Wichtig zu wissen: Den Blobfisch beschwören

Nr. 38 –

Die Sorgen der Indianer.

Besorgt wanderte die Squaw Graues Eulenauge den nördlichen Grenzen ihres Stammesgebietes entlang. Es war ein schlechtes Omen: Der Blobfisch aus der Familie der Dickkopfgroppen war gerade zum offiziellen Maskottchen der Gesellschaft zur Bewahrung hässlicher Tiere erkoren worden. Das gallertartige Wesen wohnt in den Tiefen des Pazifiks und sieht aus wie ein kahlköpfiger, mürrischer, alter Mann. Also genau wie General Peer Steinbrück.

Alle Zeichen deuteten darauf hin, dass dieser im nördlichen Siedlungsgebiet die Macht ergreifen würde. Der General war in den Landen von Graues Eulenauge gefürchtet; nicht allzu viele Monde war es her, dass er mit Peitsche und Kavallerie gedroht hatte, sollte ihr Volk das versteckte Gold seiner Stammesbrüder nicht herausrücken. Graues Eulenauge kniff die Augen zusammen: Sah sie da schon die Staubwolke, von Tausenden von Pferdehufen aufgewirbelt, auf ihr Land zurasen?

Es kam wohl nicht von ungefähr, dass der feindliche Zauber, der in immer neuen Zugeständnissen ihres Landes an die auswärtigen Gold- und Büffeldiebe mündete, in der fremden Sprache des mächtigen Manitu namens OECD ausgerechnet Peer-Review hiess. Ein weiteres schlechtes Omen. Aber im Europa des 21. Jahrhunderts, das wusste auch Graues Eulenauge, nützten gegen derartige Bedrohungen keine schamanischen Riten. Stattdessen müsste sie sich, der Diplomatie willen, auf die Gemeinsamkeiten besinnen, die sie und General Steinbrück verbanden. Und doch, es gab ein paar. Wenn die auch nicht ausreichten, um die Friedenspfeife mit ihm zu rauchen, so würden sie allenfalls doch für einen kleinen, freundlichen Smalltalk langen: Auch Graues Eulenauge war lange der Auffassung gewesen, die Deregulierung des Büffelhandels sei eine gute Idee, so wie es General Steinbrück als Säckelmeister unter der Herrschaft der mächtigen grossen Frau war. Und auch sie war nicht unbedingt der Auffassung, dass man Goldmünzen für nebenamtliche Tätigkeiten wie Vorträge bei Banken und dergleichen deklarieren musste, so wie auch General Steinbrück sie lange nicht offenlegte. Ja, und auch eine gute Bekannte hatte mal eine Dienerin gehalten, die es mit der Abrechnung der Lohnnebenkosten nicht so genau nahm, so, wie es der General getan haben sollte. Und eine Flasche Pinot Grigio für fünf Euro würde auch sie nicht trinken.

Weinen vor laufender Kamera, das würde sie allerdings nicht. Denn eine Indianerin kennt keinen Schmerz. Jäh brach ein lautes Donnern los. Herrjeh, das musste er sein mit seiner Kavallerie, dachte Graues Eulenauge und duckte sich. Wenige Sekunden später schon atmete Graues Eulenauge erleichtert auf. Es war nicht General Steinbrück gewesen, der mit Getöse herangewalzt gekommen war, sondern nur eine Maschine der Lufthansa im Südanflug auf den Zurich Airport.

Dann wachte Eveline Widmer-Schlumpf vor dem laufenden Fernseher auf, und alles war wieder in Ordnung. Soeben vermeldete die ARD einen Erdrutschsieg der CSU in Bayern. Angela Merkel würde die Wahlen gewinnen, kein Peer Steinbrück weit und breit. Sie war keine Squaw, sondern die Finanzministerin, und das Steuerabkommen mit Deutschland war eh schon lange versenkt – in pazifische Tiefen, wo der Blobfisch wohnt.

Susi Stühlinger ist zur Hälfte Bayerin und froh, dass sie in Deutschland nicht wählen muss.