Frankreich: Warum diese Ehe viele Konservative erhitzen kann

Nr. 18 –

Mit der Gleichstellung homosexueller Paare hat die französische Mitte-links-Regierung ein erstes Versprechen eingelöst. Warum gehen dagegen sogar gutbürgerliche Konservative auf die Strasse?

Es ist das erste relevante Wahlversprechen überhaupt, das die seit bald einem Jahr amtierende französische Regierung aus SP und Grünen einlöst: Am 23. April wurde in «feierlicher», also namentlicher Abstimmung der Nationalversammlung in Paris ein Gesetzesentwurf angenommen, gegen den sich seit Monaten heftige Proteste richteten. Als neuntes Land in der Europäischen Union und als vierzehnter Staat weltweit hat Frankreich die Institution der Ehe auch homosexuellen Paaren voll geöffnet.

Ausser für die Heiratswilligen unter ihnen ändert sich dadurch für niemanden etwas. Umso erstaunlicher wirkt es deshalb auf den ersten Blick, welch massive Reaktionen die Gesetzesreform hervorgerufen hat. Die Demonstrationen dagegen zogen mehrere Hunderttausend TeilnehmerInnen an, die VeranstalterInnen behaupten sogar: Millionen.

Gegen die «sozialistische Diktatur»

Eine der Organisationen, die die Demonstrationen organisierten, nennt sich Printemps Français, Französischer Frühling, in Anlehnung an die abgenutzte Metapher vom Arabischen Frühling, mit der einige Monate lang die antidiktatorischen Revolten in Nordafrika bezeichnet wurden. Der Französische Frühling bildete etwa Blockaden oder versuchte, Polizeiketten zu durchbrechen. Auch die Gruppierung der Hommen protestierte gegen die Gleichstellung: als maskulines vorgebliches Pendant zu den barbusig protestierenden Feministinnen der Gruppe Femen, die in der Ukraine entstanden ist und in den letzten Monaten auch in Frankreich aktiv wurde. Diese jungen Männer liessen sich mit nacktem Oberkörper an öffentlichen Gebäuden anketten. Mit viel Pathos und Posen liessen sich die selbst ernannten Märtyrer von Polizisten abtransportieren.

Andere GegnerInnen griffen zu drastischeren Mitteln: In Paris, Lille und Nizza wurden in den letzten zwei Wochen vermehrt Homosexuelle angegriffen. Im nordfranzösischen Lille stürmten Skinheads eine Schwulenbar. Am Dienstagabend vergangener Woche, gleich nach der definitiven Verabschiedung des Gesetzestexts, wurden am Rand einer nächtlichen Protestdemonstration PolizistInnen und JournalistInnen attackiert. Sie seien «Kollaborateure der sozialistischen Diktatur», riefen RandaliererInnen aus rechtsradikalen Gruppen wie dem katholisch-nationalistischen Renouveau français.

Das Trauma der Moderne

Diese AktivistInnen zählen zu offen rechtsextremen und profaschistischen Gruppierungen, die versuchen, sich als Speerspitze des radikalisierten Protests zu profilieren und dadurch neue AnhängerInnen zu gewinnen. Doch das Spektrum der Protestbewegung reicht bis hinein in das konservative Milieu der Mitte. Warum konnte der homophobe Protest eine derartige Dynamik auslösen? Dafür gibt es unterschiedliche Gründe – aktuelle und strukturelle.

Ein aktueller Grund liegt in der erbärmlichen Zwischenbilanz der Regierungskoalition: Neben der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe hat sie nämlich keine weiteren Erfolge vorzuweisen. Insbesondere in der Wirtschafts- und Sozialpolitik zeigt sie kaum Gestaltungswillen. Vielmehr beruft sie sich auf kapitalistische «Sach-» und europäische «Sparzwänge» und exekutiert den Willen «der Wirtschaft». Sie weist kaum Unterschiede zu ihrer Vorgängerregierung auf – somit hatten die bürgerlichen RegierungsgegnerInnen in diesem Bereich wenig Anlass zu protestieren und stürzten sich deshalb in einen Kulturkampf um «Werte».

Als struktureller Grund kommt das historische Erbe Frankreichs hinzu, das in einem Teil der Gesellschaft weiterwirkt: Diese Gesellschaftsschicht zeichnet sich durch katholische Werte und konservative Einstellungen aus. In anderen europäischen Ländern sind solche Leute eher unpolitisch oder bringen ihren politischen Dissens dezent zum Ausdruck. In Frankreich aber sind die Konservativen bis heute durch den Epochenumbruch von 1789 geprägt: Die gesellschaftliche Modernisierung wird dauerhaft mit einer traumatisch erlebten Wende verbunden – mit dem Zusammenbruch der als «natürlich» empfundenen Ordnung.

Deswegen besteht in einem Teil des konservativen bis reaktionären Milieus stets die Bereitschaft, sich notfalls auch öffentlich protestierend der Politik der Regierenden zu widersetzen. Die meiste Zeit über bleibt diese Mobilisierungskraft konservativer Kreise latent. Aber wenn ein Thema – wie etwa die gleichgeschlechtliche Ehe – als besonderer Stachel im Fleisch wahrgenommen wird, dann schlägt die Stimmung um. Zumal wenn, wie im Augenblick, dem rechten Protest die Strasse überlassen bleibt, weil die Basis der Linksparteien und ein Gutteil der Gewerkschaften desorientiert, frustriert und perspektivlos vor sich hin dümpeln.