Medientagebuch: JournalistInnen als Marke
Tobias Müller über das Projekt «De Nieuwe Pers».
Es war kein geringer Verlust für den niederländischen Zeitungsmarkt, als das «Dagblad De Pers» vor einem Jahr sein Erscheinen einstellte. Anders als diverse boulevardeske Trashformate bewies die liberale «Pers», dass eine Gratiszeitung auch Qualität haben kann. Gestützt auf ansprechende AutorInnen, kombinierte die Redaktion einen unverbrauchten, frischen Stil mit inhaltlicher Präzision und analytischer Schärfe. Das Blatt richtete sich an ein urbanes Publikum, gebildet und durchaus Lifestyle-affin, und so wurde der verschwundenen Publikation denn auch so manche Träne nachgeweint.
Wie viel Potenzial in dem Konzept steckte, wird noch klarer, seit die Zeitung im Februar als «De Nieuwe Pers» wieder aufgelebt ist. Wieder enthält sie alles, was die Vorgängerin attraktiv machte: geschliffene Schreibe, hintergründige Features, Platz für Kultur und Wirtschaft – und ihr spezielles Profil. Nur dass diese Zutaten jetzt noch deutlicher zutage treten – zutage treten müssen –, denn «De Nieuwe Pers» liegt nicht am Bahnhof zum Mitnehmen, sondern im Apple Store zum Download auf: Zunächst für iPhone und iPad konzipiert, soll sie bald ihre Windows-kompatible Entsprechung bekommen.
Das auffälligste Merkmal der «Zeitung von Morgen» (wie sie sich selber nennt) ist jedoch ihr Bezahlmodell: «De Nieuwe Pers» ist, abgesehen von einem wechselnden Themenblog, einer Nachhaltigkeitsrubrik sowie einigen Kolumnen, nicht mehr gratis, sondern bietet ein bemerkenswertes Abonnementskonzept. Für 4,99 Euro im Monat bekommt man Zugang zum Gesamtangebot. Aber «De Nieuwe Pers» versteht sich auch als erste Zeitung der Welt, deren LeserInnen Artikel bestimmter AutorInnen direkt und einzeln abonnieren können, was monatlich 1,79 Euro kostet.
Just dies ist der Clou des digitalen Neustarts der «Pers»: Sie etabliert ihre JournalistInnen als FreelancerInnen, die selbst für Inhalte und Anzahl ihrer Artikel verantwortlich sind. Jede Journalistin, jeder Journalist ist eine eigene Marke. Entsprechend ausgefeilt sind ihre Profile: Unter den ursprünglich elf «Redaktoren» finden sich regionale SpezialistInnen und solche für Nachhaltigkeit, Wirtschaft und Finanzen oder Kultur. Ihre Artikel publizieren sie in sogenannten «Kanälen», die auf der aktuellen Titelseite der App erscheinen und sich den AbonnentInnen ähnlich wie ein Tab öffnen.
Ob das Modell funktioniert, muss sich zeigen: Die 20 000 Downloads allein am ersten Tag liessen den Server jedenfalls crashen. Dass nach einer Woche gerade 1 000 Abonnements abgeschlossen worden waren, illustriert das zu erwartende Gefälle zwischen Gratis- und Bezahlteilen des Konzepts. Doch die MacherInnen sind mit dem Start ziemlich zufrieden. Im ersten Jahr peilen sie 2 000 Abos an, um das Projekt, das mit 24 000 über Crowdfunding gesammelten Euros an den Start ging, am Leben zu halten.
Schrittweise sollen die JournalistInnenstellen auf ungefähr fünfzig aufgestockt werden. Noch im Februar kamen die ersten drei Neuen hinzu. Als dickster Fisch im «Pers»-Teich dürfte sich im Frühjahr dann ein alter Haudegen entpuppen. Der renommierte Kriegsberichterstatter und Investigativjournalist Arnold Karskens will die niederländische Thronübergabe Ende April auf seine eigene Weise vorbereiten: mit einer Recherche über die Rolle des Vaters der neuen Königin Maxima, Jorge Zorreguieta, in der argentinischen Militärdiktatur. Schon deshalb wird man von «De Nieuwe Pers» bald noch mehr hören.
Tobias Müller schreibt für die WOZ aus den Niederlanden.