Überwachung: Von wegen nichts zu verbergen, von wegen nichts zu befürchten

Nr. 34 –

Die Vorfälle im Umfeld des britischen «Guardian» zeigen deutlich, dass auch jene Menschen sehr wohl durch die Überwachungskultur der Geheimdienste gefährdet sind, die meinen, «nichts zu verbergen» zu haben.

Beinahe im Wochenrhythmus werden neue Informationen über Überwachungssysteme bekannt, mithilfe derer Geheimdienste verschiedener Staaten unter der Federführung der US-amerikanischen NSA weltweit eine ungeheure Datenmenge aus E-Mails, Telefongesprächen und persönlichen Informationen sammeln. Dass Geheimdienste Spionage betreiben, ist wenig überraschend. Doch seit der US-amerikanische Whistleblower Edward Snowden Anfang Juni seine Unterlagen an verschiedene Medien weitergegeben und damit eine Publikationswelle losgetreten hat, offenbart sich erst das Ausmass der weltweiten Überwachungskultur – und wurde beweisbar.

Dass durch die Publikationen der beteiligten investigativen JournalistInnen nun auch vermehrt Verfassungsfragen und die gesellschaftlichen Auswirkungen einer weitreichenden, meist illegal agierenden Überwachung diskutiert werden, ist ein Verdienst von Snowden. Wie dringlich diese Diskussionen sind, zeigt sich an den Reaktionen der Behörden, die auf die Publikationen zunehmend willkürlicher, aggressiver und – scheinbar – konfuser reagieren.

Schwerwiegender Missbrauch

Dieser Eindruck zumindest entstand, als es Anfang der Woche gleich zweimal zu einem Eklat im Umfeld des britischen «Guardian» kam, dessen Redaktion eng mit Edward Snowden zusammenarbeitet. So wurde zum einen bekannt, dass das britische Innenministerium und die Geheimdienstagentur GCHQ seit Wochen Druck auf die Redaktion ausgeübt hatten, damit diese die Festplatten mit den Snowden-Unterlagen entweder den Behörden aushändigen oder zerstören würde. Chefredaktor Alan Rusbridger entschied sich für Letzteres und nannte in einem Artikel die Zerstörungsaktion vom Wochenende nicht nur einen der «bizarrsten Momente» in der Geschichte des «Guardian», sondern auch einen «sinnlosen symbolischen Akt», da die Behörden genau wüssten, dass die Zeitung im Ausland weitere Kopien besitze.

Noch «alarmierender» ist laut Rusbridger jedoch die Verhaftung von David Miranda, dem Lebenspartner und Mitarbeiter des «Guardian»-Journalisten Glenn Greenwald. Miranda war letzten Sonntag im Transitbereich des Flughafens Heathrow von BeamtInnen der Polizei und des Innenministeriums während fast neun Stunden festgehalten und befragt worden. Dabei wurden auch alle seine elektronischen Geräte beschlagnahmt. Die Aktion sei durch den sogenannten Plan 7 der britischen Antiterrorismusverordnung gedeckt, wurde Miranda erklärt. Diese erlaubt es den Behörden, im Bereich von Flughäfen und Seehäfen jede Person ohne Rechtsbeistand auf einen möglichen Terrorismusverdacht hin zu verhören.

Sippenhaft und Kriminalisierung

Für Glenn Greenwald handelt es sich bei der Aktion um einen klaren und leicht durchschaubaren Einschüchterungsversuch, der investigative JournalistInnen weltweit entmutigen soll. Die Behörden hätten damit allerdings das Gegenteil erreicht und ihn selbst nur weiter in seiner Arbeit bestätigt. Rusbridger doppelte nach: «Die Bevölkerung eines Landes hat ein Problem, wenn seine Regierung plötzlich anfängt, Terrorismus und Journalismus zu vermengen.» Miranda droht derweil, mit rechtlichen Schritten gegen das britische Innenministerium und die Polizei vorzugehen, sollte das beschlagnahmte Material nicht innert einer Woche zurückgegeben werden. Und britische Menschenrechts- und Bürgerrechtsgruppen beschuldigten die britischen Behörden des «schwerwiegenden Missbrauchs» der Antiterrorismusgesetze.

