Afghanistan: Die Kerle und die Frauenrechte

Nr. 21 –

Das Gesetz zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen ist eigentlich ein bescheidenes Gesetz. In Afghanistan bedeutete das Dekret, das Präsident Hamid Karzai 2009 erliess, aber viel: Erstmals in der afghanischen Geschichte wurde damit die Vergewaltigung illegal. Das Gesetz verbietet auch über zwanzig weitere Formen von Gewalt an Frauen und Mädchen: etwa die Kinderhochzeit, Zwangsheirat, Frauenhandel zu Heiratszwecken oder zur Beilegung von Familienstreitigkeiten.

Dem Gesetz fehlt aber noch immer die parlamentarische Ratifikation. Unter den Frauen im Parlament, die 26 Prozent der VolksvertreterInnen ausmachen, war umstritten, ob eine Parlamentsdebatte mehr Schaden oder mehr Nutzen zur Folge hätte. Seit Samstag ist klar: Der Ratifikationsversuch ist gescheitert – die konservativen Kräfte, die wichtige Teile des Gesetzes als «unislamisch» ablehnen, behielten die Oberhand. Damit ist das grundlegende Gesetz auf unbestimmte Zeit vom Tisch und damit wohl auch die bisherige Teilanwendung durch Gerichte und Sicherheitskräfte.

Zwölf Jahre nach Ende der Talibanregierung ist das ein weiteres Signal, dass die westliche Einflussnahme kaum nachhaltige Fortschritte bei den Menschenrechten zur Folge hatte – und dass sich dieser «roll back» seit der Ankündigung des US-Truppenabzugs noch verstärkt hat. Bereits letztes Jahr hatte Karzai einen religiösen «Verhaltenskodex» bestätigt, der Ehegatten unter gewissen Umständen das Schlagen «ihrer» Frauen erlaubt.

Neben den fortschrittlichen Parlamentarierinnen zeigen sich auch die Uno und internationale Menschenrechtsorganisationen wie Medica mondiale und Human Rights Watch besorgt über den aktuellen Rückschritt. Human Rights Watch hat am Dienstag einen Bericht veröffentlicht, der im Bereich der Frauenrechte besonders seit 2011 eine Verschlechterung ortet: Gemäss Daten des afghanischen Innenministeriums habe die Zahl der Frauen, die aufgrund «moralischer Straftaten» inhaftiert sind, innerhalb von 16 Monaten von rund 400 auf 600 zugenommen. 95 Prozent aller inhaftierten Mädchen und die Hälfte der Frauen hätten solch «moralische Straftaten» begangen. Darunter fällt etwa die Flucht vor häuslicher Gewalt – und ausserehelicher Sex, der auch dann den Frauen angelastet werde, wenn sie vergewaltigt oder zur Prostitution gezwungen worden sind.

Die Ablehnung des Gesetzes solle der ganzen Welt eine Mahnung sein, sagte die Menschenrechtsaktivistin Wazhma Frogh gegenüber einem afghanischen TV-Sender: «Nach zwölf Jahren Kampf und Aufopferung übergibt man nun das Schicksal der afghanischen Frauen in die Hände jener Kerle, die bereit sind, den Frauen jedes Recht wegzunehmen.»