Zypern, Irland, Island: Drei Inseln, drei Krisen, drei Reaktionen
Nur durch den Druck von oben, durch die Ultimaten der Finanzmärkte, würden «dringend notwendige Strukturreformen» umgesetzt. Das sagen die Regierenden. Dabei geht es auch anders, wie das Beispiel Island zeigt.
Der Chef der Gruppe der EU-Länder mit der Einheitswährung Euro, Jeroen Dijsselbloem, versuchte sich ein paar Tage lang herauszureden. Das Wort «template» kenne er gar nicht; sein Englisch sei eher mittelmässig. Daher könne er auch nicht gesagt haben, die EU-Vorgehensweise in Zypern sei eine «Blaupause» oder ein «Modell» dafür, wie zukünftig mit anderen Krisenländern verfahren werde. Tatsächlich hat der niederländische Politiker und aktuelle Eurogruppenchef ebendies gesagt und dies auch so gemeint. Und führte mit Blick auf andere EU-Länder mit grossem Bankensektor aus: «Stärkt eure Banken, repariert die Bilanzen. Und seid euch im Klaren darüber: Wenn Banken in Probleme geraten, kommen wir nicht automatisch, um diese zu lösen.»
Dass Zypern in den Fokus der Eurokrise gelangen würde, war spätestens Mitte 2012 deutlich geworden. Damals hatten sich EU und Internationaler Währungsfonds (IWF) auf ein neues Hilfspaket für Griechenland geeinigt. Man verständigte sich dabei auf eine Verlustbeteiligung privater GläubigerInnen. Während es den grossen Banken in Deutschland, Frankreich und Britannien in den vorangegangenen zwei Jahren gelungen war, aus griechischen Anleihen auszusteigen oder diese abzuschreiben, blieben die eng mit der griechischen Ökonomie verflochtenen zypriotischen Banken weiter massiv in Griechenland engagiert (siehe WOZ Nr. 13/13 ).
Drei Behauptungen
Aber stimmen die drei klassischen Schuldzuweisungen, die in der Öffentlichkeit als Erklärung für die Zypernkrise kolportiert werden? Hat Zypern über seine Verhältnisse gelebt, war es ein Hort für russisches Schwarzgeld, ist der Bankensektor völlig aufgebläht? Diese Behauptungen sind entweder unzutreffend oder zur Erklärung unzureichend.
Denn Zyperns Staatsschuld lag zu Beginn der Finanzkrise 2007/08 unter 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und 2012 bei rund 65 Prozent, also deutlich unter dem deutschen Niveau (81 Prozent). Wenn sie jetzt explodiert, dann hängt dies teilweise mit dem Schuldenschnitt in Griechenland und eng mit der jüngsten Zuspitzung der Finanzkrise zusammen. Doch dafür trägt die Eurogruppe die Hauptverantwortung. Wenn es in diesen Tagen heisst, die Staatsschuld Zyperns werde bald bei 150 Prozent des BIP liegen, dann wird damit gesagt: Mit der «Lösung» der Krise, wie sie von der EU diktiert wurde, wird Zypern in einen Zustand der Dauerkrise versetzt.
Dazu kommt, dass die Verflechtung der zypriotischen Wirtschaft mit der EU und insbesondere mit Griechenland weit wichtiger ist als das Engagement russischen Kapitals. Schliesslich waren Zyperns EU-Beitritt im Jahr 2004 und die Einführung des Euro 2008 an strikte Kriterien geknüpft, die auch eingehalten wurden.
Und dann wuchs der zypriotische Finanzsektor insbesondere nach dem Beitritt zur EU und besonders stark nach Einführung des Euro. Diese Entwicklung hat also viel mit der allgemeinen Entwicklung des weltweiten Finanzsektors und mit der Liberalisierung zu tun, die ja gerade von der EU vorangetrieben wurde. 2011 forderte der IWF noch, Zypern solle seinen «Schuldenberg abbauen, damit das Land seine Position als internationales Geschäfts- und Finanzzentrum ausbauen» könne. Im Übrigen ist der Finanzsektor in der Republik Zypern proportional zur Volkswirtschaft nicht wesentlich grösser als der in der Schweiz. Er wird von Luxemburg um ein Vielfaches übertroffen und ist deutlich kleiner als der irische zu Beginn der Krise. Selbst noch im Jahr 2011, drei Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise in Irland, überstieg die Bilanzsumme der irischen Banken das irische BIP um das Neunfache. In Zypern liegt dieser Wert beim Siebenfachen.
