Russland und die Sanktionen: Es gibt noch immer Käse aus der Schweiz
Seit den gegenseitigen Sanktionen von EU und Russland schwankt die Stimmung in Moskau zwischen Kriegsangst, Pragmatismus und trotzigem Patriotismus.
Was er vom Einfuhrstopp für Lebensmittel aus der EU und anderen westlichen Staaten hält? Der etwa 45-jährige Mann, der in Moskau zwischen den langen Regalen eines grossen Ashan-Supermarkts nach Gewürzen sucht, stutzt: «Das ist natürlich schlecht, aber ich bin Patriot.» Eine Ladenmitarbeiterin eilt vorüber. Womit sie ihre Regale füllen wird, wenn die von der russischen Regierung verhängten Sanktionen greifen? «Unsere Leitung sucht nach neuen Lieferanten», sagt sie und eilt weiter.
Auf den in der russischen Mittelschicht populären Internetportalen waren die Lebensmittelsanktionen gegen westliche Länder ein grosses Thema. Manche machten sich darüber lustig. Das linke Internetportal rabkor.ru spricht von einem «Weinen um den Parmesan» und verweist darauf, dass es immer noch Käse aus der Schweiz gibt. Die Schweiz hat die Sanktionen gegen Russland nur eingeschränkt mitgetragen und ist deshalb selbst nicht von den russischen Sanktionen betroffen.
«Gift» für Russland und die EU
Am 31. Juli verhängte die EU Sanktionen gegen russische Grossbanken, die Rüstungsindustrie und die Energiewirtschaft. Am 7. August beschloss die russische Regierung Gegensanktionen: Der Import von Lebensmitteln aus Staaten, die Sanktionen gegen Russland verhängt haben, soll nun für ein Jahr gestoppt werden. BäuerInnen aus Griechenland und Spanien können nun kein Obst mehr nach Russland liefern.
Der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, Eckhard Cordes, rief am 7. August dazu auf, «die Spirale von Sanktionen und Gegensanktionen zu durchbrechen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren». Bereits die Diskussion über Sanktionen im Frühjahr sei «Gift für die schwächelnde Konjunktur in der EU und in Russland» gewesen. Die deutschen Ausfuhren nach Russland sanken im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum um 15,5 Prozent. Wegen der Sanktionen seien 50 000 Arbeitsplätze in Deutschland in Gefahr, warnte Cordes.
Um Verluste zu vermeiden, versuchen westliche LebensmittelexporteurInnen nun, ihre für Russland bestimmten Lieferungen über Drittländer abzuwickeln. Doch die russische Regierung erklärte, dass man derartige Geschäfte nicht zulassen und die Waren an den Grenzen sehr genau auf ihr Herstellungsland kontrollieren werde.
Inkonsequente Umsetzung
Nach Meinung russischer ExpertInnen sind die Sanktionen gegen russische Grossbanken nicht sehr schmerzlich. Die meist staatlichen Grossbanken können auf neue KreditgeberInnen in Asien und im Nahen Osten ausweichen, heisst es in einer Analyse des auf Wirtschaftsfragen spezialisierten russischen Internetportals rbc.ru. Falls jedoch die Ausfuhrbeschränkungen der EU in Bezug auf Technologie für die Gewinnung von Öl und Gas strikt gehandhabt werden sollten, könnte es für Russland eng werden. «In der Theorie», sagt John Kemp, ein Experte der Nachrichtenagentur Reuters, müssten die Länder der EU jetzt «die Lieferung jeglicher Technologie oder technologischer Hilfe für Tiefseeprojekte in der Arktis und Festlandprojekte beschränken». Doch der Interpretationsspielraum sei gross. In der Praxis würden die Sanktionen auf Technologie beschränkt, die für die Ölgewinnung nötig ist. Technologie für die Gasgewinnung wird weiterhin geliefert. Zudem sei eine genaue Zuordnung schwierig, so Kemp, da bei den meisten Bohrlöchern ein Gemisch aus Gas, Öl und Kondensat gewonnen wird.
