Martin Zimmermann: Der Tod steht ihm gut

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Mit seinen skurrilen Welten voller Menschlichkeit begeistert Martin Zimmermann seit zwanzig Jahren auf Bühnen in der Schweiz und im Ausland. Jetzt wird er mit dem Hans-Reinhart-Ring geehrt, der höchsten Theaterauszeichnung der Schweiz.

«Der Clown ist ein Spiegel der Gesellschaft», sagt Martin Zimmermann. Er selbst sieht sich der Familie von Buster Keaton, Grock und Karl Valentin zugehörig. FOTO: AUGUSTIN REBETEZ

Die Szenerie ist düster. Auf einer Müllhalde leben drei Menschen, im Hintergrund leuchtet eine Geisterbahn wie auf einem Jahrmarkt. Der Ort schwankt gefährlich, der Untergrund beginnt buchstäblich zu bröckeln. Zwischen den drei Gestalten wuselt eine vierte herum, knochig und mit weiss aufgemaltem Totenschädel. Es ist der Tod, verkörpert von Martin Zimmermann. Noch lässt er den anderen etwas Zeit, bevor er sie zum letzten Tanz auffordert.

«Danse Macabre» heisst Zimmermanns jüngste Arbeit; bei der Uraufführung am diesjährigen Zürcher Theaterspektakel gab es Standing Ovations. Nun wird der Darsteller, Regisseur und Choreograf mit dem Hans-Reinhart-Ring ausgezeichnet. Zimmermann steht damit in einer Reihe mit grossen Namen wie dem Theaterregisseur Christoph Marthaler, dem Schauspieler Bruno Ganz oder dem Choreografen Heinz Spoerli. Bekannt geworden ist er einst zusammen mit dem Tänzer Gregor Metzger und dem DJ und Soundkünstler Dimitri de Perrot. Später bauten Zimmermann und de Perrot zu zweit weiter an dem, was sie im Trio begonnen hatten: einem skurrilen Universum voller Poesie.

Ihre Arbeiten hiessen «Gaff Aff» oder «Öper Öpis», es waren Bühnenwelten, die man so noch nie gesehen hatte: ein verspielter Kosmos zwischen Bewegungstheater und Zirkusartistik, mit ausgeklügelten Bühnenbildern voller Überraschungen und Abgründe. Und mit Objekten, an denen sich das Ensemble zum Gaudi des Publikums abarbeiten musste. Tänzerinnen, Schauspieler und Artist:innen rutschten und taumelten auf schrägen Brettern, aus unsichtbaren Öffnungen kletterten exzentrische und groteske Figuren, darunter auch Zimmermann mit seinem charakteristisch schmalen Gesicht und den grossen Augen.

Mal lieb, mal böse

Das Duo feierte Erfolge, immer aufwendiger gerieten die genreübergreifenden Produktionen. Nach vier Arbeiten entschieden sich die beiden, getrennte Wege zu gehen. «Ich wollte künstlerisch nochmals einen Neuanfang wagen», erzählt Zimmermann über «Hallo» von 2014, eine sehr persönliche Soloarbeit mit vielen versteckten biografischen Reminiszenzen. Er schliff an seiner Bühnenfigur und meisselte die darin angelegten tragisch-komischen Züge heraus, einen schlaksigen Typen mit fragendem Blick, fragil, aber auch bauernschlau.

Zimmermann sieht sich der Familie grosser Clowns wie Buster Keaton, Karl Valentin oder Grock zugehörig. Bei ihm verkörpert der Clown das Menschliche an sich: «Der Clown ist ein Spiegel der Gesellschaft, mal lieb, mal böse und voller Gewaltfantasien. Einer, der unverblümt zur Sprache bringt, was ihm nicht passt. Er ist der letzte Punk von heute.» Das Lachen des Clowns könne erlösend, wenig später aber geradezu grausam wirken – und genau auf diese flirrende Ambivalenz habe er es abgesehen.

Damit knüpft Zimmermann an seine Zirkusanfänge an. Als junger Mann hat er vier Jahre am Centre national des arts du cirque in Paris studiert – und sich dort viel mit zeitgenössischem Tanz beschäftigt: «Es war nicht das, was man sich unter einer traditionellen Schule für Artist:innen vorstellt», erzählt er. Prägend war die Begegnung mit dem Choreografen Joseph Nadj: «Dank ihm habe ich begriffen, dass die Erfahrungen meines ersten Berufs als Dekorationsgestalter mich zu einer neuen künstlerischen Sprache führen können.»

Skelett im Lockdown

Die raffinierten Bühnenräume sind bis heute Zimmermanns Markenzeichen. Er jongliert sozusagen mit Räumen, die bei ihm wie eine Wunderkiste funktionieren. Das Setting wandelt sich permanent, eröffnet immer neue Perspektiven – eine wunderbare Spielwiese für Zimmermanns Theatereskapaden. Nur folgerichtig, dass er nächstes Jahr mit Kinsun Chan, dem Choreografen und Ballettdirektor des St. Galler Tanzensembles, eine neue Arbeit entwickeln wird. Chan hat nicht nur Tanz, sondern auch Design studiert, auch er kreiert seine Bühnenbilder selber.

Und der Tod? Als wild gewordenes Knochengerüst spielte er ihn schon in einer Reihe von «Mr. Skeleton»-Kurzfilmen, die er mit dem Künstler Augustin Rebetez produzierte. «Es ist eine gute Figur, um älter zu werden», sagt Zimmermann schmunzelnd und wird gleich wieder ernst: «Eine Fortsetzung war nicht geplant, aber dann kam der Lockdown. Ich sass im Atelier fest und hatte Existenzängste, wie alle Bühnenkünstler:innen.» Er holte sein altes Skeleton-Kostüm hervor, zog die Leggings über, auf die er damals spontan weisse Scotch-Streifen geklebt hatte. So wurde «Johnny» geboren, eine hybride Figur zwischen klassischem Sensenmann und Clown.

«Wir alle haben ein Skelett und sind uns damit ähnlich, es ist geschlechtslos», sagt Zimmermann. Das Stück «Goodbye Johnny», zusammen mit dem Musiker Han Sue Lee Tischhauser kreiert, feierte Ende 2020 gerade noch Premiere, bevor die Theater wegen der Pandemie wieder schliessen mussten. Es ist eine kleinere Arbeit, zwischen den grossen Produktionen «Eins Zwei Drei» (2018) und «Danse Macabre». In allen Stücken bewegen sich unterschiedliche Charaktere, die in der Absurdität des Daseins gefangen sind.

Über sein Bühnenbild zu «Danse Macabre» sagt Zimmermann: «Wir sitzen auf Müllhaufen, die ökologischen Fragen drängen.» Und es ist nicht zu übersehen: Seine Stücke geraten immer pessimistischer. Doch bei aller Verzweiflung schimmert untergründig immer die Zirkuswelt mit ihrer Magie und Poesie durch. Gegen die surreale Realität hilft nur eines: das Lachen der Clowns.

Die Preisverleihung findet am 28. Oktober 2021 in Delémont statt und wird live gestreamt. Nächste Spieldaten von «Danse Macabre» auf www.martinzimmermann.ch.