Die Vorfälle beim «Guardian» und auf dem Flughafen Heathrow zeigen, wie wichtig es ist, dass Medien auch weiterhin unabhängig und durch Gesetze geschützt die Öffentlichkeit darüber informieren können, was Behörden in deren Namen tun. Die lange auch von vielen BürgerInnen propagierte Argumentation «Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten» war schon früher falsch – wer sie jetzt noch bemüht, dem ist nicht zu helfen. Und es sind längst nicht nur JournalistInnen, die ins Visier der sogenannten SchützerInnen nationaler Sicherheit geraten.

Wer sich gegen soziale Ungerechtigkeit und Sozialabbau, Umweltzerstörung und die Missachtung der Menschenrechte einsetzt, wird schnell zum Verdächtigen. Wer es dann auch noch wagt, sich zu organisieren und die Reichen und Mächtigen etwa bei Demonstrationen auf der Strasse herauszufordern, sieht sich mit einer gut organisierten Repressions- und Überwachungsmaschinerie konfrontiert. Diese entzieht sich tendenziell der parlamentarischen Kontrolle und wird durch die Gesetzgebung häufig noch legitimiert. Spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA wird in verschiedenen Ländern in immer neuen Verordnungen der Terrorismusbegriff zunehmend schwammiger definiert und richtet sich so auch immer öfter gegen Personen, die mit Terrorismus nichts zu tun haben. So können in den USA inzwischen schon einfache Sachbeschädigungen oder das unerlaubte Betreten von Privatgrund als Bedrohung für die nationale Sicherheit ausgelegt werden. Eine Folge davon ist die zunehmende Kriminalisierung sozialer Bewegungen.

Kreativität gegen Repression

Die Repressionsmittel, die gegen soziale Bewegungen auch bei friedlichen Protestveranstaltungen eingesetzt werden, reichen von Wegweisungen, Reisebeschränkungen oder verschärften Einreisekontrollen bis hin zur Nötigung durch vorbeugende Massenverhaftungen und gewalttätige Polizeiaktionen. Sie beinhalten aber auch eine Reihe teils geheimdienstlicher Methoden wie das Infiltrieren, die elektronische Überwachung oder das willkürliche Durchsuchen von Büros und Wohnungen. All dies schränkt AktivistInnen, soziale Organisationen und Bewegungen in ihrer Arbeit ein und blockiert ihre personellen wie finanziellen Ressourcen.

In den letzten Jahren haben soziale Bewegungen allerdings immer wieder neue Strategien und Methoden entwickelt, um der zunehmend militarisierten Repression des Staates neue Formen des Widerstands entgegenzusetzen. So setzen die AktivistInnen entweder auf Kreativität, wie die fantasievollen direkten Aktionen etwa von UK Uncut zeigen (siehe WOZ 49/12); auf bissigen Humor, wie ihn die Occupy-Frankfurt-Bewegung beweist; auf schieres Durchhaltevermögen, wie die spanische Bewegung 15-M demonstriert, die seit über zwei Jahren gegen den Sozialabbau protestiert; oder auf Flexibilität und Masse, wie die Proteste dieses Sommers etwa in der Türkei oder in Brasilien zeigen.

Geschützte Social Media

Die Proteste in der Türkei und in Brasilien haben es gezeigt: Soziale Medien wie Facebook und Twitter können eine wichtige Rolle bei der schnellen Mobilisierung der Menschen spielen. Sie sind aber gleichzeitig für die Polizei einfach einsehbar und werden von dieser inzwischen gezielt zur Identifizierung und Überwachung von Protestierenden benutzt. Eine Möglichkeit, AktivistInnen zu schützen, bietet ein neues Hilfsprogramm auf der Website von Witness Blog, mit dem die Gesichter auf Amateurvideos unkenntlich gemacht werden können.

blog.witness.org