Kommentar: Das schöne Neuenburger Ei
Bei Genolier haben am letzten Sonntagabend, nach den Neuenburger Kantonswahlen, sicher die Champagnerkorken geknallt. Die Privatklinikgruppe hat das Neuenburger Spital La Providence übernommen und muss nun nicht mehr fürchten, dass das nach rechts gekippte Kantonsparlament per Gesetz einen Gesamtarbeitsvertrag vorschreibt. Das bedeutet: Der Kampf für einen allgemeinverbindlichen GAV im Gesundheitswesen des Kantons ist definitiv verloren.
Ob SVP-Politiker Yvan Perrin wohl ebenfalls eine Flasche entkorkt hat? Er zeigte sich als Erster überrascht und sichtlich gestresst von seinem Wahlerfolg. Perrin hat das drittbeste Resultat erzielt und dürfte im zweiten Wahlgang als Regierungsmitglied bestätigt werden. Und dies, obwohl er nicht nur wegen seines angegriffenen psychischen Gesundheitszustands einen Skandal provoziert hat, sondern vor allem auch als Kodirektor einer Sicherheitsfirma, deren Agenten in die Affäre um mutmassliche sexuelle Übergriffe in einem Asylheim verwickelt sind.
Perrin hat den Negativschlagzeilen einen Auftritt als bescheidener, sich seiner Schwächen bewusster Meister Proper entgegengestellt – eine Glanzleistung. Von den Wählenden wurde er jedenfalls nicht zur herrschenden bürgerlichen Politikerschicht gezählt, die sie abstrafen wollten: Leute wie der anmassende Frédéric Hainard, der als FDP-Regierungsrat wegen Begünstigung seiner Geliebten zurücktreten musste und umgehend an der Spitze einer neu gegründeten Partei wieder zur Wahl antrat, oder wie Regierungsrat Philippe Gnaegi (FDP), dessen dünkelhaftes Auftreten als Vermittler beim Spitalstreik ihm eine Rekordschlappe eintrug.
Bisher gab es die berüchtigten «Genfereien» – seit der letzten Legislaturperiode gibt es auch die «Neuenburgereien»: endlose Skandale und Affären in den politischen Instanzen. Die Antwort der Wählenden ist klar: Kein einziger Bisheriger sitzt in der neuen Regierung. Ob das für die Erneuerung reicht? Zweifel sind angesagt. Statt wie bisher eine rechte Regierung und ein linkes Parlament hat Neuenburg nun ein rechtes Parlament und voraussichtlich eine linke Regierung mit einem psychisch fragilen Yvan Perrin als fünftem Rad am Wagen. Die Stimmberechtigten haben ihren politischen Autoritäten ein schönes Ei gelegt.