Ecopop: Am Gartentisch bei den bedrängten grünen Patrioten
Die Ecopopper kämpfen gegen die «Überbevölkerung», gegen den «Dichtestress» im Land. Die WOZ hat sie in ihren Anwesen besucht und vergeblich versucht, nicht nur über Statistiken und Zahlen zu reden. Und gemerkt: Die verbrauchen selber ganz schön Land.
Der erste, instinktive Gedanke war: «Scheisse, das wird gefährlich.» Er kam mir am ersten Aprilwochenende vor zwei Jahren, als die Volksinitiative «Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen» lanciert wurde. Die Zuwanderung sollte auf jährlich 16 000 Personen beschränkt werden, um die Schweizer Umwelt zu schützen. Ich vermutete ursprünglich die Schweizer Demokraten (SD) als Urheber, jene nationalkonservative Randpartei, die ihren Fremdenhass – im Gegensatz zur SVP – auch stark ökologisch begründet. Überrascht nahm ich zur Kenntnis, dass hinter der Initiative eine Umweltorganisation namens Ecopop stand.
Im letzten Dezember ist die Ecopop-Initiative zustande gekommen, unterschrieben von 120 000 Stimmberechtigten. Anfang November dieses Jahres wird der Bundesrat seine Botschaft zur Initiative dem Parlament überweisen, das anschliessend darüber entscheidet.
Ich habe mich bisher immer nur reflexartig mit Ecopop auseinandergesetzt. Und der Reflex war eindeutig: tief empfundene Ablehnung. Wer die Schuld pauschal bei Fremden sucht und findet, ist meiner Ansicht nach fremdenfeindlich. Aber natürlich greift der Reflex zu kurz, um die offenbar populäre Initiative einzuordnen. Zumal sich die InitiantInnen von Ecopop in den Medien dagegen wehren, in die fremdenfeindliche Ecke gestellt zu werden, und stets betonen, parteiunabhängig zu sein. Tatsächlich gehören der Umweltorganisation auch Mitglieder der Grünen und der SP an. Die Initiative lässt sich nicht einfach rechtsaussen verorten. Aber wo steht sie dann? Woher kommt sie? Und wer steckt genau dahinter?
Der Zahlenjongleur
Benno Büelers Grundstück steht mitten in einem ruhigen und grünen Einfamilienhausquartier am Fuss eines Hügels am Winterthurer Stadtrand. Büeler wollte gerade ein Werkzeug aus dem Schopf holen, als ich ihn am vergangenen Samstagvormittag in seinem grosszügigen, leicht verwunschenen Garten überraschte. «Oh, ein Überfall der WOZ!», sagte Büeler. Seine Stimme klang sanft. Dann bat er freundlich zu Tisch und holte Kaffee. Ich sass derweil im Schatten eines Baums und dachte an die Grünliberalen.
Der 51-jährige Mathematiker und Agronom, dessen stechender Blick nicht zu seiner sanften Art passen will, sitzt im Initiativkomitee und ist wohl das bekannteste Gesicht von Ecopop – spätestens seit einem prominenten Auftritt in der Fernsehsendung «Arena» kurz nach Lancierung der Initiative. Zwei Stunden nahm er sich Zeit, um mir seine Positionen zu erklären. Seine Stimme blieb sanft. In seinem Gesichtsausdruck und seiner Gestik aber lag eine Dringlichkeit, die missionarisch wirkte.
Ein entscheidender Satz fiel gleich am Anfang: «Wir berufen uns auf wissenschaftliche Befunde, auf Zahlen. Das erlaubt uns, unbefangen an die Sache heranzugehen.» Büeler fuhr fort, dass unser ökologischer Fussabdruck zu gross sei und die Umwelt dadurch zu stark belastet und übernutzt werde. Es sei eine Frage der Generationengerechtigkeit und des globalen Menschenwohls, sorgsam mit der Umwelt umzugehen. Als Ursache für diese Entwicklung nannte er zunächst die Wirtschaft, die auf Profitmaximierung und stetes Wachstum ausgerichtet sei.
