gern darüber. Ich habe meinen Körper auch in meiner Rolle als Gina thematisiert – es ist ein Spiel für mich und es ist superschön, mit diesem Körper zu tanzen. Ich bin keine klassische Tänzerin, ich bin keine Sylvie Guillem, kein Akram Khan, die sind unglaublich gut. Ich bin etwas anderes.

Eugénie Rebetez

Am 10. April wird der Tänzerin Eugénie Rebetez offiziell der Schweizer Kleinkunstpreis 2013 übergeben – im Rahmen der Künstlerbörse in Thun.

Rebetez wurde 1984 im jurassischen Mervelier geboren und ist dort aufgewachsen. Sie studierte Tanz am Gymnasium von Louvain-la-Neuve und besuchte die Kunsthochschule Artez Arnhem, die sie mit einem Diplom in Tanz und Choreografie abschloss. Heute lebt sie in Zürich.

Mit ihrem Solo «Gina» (2010) hat Rebetez Publikum und KritikerInnen im Sturm erobert. Darin tanzt und spielt sie eine junge Frau, die davon träumt, einmal ein grosser Star im Showbusiness zu sein. Jetzt hat Rebetez ein neues Solo vorgelegt: «Encore» hatte letzte Woche in der Gessnerallee Zürich Premiere und läuft dort noch bis am 2. März. Anschliessend geht Rebetez mit «Encore» in verschiedenen Schweizer Städten auf Tournee.

www.eugenierebetez.com