Journalismus in Afghanistan: Unter den Augen der Zensoren

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Während die Taliban laufend restriktiver herrschen, können immer weniger Journalist:innen überhaupt darüber berichten. Willkür und Repression stellen sie vor die Frage: Selbstzensur oder Flucht?


Als der TV-Kanal Kabul News Ende Oktober 2022 aufhörte zu senden, überraschte diese Nachricht kaum mehr. Dem Sender war das Geld ausgegangen; sein Programm beschränkt sich seither auf Beiträge, die auf Social Media erscheinen. Er soll zwar dem Expräsidenten Hamid Karzai nahegestanden haben, aber dennoch war Kabul News während Jahren bekannt für kritische Berichterstattung, die auch vor den Regierenden in der Hauptstadt nicht haltmachte. Dass die Fernsehstation den Taliban früher oder später ein Dorn im Auge sein würde, war vorhersehbar. Und sie steht bei weitem nicht alleine da: Seit dem Abzug der Nato-Truppen aus Afghanistan Mitte 2021 und der raschen Rückkehr der Taliban haben zahlreiche Medien ihre Arbeit eingestellt.

Das hat zum einen mit finanziellen Problemen zu tun: Viele waren durch ausländische Gelder finanziert worden, die mit dem Machtwechsel abrupt ausblieben. Zum anderen, und vor allem, liegt das aber auch an den neuen Machthabern selbst. So etwas wie Presse- und Meinungsfreiheit gibt es unter den Taliban – entgegen deren anfänglichen Beteuerungen – nämlich nicht. Stets betonen deren Verantwortliche, dass die Berichterstattung im Land «islamkonform» sein müsse oder etwa nicht gegen «die traditionellen Normen Afghanistans» verstossen dürfe. Das klingt nicht nur vage, sondern ist es auch. Praktisch alles kann jederzeit ins Visier der Zensoren geraten. Die Medienkontrolleure der Taliban sind überaus aktiv.

So werden lokale Fernsehprogramme und selbst von ausländischen Journalist:innen produzierte Dokumentationen, die auf Youtube abrufbar sind, genaustens begutachtet. Hinzu kommt die Überwachung von Radioprogrammen – seit der Rückkehr der Taliban darf keine Musik mehr übertragen werden – und von Smartphones, die Fusssoldaten an Checkpoints meist willkürlich durchsuchen. Private Musikplaylists oder etwa Tiktok-Videos können da schnell zum Verhängnis werden. «Viele Gefängnisse sind voll aufgrund von Social-Media-Delikten», sagt ein gut informierter Exsoldat, der aus Sicherheitsbedenken anonym bleiben will. «Man trifft dort auf Menschen, die aufgrund ihrer Aktivitäten auf Facebook oder Tiktok inhaftiert wurden.»

Einschüchterung und Einflussnahme

All dies ist vor allem für jene schmerzhaft, die einst Teil der vielfältigen Medienlandschaft waren, die in Afghanistan in den Jahren nach der Vertreibung der Taliban 2001 entstanden war. «Die Taliban betrachten Meinungs- und Pressefreiheit als westliche Erfindungen», sagt Dschawed Farhad, ein ehemaliger Universitätsdozent, Publizist und Medienmacher in Kabul, am Telefon. Deshalb seien sie Journalist:innen gegenüber nicht wohlwollend gesinnt: «Man darf sich in Afghanistan nicht mehr frei äussern. Die Linie der neuen Machthaber ist klar.» Einst hat Farhad selbst Journalist:innen ausgebildet, und er war für seinen eigenen Nachrichtensender Khurshid TV tätig. Diesen gibt es mittlerweile nicht mehr. «Wir mussten unsere Arbeit im August 2021 beenden», sagt Farhad, also gleich nach der Rückkehr der Taliban. Vor rund einem Jahr hat er einige Aufmerksamkeit erhalten, als er wegen Geldmangel seine Büchersammlung verkaufen musste.

Während Dschawed Farhad arbeitslos geworden ist, kaum noch das Haus verlässt und als säkularer Demokrat von den Taliban bedroht wird, versuchen andere, den neuen Machthabern die Stirn zu bieten. Bekannte Fernsehsender wie Tolo TV oder Shamshad TV sind weiterhin aktiv. Zu deren regelmässigen Gästen gehören aber auch Talibanoffizielle. Und eine unabhängige Berichterstattung ist auch deshalb kaum möglich, weil die Extremisten im Verborgenen täglich aufs Neue versuchen, sich in die Arbeit der Medien einzumischen.