Ich unterbrach ihn an dieser Stelle und entgegnete, dass diese Einschätzungen meiner Meinung nach zwingend dazu führen müssten, unser kapitalistisches Wirtschaftssystem zu hinterfragen. Ecopop hingegen setze bei der Zuwanderung an. Also nicht bei sich selbst. Schuld seien schlicht die anderen.
Büeler liess sich nicht beirren: «Alle Länder, die im 20. Jahrhundert eine Alternative zum Kapitalismus versucht haben, sind gescheitert. Gerade auch ökologisch», sagte er. Andererseits hätten sich sämtliche Appelle an die Politik, den Pro-Kopf-Konsum zu senken, als nutzlos erwiesen. «Vor diesem Hintergrund ist es eine logische Folge, neben der technischen Effizienz auch bei der Bevölkerungszahl anzusetzen. Diese ist in den letzten Jahrzehnten explodiert. Heute leben über sieben Milliarden Menschen auf der Erde. Und die Kurve steigt weiter an.» An diesem Punkt setze die Initiative an, indem sie fordere, dass mindestens zehn Prozent der Ausgaben der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit für die freiwillige Familienplanung ausgegeben würden – vor allem für Aufklärung und den Zugang zu Verhütungsmitteln. Minutenlang jonglierte der dreifache Vater mit Zahlen, um den Effekt der Familienplanung aufzuzeigen.
Ich wollte wissen, weshalb sie diese beiden Aspekte – die Familienplanung und die Zuwanderung – unbedingt koppeln mussten. Ein nationaler Ansatz wie eine Nettozuwanderungsbegrenzung auf 16 000 Personen sei doch unbrauchbar für komplexe globale Themenfelder wie die Ökologie und die Demografie. «Eine reine Entwicklungshilfe-Initiative hätte in der Schweiz keine Chance gehabt», erwiderte Büeler. Ausserdem gehe es Ecopop nicht nur darum, das globale Bevölkerungswachstum zu verlangsamen, sondern auch um den Erhalt von Lebensqualität in der Schweiz, wo achtzig Prozent des Bevölkerungswachstums aus der Zuwanderung stammten. «Eine glaubwürdige ökologische Politik erfordert eine stringente lokale und globale Politik. Man kann nicht globale Forderungen aufstellen und selbst nichts tun.»
Als ich Büelers Grundstück verliess, brummte mir der Kopf vor lauter Zahlen. «Viel Erfolg beim Weltverbessern!», rief er mir noch nach. Ich hatte den Eindruck, wir würden nicht die gleiche Sprache sprechen.
Nicht wohl in vollen Zügen
Auch Hans Popp war in seinem Garten am Arbeiten. Einem wunderschönen Garten mit dichten, hohen Bäumen, die sein gutsähnliches, grosses Haus von der Aussenwelt abschirmen. Wobei diese Aussenwelt in Liebefeld am Stadtrand von Bern eine ruhige, grüne und noch immer ländlich geprägte Idylle ist. Es war mittlerweile später Nachmittag, die Sonne stand tief. Popp trug eine enzianverzierte Baseballmütze mit «Switzerland»-Schriftzug. Auch er bat mich an den Gartentisch, auf dem die neuste «Weltwoche»-Ausgabe lag.
Hans Popp, Jahrgang 1931, sitzt im Unterstützungskomitee der Ecopop-Initiative. Als ehemaliger Präsident der Berner CVP, Träger eines Professorentitels und einstiger stellvertretender Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft hat sein Name Gewicht.
Popp, der nicht unfreundlich war, aber knorrig und verbissen wirkte, sagte bald einmal den Satz: «Wir gehen von den Fakten aus.» Davor sprach er davon, dass die Umwelt zu sehr in Anspruch genommen werde. Das verschlimmere sich, je mehr Leute auf der Welt seien. Das gelte auch für die Schweiz: «Je mehr Leute hier sind, desto mehr Schaden nimmt die Umwelt, desto geringer ist die Lebensqualität.»
