Greenpeace in Russland: Auf keinen Fall irgendeine Schwäche zeigen!
Mit ihrer Protestaktion gegen eine russische Ölbohrplattform haben Greenpeace-AktivistInnen einen Nerv des Kreml getroffen. Denn dessen Erschliessungsprojekte stehen auf wackligen Pfählen.
Eiskaltes Wasser aus Feuerwehrschläuchen von oben, Warnschüsse aus einer Kalaschnikow und einem Schiffsgeschütz. Dies mussten die Greenpeace-AktivistInnen aushalten, als sie Mitte September an der Aussenwand der Ölbohrplattform Priraslomnaja Transparente gegen Ölbohrungen in der Arktis aufzuhängen versuchten. Die Plattform liegt in der russischen Wirtschaftszone der Petschorasee; die 500-Meter-Sicherheitszone hatten die AktivistInnen ignoriert. Ein Gericht in Murmansk entschied letzte Woche, alle dreissig AktivistInnen wegen «Piraterie» für zwei Monate in Untersuchungshaft zu nehmen, ihnen drohen bis zu fünfzehn Jahre Gefängnis. Ihre AnwältInnen haben Berufung eingelegt. Doch der Kreml ist nicht bereit, sich bei seiner Energiepolitik in der Arktis von westlichen UmweltschützerInnen dreinreden zu lassen.
Die rohstoffreiche Arktis wird von russischen PolitikerInnen seit Jahren als Gebiet gepriesen, mit dem sich viele finanzielle und soziale Probleme lösen liessen. Nach Schätzungen des geologischen Diensts der USA lagern in der Arktis dreizehn Prozent der weltweit noch unentdeckten Ölvorräte und dreissig Prozent der globalen Gasvorräte, ausserdem Metalle und Mineralien wie Nickel, Chrom, Titanium und Kohle. Durch das Abtauen des Polareises könnte die Region voraussichtlich ab 2017 zum internationalen Schifffahrtsgebiet werden. Wladimir Putin will daher Russlands Sicherheitsinteressen in dieser Region stärken. Mitte September gab er bekannt, dass auf den arktischen Nowosibirsk-Inseln eine Militärbasis eingerichtet und der verlassene Militärflugplatz von Temp wieder hergerichtet wird.
Schützenhilfe für Greenpeace
Nach der Greenpeace-Aktion denunzierten die russischen Staatsmedien Greenpeace als «von fremden Mächten gesteuert». Kreml-kritische Medien erinnerten dahingegen daran, dass Greenpeace auch gegen Umweltverbrechen westlicher Konzerne protestiert.
Dass der Konflikt um die festgenommenen AktivistInnen nicht auf diplomatischem Weg gelöst werden konnte, ist ungewöhnlich. Die Niederlande, unter deren Flagge das Greenpeace-Schiff Arctic Sunrise fuhr, hat ein Schiedsverfahren auf Grundlage des Uno-Seerechtsübereinkommens eingeleitet. Die niederländische Regierung argumentiert, die russischen Behörden hätten die Niederlande um Erlaubnis bitten müssen, bevor sie sich Zugang zum Schiff verschafften. Der stellvertretende russische Aussenminister Aleksej Meschkow konterte, Den Haag habe es in den letzten eineinhalb Jahren trotz russischer Warnungen unterlassen, das ungesetzliche Verhalten der «Arctic Sunrise»-Besatzung zu stoppen, weshalb Russland an die Niederlande «mehr Fragen hat als sie an uns».
Die Interessen des Kreml und die Forderungen von Greenpeace stehen sich diametral gegenüber. Die Umweltschutzorganisation fordert ein Moratorium für die Ausbeutung von Bodenschätzen in der Arktis – und setzt sich dafür ein, dass das nördliche Polargebiet um den Nordpol, das nicht zu den Wirtschaftszonen der fünf Arktisanrainer Russland, USA, Kanada, Norwegen und Dänemark/Grönland gehört, als internationales Naturschutzgebiet deklariert wird.
Sergej Medwedew, Professor an der Higher School of Economics in Moskau, ging in einem in Russland viel beachteten Blogbeitrag noch weiter: Er forderte, alle Nordpolanrainer sollten auf ihre Wirtschaftszonen im Meer verzichten. Die gesamte Region müsste – wie schon die Antarktis – zum Schutzgebiet erklärt werden, in dem es keine Rohstoffausbeutung und keinerlei Militär geben dürfe. Wladimir Putin bezeichnete den Professor prompt als «Dummkopf». Der Linkspatriot und Schriftsteller Aleksandr Prochanow verlangt gar die Einleitung eines Strafverfahrens wegen «feindlicher Propaganda».
Grosse Pläne, kaum Erfolge
Die russischen Pläne in der Arktis sind gross, die Erfolge bescheiden. Der Gazprom-Konzern, der die Ölbohrplattform Priraslomnaja betreibt, wollte schon 2012 mit den Bohrungen beginnen, musste aber auf Anweisung des Ministeriums für Naturressourcen erst Sicherheitsmängel beheben. Auch in der Barentsee, wo Gazprom mit dem französischen Unternehmen Total und der norwegischen Statoil Gas im Schtokman-Feld fördern wollte, gibt es kein Vorankommen. Die Gespräche mit den ausländischen InvestorInnen endeten ohne Ergebnis. Das sei den Umweltforderungen von Greenpeace zu verdanken, meinte die Greenpeace-Arktisexpertin Jewgenia Beljakowa gegenüber der WOZ. Greenpeace hatte auf Einladung von Gazprom an den Beratungen über das Projekt in der Barentsee teilgenommen. Das Schtokman-Projekt sei für die westlichen Investoren zu teuer, kommentiert das russische Internetportal Sewernyj Rabotschi.
Russland kann allein die technologisch und finanziell äusserst aufwendige Rohstofferschliessung in der unwirtlichen Arktis nicht stemmen. Nun bleibt Moskau nur noch die Hoffnung, dass das Kooperationsabkommen zwischen Rosneft, Exxon Mobile und eventuell der italienischen Eni mehr Erfolg hat. Doch die internationale Finanzkrise und die Suche nach alternativen Energiequellen könnten das Interesse westlicher PartnerInnen an einer Zusammenarbeit in der russischen Arktis allerdings gegen null sinken lassen.
In diesem Fall müsste sich Moskau um neue InvestorInnen bemühen – beispielsweise aus China.