Deutlich wurde dies beispielsweise, als sie anfingen, ihr Verschleierungsgebot für Frauen auch vor den Kameras durchzusetzen. Anfangs wurde bei den Fernsehstationen noch dagegen protestiert; die männlichen Mitarbeiter von Tolo TV etwa solidarisierten sich mit ihren Kolleginnen und bedeckten wie diese auf Sendung ihr Gesicht mit einer Maske. «Sie haben nicht das Recht, sich in die Belange unserer Moderatorinnen einzumischen», sagte damals Chpalwak Safi, einer der Chefs des Senders. Mittlerweile hat auch er das Land verlassen. Und weibliche Medienschaffende treten meist komplett verschleiert auf, also auch mit verborgenem Gesicht. Oder sie sind vollständig von der Bildfläche verschwunden.

Immer wieder sickerten im letzten Halbjahr Berichte über Einflussnahme und Einschüchterungstaktiken der Taliban gegen Medienschaffende durch. Die Uno spricht von mindestens 200 Fällen: Verbreitet seien Drohungen, die Anwendung physischer Gewalt und willkürliche Verhaftungen. Weiterhin versuchen Journalist:innen deshalb, das Land zu verlassen.

Einer von ihnen ist Muhammad Saman aus der Provinz Chost im Südosten des Landes. «Die Situation von Journalisten und Medienschaffenden in Afghanistan ist sehr schlecht», sagt Saman, «wir werden von den Taliban bedroht und eingeschüchtert. Man kann nicht frei arbeiten.» Die meisten Journalist:innen hätten das Land bereits verlassen, nicht zuletzt auch aufgrund wirtschaftlicher Probleme. Denn viele Gehälter seien ganz einfach nicht mehr bezahlt worden. Saman war jahrelang für lokale Medien tätig, aber deren Geldflüsse seien mittlerweile ausgetrocknet. Das habe ihn zunehmend abhängig gemacht von ausländischen Medien, für die er manchmal als «Fixer» gearbeitet habe, also als Begleiter, Übersetzer, Türöffner und Arrangeur für angereiste Journalist:innen. Zuletzt etwa vor einigen Monaten, als seine Heimatregion von einem schweren Erdbeben heimgesucht worden war. Es sorgte nur kurzzeitig für internationale Schlagzeilen. Denn das Desinteresse an Afghanistan, so scheint es, ist bereits wieder zum Normalzustand geworden.

Arbeitsverbot und Ausweisung

Lange liessen die Taliban ausländische Medien und deren Mitarbeiter:innen in Afghanistan gewähren. Vor allem in den Monaten nach ihrer Eroberung der Macht im August 2021 erteilten sie grosszügig Akkreditierungen. Mittlerweile hat der Wind auch in dieser Hinsicht gedreht. Mehreren westlichen Journalist:innen wurde im zweiten Halbjahr 2022 eine Akkreditierung verwehrt; Lynne O’Donnell, eine bekannte australische Journalistin, wurde gar festgehalten und von den Taliban zu einem Twitter-Statement genötigt, in dem sie von ihrer eigenen Arbeit Abstand nahm. Erst nach ihrer erzwungenen Abreise aus Afghanistan konnte sie den Vorfall ausführlich schildern.

Auch die deutsche Journalistin Stefanie Glinski, die hauptsächlich für internationale Medien tätig ist, berichtete auf Twitter von zahlreichen Einschränkungen. Eine weitere deutsche Journalistin, die anonym bleiben möchte, schildert der WOZ, wie die Taliban sie nach ihrer Ankunft in Kabul mit einem plötzlichen Arbeitsverbot belegt hätten: «Man wollte mir keine Akkreditierung geben», so die Journalistin, «wir mussten deshalb unsere Sachen packen und wieder abreisen.» Eine echte Systematik ist hinter der neuen Vorgehensweise allerdings nicht erkennbar. Die Taliban haben lediglich verlauten lassen, dass ausländische Reporter:innen in Afghanistan «schwere Schäden» angerichtet hätten.

Das repressive Vorgehen verdeutlicht, dass die meisten Medien von den Taliban als Feinde wahrgenommen werden, die ihnen Unrecht getan haben sollen. Die Journalist:innen hätten in den vergangenen zwanzig Kriegsjahren weder ausgewogen noch neutral berichtet, so der Vorwurf. Umso schwerer soll ihnen nun die Arbeit gemacht werden. «Zu vielen Stellen hat man gar keinen Zugang mehr», sagt Subair Hakim aus Kabul, der sich weiterhin für internationale Medien betätigt. Er erzählt von einem extrem feindseligen Umgang mit Journalist:innen. Man merke, dass man nicht gemocht werde, mit weitreichenden Folgen: «Manche Regionen, in denen Kriegsverbrechen stattgefunden haben sollen, kann man gar nicht mehr aufsuchen», sagt Hakim, «eine unabhängige Berichterstattung ist unmöglich.»