Als ich ihn fragte, ob nicht unser hoher Ressourcenverbrauch, auch sein eigener, zu der erwähnten Umweltbelastung führe und deshalb ein griffiges Raumplanungsgesetz vonnöten sei, antwortete er: «Raumplanung ist nötig, aber keine Ursachenbekämpfung. Die Ursache der Probleme liegt in der zu hohen Zahl der Menschen.» Mehrmals fiel die «Lebensqualität» als Schlüsselbegriff. Ich entgegnete, dass sich die Lebensqualität nicht in Zahlen messen lasse, sondern eine subjektive Einschätzung aus einer privilegierten Schweizer Perspektive sei. «Wir leben nun mal hier. Was ist falsch daran, für sein Land und für seine Familie zu schauen?», erwiderte Popp. Aber ihre Initiative setze ja bewusst nicht nur in der Schweiz an, sondern ziele mit der Familienplanung auch auf andere, weniger privilegierte Regionen. «Alle Menschen sollten die Möglichkeit haben, die Lebensqualität zu verbessern. Die Verminderung des Bevölkerungswachstums ist ein zentrales Mittel dazu.»
Schliesslich beschwerte sich Popp darüber, in die rechte Ecke gestellt zu werden. «Gerade Sie von der WOZ müssten uns eigentlich unterstützen, schliesslich ist unsere Initiative doch wachstumskritisch. Wir kritisieren, dass über die zu hohe Zuwanderung die Wirtschaft übermässig wächst und mit ihr die Belastung unserer Lebensräume.» Er fühle sich jedenfalls nicht wohl in überfüllten Zügen und Bussen. Ich sagte ihm, dass meine Wahrnehmung eine andere sei. Der von ihm empfundene Dichtestress rühre doch vor allem daher, dass wir extrem ressourcenintensiv leben und bauen würden. «Es kann sein, dass es sich auch um eine unterschiedliche Generationensicht handelt, das gebe ich zu», antwortete Popp. «Aber wir müssen die Lebensqualität bewahren – auch für zukünftige Generationen.» Er verabschiedete mich mit den Worten, dass er meinen Idealismus bewundere.
Mein Kopf brummte diesmal nicht, die Diskussion dauerte eine knappe halbe Stunde. Popp warf nicht mit Zahlen um sich. Es blieb das Gefühl, ich sei irgendwie aus der Zeit gefallen, zurück ins 20. Jahrhundert.
Auf das schwächste Glied
Benno Büeler, Hans Popp und ich haben uns nicht verstanden. Aber die Besuche bei zwei der zentralen Ecopop-Köpfe haben mir geholfen, ihre Initiative besser einordnen zu können. Mir ist nämlich klar geworden, dass sie am sinnvollsten mit jenem Instrument erklärbar ist, das sie selbst so gerne verwenden: Zahlen.
Büeler und Popp sind Naturwissenschaftler, so wie die absolute Mehrheit innerhalb der Initiativ- und Unterstützungskomitees: Neben den beiden Agronomen sitzen dort etwa ein Chemiker, ein Physiker, ein Biologe, ein Geograf, mehrere Ökonomen und ein Mediziner. Die Aufzählung offenbart auch, wie männerlastig die Ecopop-Initiative ist: Auf achtzehn Männer kommen vier Frauen. Im Schnitt sind die Mitglieder weit über sechzig Jahre alt. Thomas Zollinger, geboren 1976, ist mit Abstand das jüngste Mitglied. Jugendlichkeit sucht man ansonsten bei Ecopop vergeblich.
