Wichtig zu wissen: Was wäre, wenn
Susi Stühlinger über Doris Fialas Visionen.
Was wäre gewesen, wenn sie doch fürs Zürcher Stadtpräsidium kandidiert hätte? Nun, da sie die Geschichte mit dem aberkannten Mastertitel so charmant wie offensiv weggelächelt hatte, dass der Reigen der Kolleginnen und Kollegen aus der PR-Branche heimlich vor Neid erblasst war, fragte sich Doris Fiala, ob es nicht ein Fehler gewesen war, vorschnell auf die Kandidatur zu verzichten. Gut, es gab wohl kein Zurück, aber wissen musste sie es trotzdem.
Der schwere Duft von Patschuli umfing sie, und ihr wurde ein wenig schwindlig, als sie endlich die schummrigen Gemächer von Madame Magdalena betrat. «Siehe selbst», sagte Madame Magdalena in einem melodiösen Singsang und enthüllte mit einer grazilen Handbewegung die Kristallkugel. Erst war da nur Rauch, dann klarte es auf. Szene um Szene zeigte sich die Zukunft, der sie knapp entronnen war: Erst hatten ihre Chancen aufs Stadtpräsidium gar nicht so schlecht gestanden. Ihre Frisur sass, und neben dem grobschlächtigen Troll Filippo Leutenegger erschien sie als feenhaftes Wesen, dem das Stadtvolk entlang der Strassen mit gestärkten Taschentüchern hoffnungsvoll zuwinkte.
Doch kurz vor den Wahlen hatte der teuflische Richard Wolff den halluzinogenen Holunderblütensirup nach Rezept seiner Partnerin in die städtische Trinkwasserversorgung gekippt, woraufhin selbst die vernünftigsten Zürcherinnen und Zürcher in ein sozialistisches Delirium gefallen waren und seinen Namen statt ihren auf den Wahlzettel geschrieben hatten. Sie wurde zwar in den Stadtrat gewählt, allerdings auf den zweitletzten Platz, nur knapp vor Daniel Leupi.
Der neue Stadtpräsident trat ihr das Polizeidepartement ab, wie es der Rat im Bezug auf ihre im Spannungsfeld Migrations- und Sicherheitspolitik errungenen Kompetenzen besprochen hatte – Master hin oder her. Auch wenn sie sich erst zierte: Die Stadt brauchte sie und ihre Kenntnisse in «Security Policy and Crisis-Management», denn es waren düstere Zeiten. In den Strassen Zürichs wütete ein Rockerkrieg. Die Migranten in Leder, die sich Black Jackets nannten, lieferten sich wüste Gefechte mit den heimischen Hells Angels, die zusehends an Boden verloren. Das hatte verheerende Folgen. In den Clubs an der Langstrasse gingen vermehrt junge Frauen in Kopftüchern ein und aus. An der Ecke Militärstrasse hatte die al-Kaida ein Büro eingerichtet. Überall lagen zerbrochene Wasserpfeifen herum.
Doris Fiala sah sich selbst, mit Kopftuch getarnt, durch die Strassen pirschen. Sie sah, wie sie in einer feierlichen Zeremonie Valentin Landmann zum neuen Polizeikommandanten ernannte. Ihm gelang es mithilfe paramilitärischer Hells-Angels-Truppen, die migrantische Bedrohung zurückzudrängen und wieder Ruhe und Ordnung in Zürich einkehren zu lassen. Sie sah, wie sie weitere vier Jahre später unter Jubelrufen auf einer Harley-Davidson ins Stadthaus einfuhr, um zu guter Letzt doch noch ins Präsidentinnenbüro einzuziehen, während Wolff zusammen mit den Schwarzjacken ausgeschafft wurde.
Dann trübte sich die Kugel wieder, und der Spuk war vorbei. Himmel, sie musste es irgendwie schaffen, doch noch zu einer Kandidatur zu kommen, dachte sie, als Madame Magdalena die Kugel wieder verhüllte. Wie sollte sie das bloss anstellen? Hells Angels beim Präsidenten der Stadtzürcher FDP vorbeischicken? Oder noch besser bei Filippo Leutenegger? Gar keine schlechte Idee … Jäh wurde sie aus den Gedanken gerissen, als eine wütende Frau mit Brille hereinstürzte, Madame Magdalena an der Gurgel packte und laut irgendetwas von «Diebstahl!» und «Geistiges Eigentum!» krähte. Später stellte eine unabhängige Expertenkommission zweifelsfrei fest: Die Vision in der Kugel war nicht echt, sondern lediglich ein Plagiat der dieswöchigen WOZ-Kolumne. Madame Magdalena wurden sämtliche Titel aberkannt, und Doris Fiala nahm schweren Herzens von ihren Visionen Abschied.
Susi Stühlinger wünscht schöne Sommerferien.