Immobilienblase: Der Traum vom eigenen Heim

Nr. 9 –

Der Bundesrat hat kürzlich Auflagen für Banken beschlossen, mit denen er eine drohende Immobilienblase bekämpfen will. Droht diese wirklich? Und was sind ihre Ursachen?

Die Reaktionen im Parlament waren verhalten. Doch das Thema ist deswegen nicht weniger brisant: Der Bundesrat hat kürzlich auf Antrag der Nationalbank (SNB) den Banken neue Auflagen gemacht, die den steigenden Häuserpreisen entgegenwirken sollen (vgl. im Anschluss an diesen Text «Eigenkapitalpuffer»). Vor allem rund um Zürich, St. Moritz sowie entlang des Genfersees sind die Preise in den letzten Jahren geradezu explodiert. Der Bundesrat warnt deshalb vor einer Immobilienblase.

Während die SP zufrieden ist, reagierten die Bürgerlichen kritisch auf den Entscheid. Nicht nur hätte der Bundesrat zuerst abwarten müssen, ob die von der Finanzmarktaufsicht (Finma) letzten Sommer ergriffenen Massnahmen greifen. Der Grund für die steigenden Preise, so das Hauptargument, liege vor allem im knappen Häuserangebot. Der Walliser CVP-Präsident Christophe Darbellay nutzte die Gelegenheit, um implizit Werbung gegen das Raumplanungsgesetz zu machen, das die Bauzonen beschränken will und über das am Sonntag abgestimmt wird: «Es sollte mehr, schneller und günstiger gebaut werden», liess er sich zitieren. Beim Gewerkschaftsbund (SGB) argumentiert man ähnlich. SGB-Ökonom Daniel Lampart verweist darauf, dass die Bevölkerung jedes Jahr um gut 80 000 Personen steige. Gleichzeitig würden nur halb so viele Wohnungen gebaut. Zu ergänzen wäre: Die einzelnen Menschen wollen immer mehr Wohnraum.

Die Nachfrage nach Wohnungen wird jedoch nicht nur durch das Bevölkerungswachstum in die Höhe getrieben: Die Leute verschulden sich vermehrt, um sich den Traum vom Eigenheim zu finanzieren. Zwar hat kein Land in Europa eine derart tiefe Eigenheimquote wie die Schweiz. Nur rund vierzig Prozent der EinwohnerInnen besitzen ein eigenes Haus. Doch seit Jahren ist ein rasanter Aufholprozess im Gang. Entsprechend steigen die Schulden. 1985 lag die Gesamtsumme der ausstehenden Hypotheken bei 188 Milliarden Franken. Ende 2012 waren es 830 Milliarden. Das entspricht rund 140 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Der Hauptgrund für diese Zunahme sind die sinkenden Hypothekarzinsen. Sich zu verschulden, wird immer billiger. Lag der Hypothekarzins 1990 bei acht Prozent, so hat er sich bis 2008 halbiert, um kurz nach der Bankenkrise auf das derzeitige Tief von unter zwei Prozent zu purzeln.

Woher kommt die Blase?

Warum liegen die Zinsen in ganz Europa so tief? Die Entwicklung seit der Finanzkrise ist einfach zu erklären. Die Hypothekarzinsen widerspiegeln das viele billige Geld, das die Geschäftsbanken auf ihren Konten bei den Zentralbanken halten. 2008 stellten Letztere den Banken viel Geld bereit, weil diese sich untereinander nicht mehr vertrauten und sich entsprechend kein Geld mehr liehen. Seither versuchen die Zentralbanken zudem, mit tiefen Zinsen die lahmende Wirtschaft zu beleben. Und in der Schweiz kam etwas Weiteres hinzu: Als wegen der Krise in Europa immer mehr Kapital in die Schweiz floss und so durch die Aufwertung des Frankens gegenüber dem Euro die Exportfirmen geschwächt wurden, beschloss die SNB am 6. September 2011, den Frankenkurs bei 1,20 Franken zu stabilisieren. Dazu kauft sie seither mit frisch gedruckten Franken den Banken zu diesem Kurs so viele Euros ab, wie diese wünschen – was deren Frankenreserven bei der SNB zusätzlich erhöht.