Kein Wunder, ist die Initiative derart stark naturwissenschaftlich geprägt. Die Umweltbelastung und die Bevölkerungszahlen werden über Berechnungen und Modelle erfasst und analysiert. Und auch die Antworten darauf liegen entsprechend in Berechnungen: 0,2 Prozent darf die Zuwanderung höchstens betragen, zehn Prozent der Entwicklungshilfe soll in die Familienplanung fliessen. Diese Zahlen verkaufen die InitiantInnen als «Fakten», die «wissenschaftlich» und «unbefangen» seien – im Wissen, wie verlockend Zahlen sind, um die Welt scheinbar messbar zu machen und Grautöne zu übermalen. Dabei sind die Ecopop-Zahlen in erster Linie asozial. Sie verneinen, dass die Welt auch gesellschaftlich strukturiert ist, dass es Hierarchien gibt, dass Macht und Besitz nicht gleichmässig verteilt sind.
Politik und Wirtschaft, die entscheidenden Akteure dieser – gerade auch ökologisch verheerenden – Machthierarchie, spielen für Ecopopper keine Rolle. Sie setzen beim schwächsten Glied an: den Köpfen. Nur nicht bei den eigenen. Das ist heuchlerisch. Und schliesslich hat die Geschichte immer wieder drastisch aufgezeigt, wie verheerend eine Politik sein kann, die auf Köpfe ausgerichtet ist.
Der zweite Ursprung der Ecopop-Initiative liegt in den Einfamilienhäusern. Oder anders ausgedrückt: in der Lebensqualität, jenem Schlüsselbegriff, den die InitiantInnen unablässig verwenden.
Eine Nachfrage auf den Grundbuchämtern zeigt, dass die Ecopopper Wasser predigen, aber selbst Wein trinken. Ihr Landverbrauch ist hoch: Benno Büeler ist Eigentümer von 1294 m2, Hans Popp besitzt ein Grundstück von 1448 m2. Zählt man alle verfügbaren Daten zusammen, liegen sie damit knapp über dem Ecopop-Durchschnitt. Obenaus schwingen Sabine Wirth aus Buchberg SH mit 3587 m2 und Jürg Hauser aus Weggis LU mit 7800 m2. Sechzehn Mitglieder von Ecopop-Komitees, von denen Daten erhältlich waren, verfügen gesamthaft über Grundstücke von mindestens 25 000 m2. Das entspricht rund vier Fussballplätzen. Leider existieren gemäss Bundesamt für Statistik keine Angaben zum Schweizer Durchschnittsgrundbesitz. Der Bodenverbrauch der Ecopop-InitiantInnen ist jedenfalls ziemlich intensiv. Doch anstatt den Blick auf den eigenen Ressourcenverbrauch zu richten, werden die Fremden für die zunehmende Umweltbelastung verantwortlich gemacht. Der (Boden-)Besitz entlarvt, worum es den InitiantInnen auch geht: um das Bewahren des eigenen Wohlstands. Für sich und die vielen Nachkommen.
Die Enge der Herzen
Entscheidend ist schliesslich ein letzter Punkt: Die Ecopop-InitiantInnen sind für ihr Anliegen willens, mit dem rechten Spektrum zusammenzuarbeiten. In der reaktionären Zeitung «Schweizerzeit» des abgewählten SVP-Nationalrats Ulrich Schlüer veröffentlichte Hans Popp im letzten Jahr im redaktionellen Teil einen Appell an die Leserschaft. In derselben Ausgabe war zudem ein von Ecopop gelieferter Unterschriftenbogen beigelegt (siehe WOZ Nr. 46/12). Und beim Unterschriftensammeln für die Initiative hörten die PassantInnen immer als Erstes deren Titel: «Stopp der Überbevölkerung». Was haften bleibt, ist folgende Botschaft: Es sind zu viele Leute da. Und es ist klar, welche Leute gemeint sind.
Mein letzter Gedanke ist: «Scheisse, das wird gefährlich.» Es ist kein intuitiver Gedanke mehr, er nährt sich aus der Erkenntnis, woher die Ecopop-Initiative kommt: aus dem engen Herzen dieses Landes.