Warum aber wurde Irland durch die Eurogruppe mit einem deutlich grösseren Kredit geholfen? Warum wurde im Fall Irland auf eine Eigenbeteiligung des Landes und der BankkundInnen verzichtet? Und warum gab es weder in Irland noch anderswo – Griechenland teilweise ausgenommen – ein derartiges Hineinregieren der Eurogruppe in ein Krisenland, unter anderem mit der Festlegung, dass eine spezifische Bank, die Laiki-Bank, liquidiert werden müsse? An der Art der Krise kann es nicht gelegen haben. In Irland stehen heute noch 294 000 neu errichtete Wohneinheiten leer; Tausende werden inzwischen abgerissen. Vergleichbare Krisenphänomene wurden aus Zypern bisher nicht berichtet.
Sicher spielen bei den Krisenländern Zypern und Irland spezifische Faktoren eine Rolle: Irland ist deutlich grösser als Zypern; die enge Verflechtung mit Britannien erforderte – zumindest zum Zeitpunkt des damaligen Hilfsprogramms der Eurogruppe – eine grössere Rücksichtnahme. Und die Möglichkeit, mit der für Zypern gefundenen Lösung die eine oder andere Milliarde Euro Kofinanzierung seitens russischer AnlegerInnen zu erreichen, mag verlockend gewesen sein.
Krisenlösung von oben
Letzten Endes geht es jedoch im Fall Zypern wirklich um diese Blaupause, um ein klassenpolitisches Modell der Krisenlösung. Dieses Modell hat drei Bestandteile:
- Erstens wird es durch ein Diktat der EU, gegebenenfalls vertreten durch die Europäische Zentralbank (EZB), durchgesetzt. Am 22. März titelte die in Deutschland führende Wirtschaftszeitung, das «Handelsblatt»: «Das Ultimatum». Darunter: «Im Poker um Zyperns Zukunft geht Mario Draghi aufs Ganze. Der EZB-Chef droht, Anfang der Woche den Geldhahn zuzudrehen, wenn es bis dahin kein Rettungspaket gibt. (…) Das Ultimatum ist ein traditionelles Mittel der Politik. Nicht selten ging das Ultimatum einer Kriegserklärung voraus.»
- Zweitens ist dieses Modell kombiniert mit einer Ausschaltung der Demokratie, des nationalen Parlaments. Wie lange die Banken auf Zypern geschlossen blieben, welche Bank liquidiert wird und welche Guthaben wie hoch belastet werden – all dies wurde in Brüssel entschieden. Ebenso aufschlussreich war es, wie kurz zuvor einige führende EU-PolitikerInnen, darunter die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, in den Präsidentschaftswahlkampf auf Zypern zugunsten des konservativen Kandidaten Nikos Anastasiadis eingegriffen hatten – und wie dieser dann in den Tagen der Zypernkrise in Brüssel den Watschenmann abgeben musste.
- Drittens läuft dieses Modell auf eine schwere Wirtschaftskrise mit dem Abbau sozialer Sicherungssysteme und der Senkung des Lohnniveaus hinaus. Wird diese Politik als «template», als Modell für Euroland (beispielsweise demnächst in Italien), angewandt, bewirkt dies perspektivisch die Erhöhung der Profite von Konzernen und Banken.
Mit dieser Blaupause, die im Übrigen in Griechenland bereits weitgehend zur Anwendung kam, soll ein für alle Mal ausgeblendet werden, dass es andere Arten von Krisenlösungen gibt – etwa unter Berücksichtigung der Interessen der Bevölkerung.
