Fussball und andere Randsportarten: Heilssuche bei den Zeugen Blatters

Nr. 25 –

Pedro Lenz über die liturgischen Prozesse in den Fussballstadien

Endlich ist die Weltmeisterschaft voll im Gang. Die Liturgie fängt jeweils damit an, dass die Hohepriester an der Hand der Ministranten einlaufen, während ehrenwerte Schiedsrichter das Allerheiligste, also den offiziellen WM-Ball, vom Sockel nehmen.

Es folgen die Nationalhymnen, mancherorts auch als Psalmen bezeichnet, bei denen die Hohepriester eine Hand auf die Brust legen und leicht entrückt mitbeten.

Es kommt zum Wimpeltausch («Dann wollen wir jubeln über deinen Sieg, im Namen unsres Gottes das Banner erheben. All deine Bitten erfülle der Herr», Psalm 20, 6) und zum Münzenwurf («Zeigt mir die Münze, mit der ihr eure Steuern bezahlt! Da hielten sie ihm einen Denar hin», Matthäus 22, 19).

Die Rituale sitzen. Die KommentatorInnen am Fernsehen geben letzte Gleichnisse zum Besten, bevor der Pfiff des Vorstehers die Gesänge aus dem Chor, der hier meist Tribüne genannt wird, übertönt.

Und weil die Weltmeisterschaft zu den höchsten Festen der Fussballliturgie zählt, verhält es sich mit diesen Gottesdiensten ein bisschen wie mit den Weihnachts- und Ostergottesdiensten. Das will heissen, dass für einmal auch die Gelegenheitsgläubigen den Tempel aufsuchen. Deswegen sitzen bei allen Weltmeisterschaften so viele Leute im Tempel, die sich zwar dem feierlichen Anlass entsprechend herausputzen, aber von den Ritualen selbst kaum eine Ahnung haben. Diejenigen Gläubigen, die das ganze Jahr über zu den Gottesdiensten des Fussballs pilgern, schämen sich fremd, wenn sie merken, wie wenig gefestigter Glaube bei den sporadisch Gläubigen eigentlich vorhanden ist.

Nicht selten fragen die schon bei der ersten Verwarnung, was es damit auf sich habe. Dabei würde ein Blick in das Buch Hiob, Kapitel 33, Vers 16 jede Frage erübrigen («Da öffnet er den Menschen das Ohr und schreckt sie durch Verwarnung»).

Aber selbst bei Liturgieteilen, die auch den Gelegenheitsgläubigen nicht fremd sein sollten, etwa bei Torerfolgen, belästigen sie die routinierten LiturgiebesucherInnen mit ignoranten Fragen. Gerade hier müssten doch einigermassen gefestigte Gläubige ganz genau wissen, wie es um den Erfolg steht: «Jede Arbeit bringt Erfolg, leeres Geschwätz führt nur zu Mangel» (Sprüche 14, 23).

Kommt es im Gottesdienst zu gröberen Reklamationen beim Schiedsrichter oder zu Anwürfen unter den Hohepriestern, meinen jene, die sonst das ganze Jahr über nie einem solchen Anlass beiwohnen, es handle sich dabei um etwas Aussergewöhnliches. Wären sie nicht bloss bei hohen Festtagen wie eben der gegenwärtigen WM dabei, wüssten sie es besser. Schändliches Reden wider den Gegner oder den Referee ist in dieser Art von Liturgie keine Seltenheit («Deine Zunge trachtet nach Schaden wie ein scharfes Schermesser, du Betrüger; du ziehst das Böse dem Guten vor, redest lieber Lüge als Gerechtigkeit! Du liebst alle verderblichen Worte, du trügerische Zunge!» Psalm 52, 4–6).

Und wenn ein Spiel gespielt, also ein Gottesdienst vorüber ist, meinen die Unwissenden unter den Gläubigen, das Resultat sei endgültig. Dabei befinden wir uns ja erst in der Vorrunde, also weitab vom Letzten Gericht.

Überhaupt ist es der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Blatters wichtig, ihre Gottesdienste so zu gestalten, dass das Gericht erst ganz am Schluss seine Macht entfaltet. Fast ist einem da, als fürchtete sich eine Mehrheit der Gläubigen vor diesem Finale. Vielleicht weil sie Jakobus Kapitel 2, Vers 13, vor Augen haben: «Denn das Gericht ist erbarmungslos gegen den, der kein Erbarmen gezeigt hat. Barmherzigkeit aber triumphiert über das Gericht.»

Seien wir also barmherzig. Gerade gegenüber dem Fifa-Übervater, immer getreu dem Bibelwort: «Ein Sohn soll nicht die Schuld seines Vaters tragen und ein Vater nicht die Schuld seines Sohnes» (Ezechiel 18, 20).

Pedro Lenz (49) ist Schriftsteller 
und lebt in Olten.

Die Fussballgottesdienste, die hier 
Public Viewing heissen, hängen ihm zu WM-Zeiten zu den Ohren heraus.