Interkontinentales Outsourcing : Hier spricht das Callcenter in Tunis

Nr. 16 –

Zehntausende in Tunesien und Marokko arbeiten für Callcenter französischer Firmen. Am Weltsozialforum in Tunis sprachen Angestellte über die lokalen Arbeitskämpfe und über die internationale gewerkschaftliche Zusammenarbeit.

Es war im Januar 2011, dem Monat, in dem die tunesische Revolution zum Sturz des autoritär regierenden Präsidenten Zine al-Abidine Ben Ali führte: Weil der Internetanschluss in meiner Wohnung in Paris nicht funktionierte, rief ich die Hotline des Telekommunikationsanbieters Orange an. Nach einigen Minuten Wartezeit trug ich mein Problem vor und unterstrich die Dringlichkeit meines Anliegens: «Ausgerechnet jetzt! Angesichts der Revolution in Tunis muss ich die Verbindung mit Menschen dort halten.» Und erhielt die freundliche Antwort: «Willkommen! Ihr Anruf wurde soeben in Tunis entgegengenommen …» .

Doha K. kennt die Hintergründe. Es ist Ende März in Tunis, die Gewerkschafterin spricht am Weltsozialforum zu den Teilnehmenden eines Workshops über multinationale Telekommunikationsunternehmen. K. arbeitet in Tunis bei Téléperformance. Das 1978 gegründete Unternehmen mit Sitz und Börsenkotierung in Paris betreibt in mehreren Ländern Callcenter. Seine tunesische Filiale beschäftigt gut 5000 Menschen und betreibt den Telefonservice für mehrere grosse französische Unternehmen, unter ihnen auch Orange.

Je nach Quelle zwischen einigen 10 000 und 600 000 meist gut qualifizierte Französisch sprechende Arbeitskräfte waren Mitte des letzten Jahrzehnts in den ehemaligen Kolonien Tunesien und Marokko für Callcenter französischer Firmen tätig. Seitdem wurden keine verlässlichen Zahlen mehr erhoben, BranchenkennerInnen schätzen jedoch, dass das Beschäftigungsniveau mehr oder weniger stabil geblieben ist. Ein anderes Eldorado für diese Art Unternehmen ist der Senegal. Die Angestellten in Tunis verdienen rund ein Fünftel dessen, was ihre KollegInnen in Frankreich erhalten: umgerechnet 225 Euro. Doha K. erzählt zudem von Berufskrankheiten wie Taubheit bei Menschen, die täglich bis zehn Stunden fast ununterbrochen mit Kopfhörer telefonieren. Neunzig Fälle seien diagnostiziert worden. Abgesehen davon würden Angestellte häufig von unzufriedenen KundInnen beleidigt. Toilettenpausen gebe es nur zu von einem Computer vorgegebenen Zeiten.

Bis zum Hungerstreik

Der Sitz von Téléperformance Tunisie mit seiner glitzernden Glasfassade liegt im Stadtteil Monplaisir, nordöstlich des Zentrums von Tunis. Die Fassade ist nur das offizielle Gesicht: Die Säle, in denen die TelefonistInnen arbeiten, liegen in einem weit weniger prächtigen Gebäude dahinter. Das Unternehmen ist, wie viele andere in Tunesien, für die Dauer von zehn Jahren weitgehend von Steuern und Sozialabgaben befreit. Um nach Ablauf dieser Frist erneut in den Genuss derselben Vorteile zu kommen, genügt es allerdings meist, den Namen der Firma zu ändern. An den Steuerbefreiungspraktiken hat sich nach der Revolution nichts geändert.

Seit 2010 besteht für den Betrieb zwar ein Gesamtarbeitsvertrag mit einer Laufzeit von drei Jahren, es wurde jedoch laut Beschäftigten nie angewandt. MitarbeiterInnen und Gewerkschaften sagen, für das laufende Jahr habe es eine Lohnerhöhung von einem Prozent gegeben, was unterhalb der Inflationsrate liegt. Die örtliche Direktion behalte aus Paris angeordnete Lohnzuschläge möglicherweise zurück. Die Direktion ihrerseits sagt, die Löhne seien letztes Jahr um fünf, dieses Jahr um sechs Prozent gestiegen. Ende Februar lösten zehn Entlassungen unter den Angestellten einen Aufschrei aus. Seit Februar streikt deswegen ein Teil des Personals. Einige waren im März gar neun Tage im Hungerstreik.

Gleich am ersten Tag des Weltsozialforums waren Delegationen der französischen Gewerkschaften Union Syndicale Solidaires und CGT in Monplaisir eingetroffen und hatten zusammen mit den Angestellten auf einer Kundgebung protestiert. Die beiden Gewerkschaften hatten zuvor bereits am Konzernsitz in Frankreich Druck ausgeübt. Auch Mitglieder von Gewerkschaften aus Belgien, Ruanda, Marokko, Benin und Burkina Faso nahmen aus Solidarität daran teil. Noch am gleichen Tag nahm das Unternehmen Verhandlungen mit VertreterInnen der Angestellten auf. Konkrete Angebote blieben jedoch aus. Fünf Tage später flammte der Streik umso stärker wieder auf. Laut Gewerkschaft beteiligen sich 80 Prozent der Belegschaft, daran, das Unternehmen spricht von 53 Prozent.

Der Standortwettbewerb

Sahula M. ist eine Ingenieurstudentin, die anderthalb Jahre in einem Callcenter gearbeitet hat. In der Anfangsphase, sagt sie, hätten Unternehmen wie Téléperformance vor allem MaturandInnen eingestellt. «Nun wollen sie aber nur noch die Crème de la Crème: Leute mit abgeschlossenem Studium oder solche, die gar an einer Doktorarbeit sitzen. Ihr Französisch soll möglichst makellos klingen.» Die KundInnen in Frankreich sollten nicht merken, dass ihr Anruf in Nordafrika angenommen werde. «Auf die hohe Jugendarbeitslosigkeit angesprochen, verweist die Regierung auf Pläne für die Eröffnung neuer Callcenter. Dieses Mal im Süden Tunesiens und in den unterentwickelten, küstenfernen Regionen», sagt M. Das Phänomen der ausgelagerten Callcenter wird zunehmen.

Auch in Marokko hat der Arabische Frühling Protestbewegungen hervorgebracht. Aber auch dort hat sich an der sozialen Situation der Angestellten in den Callcentern bislang nichts geändert. Imad L., ein junger Gewerkschafter, sagt, ihre Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen werde von konservativen Kreisen als Landesverrat bezeichnet. Deren Argument: Den französischen Gewerkschaften, von denen die Angestellten Unterstützung erhielten, gehe es nur darum, die Arbeitsplätze nach Frankreich zurückzuholen. Und die Tunesier seien noch dumm genug, ihnen dabei zu helfen. Dabei ist die Mobilisierung der Beschäftigten schon so genug schwierig. Manche von ihnen lasse man bereits bei ihrer Einstellung eine Selbstkündigung «auf Vorrat» unterschreiben, sagt L.

GewerkschafterInnen aus der französischsprachigen kanadischen Provinz Québec gaben an der Diskussion am Sozialforum zu bedenken, Callcenter würden sehr wohl verlegt, wenn die entsprechende Unternehmensführung zur Ansicht gelange, dass es an einem Standort zu viele Arbeitskämpfe gebe. In einer globalisierten Welt werden Standorte gegeneinander ausgespielt. Allerdings verweist Doha K. auf einen gleichzeitigen Vorteil: «Die globale Aktivität von Unternehmen wie Téléperformance hat es uns erlaubt, uns hier zu treffen.»