Es ist nicht so, dass die Banken dieses Geld als Kredite weitergeben. Vergibt die Bank A einem Kunden einen Kredit, so hat sie diesen Betrag lediglich auf dessen Konto gutzuschreiben – sie schöpft Geld aus dem Nichts. Erst in jenem Moment, in dem der Kunde mit dem Kredit etwa einem Unternehmen Geld überweist, das ein Konto bei der Bank B besitzt, braucht die Bank A Liquidität, um ihre Schuld gegenüber der Bank B zu begleichen. Dazu verwendet sie Kundengelder, leiht sich Geld bei einer anderen Bank (Interbankenmarkt) oder nimmt das Geld von der Zentralbank.

Kurz: Je mehr billiges Geld die Zentralbanken den Banken zu Verfügung stellen, desto billigere Kredite werden vergeben.

Warum keine Inflation?

In anderen Zeiten würde die überbordende Geldzunahme in Europa zu einer ebenso überbordenden Inflation führen – was die Zentralbanken wiederum dazu bewegen würde, die Zinsen anzuheben. Nimmt die Geldmenge stärker als die Wirtschaft zu, so sollte gemäss Milton Friedmans Standardtheorie das Geld an Wert verlieren: Mit dem gleichen Geld kann man sich weniger Produkte kaufen, weil deren Preise gestiegen sind. Vor allem ÖkonomInnen aus Deutschland, das nach dem Ersten Weltkrieg eine Hyperinflation erlebt hatte, warnen seit mehreren Jahren davor. Nur, geschehen ist noch immer nichts.

Zu Inflation käme es dann, wenn die Kredite an Unternehmen gingen. Investitionen würden die Wirtschaft beleben, die Löhne stiegen – was wiederum die Nachfrage und damit die Preise anheizen würde. Doch europaweit lahmen die Investitionen. Warum? Eine Antwort lautet, dass UnternehmerInnen sich in unsicheren Zeiten vor Investitionen scheuen – wie der 1946 verstorbene Ökonom John Maynard Keynes argumentierte. Doch es gibt eine zweite Antwort: Es wird kaum investiert, weil immer weniger da sind, die die damit hergestellten Produkte kaufen. Dies, weil sich die Einkommensschere seit den achtziger Jahren europaweit immer weiter öffnet – was sich mit der Kürzungspolitik der letzten Krisenjahre verschärft. Jene, deren Einkommen steigen, wollen einen zunehmenden Anteil davon sparen (was unter anderem den Immobilienmarkt weiter anheizt und die Zinsen senkt), während den unteren Einkommen zunehmend das Geld zum Kaufen fehlt.

Diese Ungleichheit erklärt auch, warum die Zinsen in den letzten zwei, drei Jahrzehnten europaweit gesunken sind. Statt Investitionen zu beleben – was zu Inflation und entsprechenden Zinserhöhungen führen würde –, fliessen die billigen Kredite zunehmend in die Spekulation oder an Staaten und Haushalte, damit diese konsumieren. Oder damit sich Letztere ein Haus kaufen. Die Schulden steigen. Die Häuserpreise explodieren.

Die Immobilienblase ist die Inflation des Zeitalters des erodierenden Umverteilungsstaats. Die Booms dauern so lange, wie die HausbesitzerInnen die Zinsen tragen können. Dann platzt die Blase. 1977 erwischte es Spanien, es folgten 1987 Norwegen, 1991 Finnland und Schweden, 1992 Japan, 1997 Indonesien sowie weitere asiatische Staaten, 1998 Kolumbien, 2001 Argentinien – 2007 kamen dann die USA, Britannien, Spanien, Irland, Island sowie Ungarn an die Reihe.

Wer profitiert?

Gilt das alles auch für die Schweiz? Als Land, dessen Kapital-, Produkte- und Arbeitsmarkt aufs Engste mit Europa verflochten ist, kann sich die Schweiz dieser Entwicklung kaum entziehen – daher auch die sinkenden Zinsen. Mit der Erosion der europäischen Wohlfahrtsstaaten sinkt auch die Nachfrage nach Schweizer Produkten – insbesondere in der jetzigen Krise. Dass viele Bürgerliche in der aktuellen Wirtschaftslage dem jüngsten Bundesratsbeschluss kritisch gegenüberstehen, ist nicht verwunderlich. Durch die Hypothekarschulden wird der Binnenkonsum und damit die Wirtschaft etwas angeheizt: Der Boom füllt die Auftragsbücher der Bauherren sowie der KMU – was wiederum Arbeit, Einkommen und Nachfrage schafft. Auch die Banken machen mit den Hypotheken ein schönes Geschäft. Eine der schärfsten Reaktionen auf den Bundesratsentscheid kam von GLP-Nationalrat Thomas Maier – der als Informatiker bei der Zürcher Kantonalbank arbeitet.