Die Zusammenarbeit zwischen westlichen und russischen Energiefirmen geht zwar trotz Sanktionen weiter, wird aber schwieriger werden, wie das Beispiel in der norwegischen Barentssee zeigt. Dort hat der russische Ölkonzern Rosneft zusammen mit der norwegischen Statoil Mitte August mit der Erkundung neuer Ölfelder begonnen. Das Gemeinschaftswerk, das nur 400 Meter unter der Wasseroberfläche stattfindet, dürfte eigentlich nicht unter die Sanktionen fallen, denn diese sehen die Beschränkung des Exports von Ausrüstungen nur für Tiefseebohrungen vor. Wie die russische Nachrichtenagentur Ria Novosti berichtet, rechnet Statoil-Chef Helge Lund damit, dass die Sanktionen deshalb vor allem die Ölförderung in der Arktis beeinträchtigen werden.
Krim-Euphorie hält an
Überstürzt nahm die russische Regierung Anfang August Verhandlungen mit LebensmittellieferantInnen in Südamerika, Südafrika, Ägypten, der Türkei und Asien auf. So schnell lassen sich die Nahrungsmittelsysteme aber nicht auf neue Lieferanten umstellen. So wurde etwa der Lachs aus Norwegen bisher gekühlt geliefert. Der Lachs aus Chile dagegen kommt gefroren nach Russland. Deshalb muss die russische Lachsverarbeitungsindustrie zuerst umgebaut werden.
Für den Grossteil der RussInnen ändert sich durch die russischen Gegensanktionen vorerst nichts: Teuren Käse und Austern aus Europa können sie sich sowieso nicht leisten. Je schneller die russische Regierung ErsatzlieferantInnen findet, desto besser für das Preisniveau. Eine Unterversorgung mit bestimmten Lebensmitteln – etwa Lachs aus Norwegen – kann schnell zu horrenden Preissteigerungen führen.
Manche schmieden jetzt Pläne, wie sie ihren Datschengarten wieder in Betrieb nehmen können. Das war schon im Krisenjahr 1998 so, als der Rubel massiv abstürzte, ausländische Lebensmittel unerschwinglich wurden und die RussInnen in ihren Gärten Kartoffeln, Karotten, Peperoni und Tomaten anbauten. Die russische Regierung will die Landwirtschaft nun verstärkt finanziell fördern. Man erinnert sich an das Jahr 1999, als die russische Landwirtschaft einen rasanten Aufschwung nahm. Die Selbstversorgung mit Geflügel stieg von 1999 bis heute von 10 auf über 50 Prozent.
Viele RussInnen haben Verständnis für die Gegensanktionen ihrer Regierung, selbst wenn sie ahnen, dass es zu Preissteigerungen kommen wird. Die patriotische Stimmung in Russland und die Kritik am Westen sind stärker als das Unwohlsein über höhere Preise und Lohnsenkungen im Zuge der Sanktionsspirale. Gemäss einer Anfang August vom unabhängigen Meinungsforschungsinstitut Lewada gemachten Umfrage sind 85 Prozent der RussInnen der Meinung, dass der «Anschluss» der Krim «ein grosser Erfolg der politischen Leitung des Landes» sei. 52 Prozent der Befragten glauben, dass die Annäherung der Ukraine an Europa damit zusammenhänge, dass «die Ukraine eine Marionette in der Hand des Westens und der USA wurde, die eine antirussische Politik machen».
Kein Wunder, dass Präsident Wladimir Putin nach wie vor bei über 80 Prozent der RussInnen auf Zustimmung stösst. Die RussInnen sind Krisen gewohnt. Dass der Westen jetzt vor Russland Angst hat, finden viele gar nicht schlecht.
Gegängelter McDonald’s
Es mangelt in Russland in diesen Tagen nicht an Symbolik. Die US-Fastfoodkette McDonald’s, die 1990 im Moskauer Stadtzentrum ihre erste russische Filiale eröffnet hatte, wurde zum Symbol von Russlands Öffnung nach Westen. Wegen angeblicher Nichteinhaltung sanitärer Bestimmungen mussten in Moskau in den letzten Monaten vier McDonald’s-Läden schliessen. Auch den anderen 450 McDonald’s-Filialen Russlands droht eine vorübergehende Schliessung. Die drei Läden auf der Krim sind bereits seit Anfang April 2014 geschlossen.