Dreimal Nein
Das war in Island der Fall, in einer etwa halb so grossen Volkswirtschaft. Island geriet 2008 in eine ähnliche Krise. Zuvor war es zu einem bedeutenden Finanzplatz avanciert. 2007 war die Bilanzsumme der drei grössten Banken des Landes sogar zehnmal höher als das isländische BIP. Im Herbst 2008 zerbröselten die isländischen Grossbanken; die Regierung verstaatlichte sie. Die Regierungen in London und Den Haag entschädigten in ihren Staaten einige Zehntausend AnlegerInnen, die beim Bankenkrach in Reykjavik ihr Geld verloren hatten – und forderten daraufhin von Islands Regierung, die vernichtete Summe von knapp vier Milliarden Euro zu erstatten.
Islands Regierung wollte durchaus einlenken. Doch die IsländerInnen lehnten es in drei Volksabstimmungen – im März 2010, im April 2011 und im Oktober 2012 – ab, für die spekulativen Geschäfte einiger weniger zu bezahlen. Im dritten Referendum stimmten darüber hinaus mehr als achtzig Prozent der Forderung zu, dass «die natürlichen Ressourcen Islands vergesellschaftet» werden müssen. Dabei bewiesen die Menschen in Island mit ihrem Nein erstaunlichen Mut: Denn 2010 gab es bereits eine offizielle Arbeitslosigkeit von zehn Prozent. Das entsprach dem damaligen Niveau von Griechenland oder dem von Zypern im Jahr 2012.
Wie sieht die Bilanz Ende 2012 aus? Die Arbeitslosigkeit hat sich auf 4,8 Prozent halbiert – eine der niedrigsten Raten in Europa. Die Staatsverschuldung liegt mit 66,4 Prozent erheblich unter dem EU-Durchschnitt. Die Wirtschaft wuchs 2011 und 2012 um 3,1 respektive 2,4 Prozent. Der Bankensektor ist fast komplett verstaatlicht. Der Sozialstaat blieb weitgehend erhalten. Islands Währung wurde deutlich abgewertet, was den Exporten half und den Tourismus unterstützte. Und es gibt das, was jetzt in Zypern unter ganz anderen Vorzeichen eingeführt wird: rigide Kapitalverkehrskontrollen, also eine drastische Einschränkung der freien Kapitalbewegungen über die Landesgrenzen hinweg. Während in Zypern die Kapitalverkehrskontrollen dazu dienen, einen Sturm auf die Banken zu verhindern, dienten sie in Island vor allem dazu, eine Spekulation gegen die isländische Krone abzublocken. Über eine eigene Währung verfügt Zypern allerdings seit 2008 nicht mehr.
Ein Experiment
Bisher wird das Beispiel Island in den europäischen Mainstreammedien nicht beachtet oder kleingeredet. Man darf jedoch gespannt sein, wann seitens der EU oder seitens «der Finanzmärkte» – die ja letzten Endes keine anonyme Macht darstellen, sondern hinter denen Personen, Institutionen und Regierungen stehen – ein Angriff gegen dieses andere Modell gestartet wird.
Derweil verkünden massgebliche Personen in der EU, wie exemplarisch für sie das Vorgehen in Zypern ist. Der deutsche Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagte, den Pluralis Majestatis verwendend: «Wir haben jetzt das erreicht, was wir immer für richtig gehalten haben.» Wobei bedacht werden sollte, dass es eine erste «Lösung» der Zypernkrise durch die Eurogruppe gab, bei der alle AnlegerInnen, auch jene mit kleineren Bankguthaben, geschröpft werden sollten. Schäuble hatte damals diese Lösung drei Tage lang offensiv verteidigt. Man kann also davon ausgehen, dass in einer späteren Phase der Eurokrise auch auf diese «Lösung» zur Garantie der Profite grosser Banken zurückgegriffen wird.
Apropos grosse Banken. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, David Folkerts-Landau, äusserte sich ebenfalls ausgesprochen offen zum Fall Zypern. Man befinde sich hier «mitten in einem Experiment», sagte er. Und bedauerte dann, dass durch die Garantie der EZB für eine Eurostabilität «der Reformdruck stark gesunken» sei, was man «besonders in Spanien und Italien» merke. Die im Fall Zypern gefundene «Lösung» begrüsste er hingegen: Es sei doch «unwahrscheinlich, dass ohne den Druck der Finanzmärkte die unbedingt notwendigen strukturellen Reformen unternommen werden».
Winfried Wolf ist Chefredaktor des linken Wirtschaftsmagazins «Lunapark21».