Fragt sich, wie akut die Gefahr wirklich ist. Bildet der Immobilienmarkt bereits eine Blase? Auch ImmobilienexpertInnen gestehen ein, dass die Lage nur schwer zu beurteilen ist. Ein Teil des Preisanstiegs ist mit dem Bevölkerungswachstum zu erklären, was mit einer Blase nichts zu tun hat. Zudem steigen die Häuserpreise nur in bestimmten Regionen. Dennoch ist unbestritten, dass ein anderer Teil des Preisanstiegs einer Blase gleicht. Einer Nachfrage also, die auf Schulden beruht, hinter denen nur bedingt zahlungsfähige Leute stehen. Die Lage ist nicht mit jener in Spanien oder den USA vor der globalen Finanzkrise zu vergleichen. Doch sie ist angespannt. Neben der SNB hat auch der Internationale Währungsfonds (IWF) die Schweiz vor einer Blase gewarnt. Gemäss UBS-Index hat der Immobilienmarkt letztes Jahr die Phase «Risiko» erreicht (vgl. «Immobilienmarkt als Risiko»).

Was tun?

Es wäre nicht die erste Immobilienblase in der Geschichte der Schweiz. Es ist erst gut zwanzig Jahre her, als die letzte platzte. Damals mussten die Banken 42 Milliarden Franken abschreiben. Die Spar- und Leihkasse Thun musste die Türen schliessen, bei der Berner Kantonalbank riss ein Loch von drei Milliarden auf. Berücksichtigt man die Grösse der Volkswirtschaft, entsprechen die Abschreiber etwa jener der US-Subprime-Krise, so eine Studie der Credit Suisse.

Was tun? Langfristig gibt es keinen anderen Weg, als die Einkommensschere europaweit wieder schrittweise zu schliessen. Nur damit wird wieder eine Nachfrage geschaffen, die auf Einkommen statt auf Schulden beruht. Als Steueroase hat die Schweiz auch international massgeblich zur zunehmenden Ungleichheit beigetragen. Nicht nur, indem die hiesigen Banken Beihilfe zum Steuerbetrug leisteten, sondern auch durch die Forcierung des Steuerwettbewerbs, der es dem Umverteilungsstaat immer schwerer macht, Steuern einzutreiben. Kurzfristig geht es darum, die Neuverschuldung zu drosseln. Eine dezidierte Massnahme schlägt der Freiburger Wirtschaftsprofessor Sergio Rossi vor. Er fordert, den Steuerabzug für Hypothekarschulden abzuschaffen.

Die jüngsten Bundesratsmassnahmen gehen viel weniger weit. Sie werden kaum mehr als Signalwirkung haben. Darin sind sich neben den ImmobilienexpertInnen auch die bürgerlichen Kritiker einig.

So verwundert es wenig, dass die Reaktionen verhältnismässig verhalten ausfielen. Die Rallye auf dem Immobilienmarkt wird noch eine Weile weitergehen.

Eigenkapitalpuffer

Der Bundesrat hat kürzlich auf Antrag der Nationalbank (SNB) den sogenannten antizyklischen Kapitalpuffer aktiviert. Damit wollen SNB und Bundesrat die Überhitzung auf dem Schweizer Immobilienmarkt bremsen, die sich zu einer gefährlichen Blase entwickeln könnte. Die Banken sind ab September verpflichtet, die vergebenen Hypothekarkredite mit einem Prozent zusätzlichem Eigenkapital zu hinterlegen.

Damit werden die Kreditvergabekosten erhöht, was zu höheren Zinsen führt und die Vergabe von Hypotheken bremst. Zudem wären die Banken mit dem höheren Eigenkapital besser in der Lage, allfällige Kreditausfälle zu tragen. Die SNB besitzt das Instrument des antizyklischen Kapitalpuffers seit Mitte 2012. Sie könnte damit bis zu 2,5 Prozent zusätzliches Eigenkapital beim Bundesrat für alle Banken beantragen. Die Massnahme ist temporär und kann jederzeit rückgängig gemacht werden.