Subair Hakim achtet darauf, nicht aufzufallen, um nicht ins Visier der Taliban zu geraten. Dann nämlich müsste er mit harten Konsequenzen rechnen. Bereits im August 2021, in den ersten Tagen nach dem Machtwechsel, wurden afghanische Journalist:innen inhaftiert und gefoltert, und auch in den darauffolgenden Monaten gab es immer wieder illegale Verhaftungen. Nachdem es zu grossen Protesten gekommen war, gingen die Machthaber zwar etwas zurückhaltender vor. Aber die Journalist:innen sind noch immer grosser Willkür ausgesetzt. Im Oktober etwa wurden in der südlichen Provinz Kandahar zwei Journalisten ohne Grund inhaftiert, und als es Mitte Dezember in Kabul Proteste gegen das Universitätsverbot für Frauen gab, wurden mehrere Journalist:innen angegriffen und teils verhaftet. Für Hakim gibt es denn auch keinen Grund, optimistisch auf die Zukunft des Journalismus in Afghanistan zu schauen. «Viele von uns werden Afghanistan verlassen», sagt er. «Ich denke nicht, dass sich die Situation bessern wird.»

Frauenrechte : Zurück in den Neunzigern

Zum Jahresende hat sich die humanitäre Krise in Afghanistan aufgrund mehrerer Talibanentscheidungen weiter verschärft. Sie fielen allesamt innerhalb weniger Tage. So setzten die Extremisten ein neues Dekret durch, das Afghaninnen bis auf Weiteres den Besuch von Universitäten verbietet. Es betrifft sowohl staatliche als auch private Bildungseinrichtungen; bewaffnete Kämpfer verweigerten Studentinnen in der Folge den Zutritt zu Vorlesungen. Zur Begründung nannte Neda Muhammad Nadim, der Minister für höhere Bildung des Talibanregimes, «Sittenwidrigkeiten» sowie die «Abwesenheit islamischer Regeln und Richtlinien» an den Universitäten. Die Grundlagen für Letztere müssten erst geschaffen werden, um Afghaninnen wieder studieren lassen zu können, so Nadim. Wie man es von Talibanvertretern gewohnt ist, blieb er darüber hinaus vage.

In weiten Teilen der afghanischen Gesellschaft wird das Bildungsverbot als eine Fortführung jener misogynen Politik verstanden, für die die Taliban bereits bekannt waren, als sie in den neunziger Jahren erstmals an der Macht waren. Schon seit ihrer Rückkehr im August 2021 ist in den meisten Landesteilen die Oberstufe, also die siebte bis zwölfte Klasse, für Mädchen geschlossen. Talibanoffizielle sprachen anfangs von «logistischen Problemen» und «fehlenden Uniformen», aber der Zustand hält seither an. Hinzu kamen weitere Schritte in Richtung einer rigiden Geschlechtertrennung: Lehrer und Lehrerinnen dürfen in vielen Fällen nur noch das eigene Geschlecht unterrichten. Ebenfalls eingeführt wurden strikte Vorschriften, was das Äussere betrifft: Während Männer einen Vollbart tragen müssen, gilt für Frauen und Mädchen eine strengere Verschleierungspflicht. Öffentliche Pärke sind für Frauen nicht mehr zugänglich, und die Extremisten drängen auf eine vollständige Durchsetzung des «Mahram-Gebots»: Ohne Begleitung eines nahen männlichen Familienmitglieds dürfen sich Frauen laut Talibaninterpretation nicht mehr im öffentlichen Raum bewegen.

Wenige Tage nach dem beschlossenen Universitätsverbot sorgten die Taliban mit einer weiteren Entscheidung für einen Schock: NGO-Mitarbeiterinnen wurde ab sofort jegliche Arbeit im Land untersagt. Als Vorwand dienten ähnliche Begründungen. Die internationale Kritik war heftig, mit weitreichenden Folgen: Namhafte Hilfsorganisationen stoppten teils ihre Arbeit vor Ort. Offenbar heissen aber nicht alle Talibanflügel die jüngsten Entscheidungen gut, sie gehen wohl allesamt auf die extreme Führung rund um Staatsoberhaupt Haibatullah Achundsada zurück.

In mehreren Provinzen fanden Proteste gegen das Bildungsverbot für Mädchen und Frauen statt. Mindestens sechzig Lehrkräfte quittierten ihren Dienst, und Studenten brachen ihre Prüfungen ab, um sich mit ihren Mitstudentinnen zu solidarisieren und gemeinsam mit ihnen zu demonstrieren. Mehrere Demonstrationen wurden von den Taliban angegriffen; in der Stadt Herat im Westen des Landes setzten sie Wasserwerfer ein, an anderen Orten wurden Aktivistinnen und Journalisten zwischenzeitlich verhaftet.