Griechenland: Die schwache Theorie der zwei Extreme

Nr. 46 –

Die Proteste in Griechenland haben vielfältige Formen. Doch vor allem jene von links werden von der Regierung mit massiver Polizeigewalt bekämpft.

Nur wenige waren überrascht, als die Polizei in den frühen Morgenstunden des 7. November das besetzte Gebäude des öffentlichen Staatsfunks (ERT) in Athen räumte. Seit langem reagiert Griechenlands Regierung auf alle Formen der sozialen Mobilisierung und des Widerstands in einem Ausmass, dass der Rechtsstaat in Gefahr ist. Laut KritikerInnen wolle die Regierung so Entschlossenheit demonstrieren – gegenüber den BürgerInnen wie auch gegenüber den internationalen KreditgeberInnen des Landes. Ihr Ziel sei es, als einzige Kraft zu erscheinen, die politische Stabilität garantiere und in der Lage sei, die von der Troika – bestehend aus der Europäischen Zentralbank, dem Internationalem Währungsfonds und der EU-Kommission – geforderten Reformen und Sparmassnahmen des Landes um jeden Preis durchzusetzen.

Gleich nach der Räumung von ERT hatte die linke Oppositionspartei Syriza im Parlament einen Misstrauensantrag gegen die Regierung gestellt – der nach mehreren Tagen Beratung inzwischen abgelehnt wurde. Premierminister Andonis Samaras von der liberal-konservativen Regierungspartei Nea Demokratia (ND) sprach in diesem Zusammenhang von einer «Vergiftung» des politischen Lebens. Dies passt zur sogenannten Theorie von den zwei Extremen, die von der ND seit über einem Jahr propagiert wird und mit der sie Rechts und Links in einen Topf wirft. So wird die Syriza von der ND als linksradikales «Extrem» dargestellt, das bei sozialen Mobilisierungen Gewalt toleriere, so zur politischen Instabilität beitrage und deshalb genauso gefährlich sei wie RechtsextremistInnen etwa der neonazistischen Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte). Beide «Extreme» seien für bürgerliche WählerInnen inakzeptabel und müssten bekämpft werden. In diesem Kontext sind auch die Verhaftungen verschiedener, teils führender Mitglieder von Chrysi Avgi im September zu erklären (siehe WOZ Nr. 41/13 ).

Rechtsextremismus salonfähig

Umfragen zeigen, dass sowohl Syriza als auch rechtsradikale Parteien wie Chrysi Avgi zunehmend Zustimmung erhalten. Dabei gelingt es Chrysi Avgi weiterhin, die Wut der Bevölkerung auf den chronisch korrupten Staatsapparat und gegen die harten Sparmassnahmen, die dem Land seit zwei Jahren aufgezwungen werden, für ihre Zwecke zu nutzen. Nach der Verhaftungswelle hat Chrysi Avgi nur rund drei Prozent ihrer AnhängerInnen verloren. Der Rechtsradikalismus spitzt sich weiter zu. Inzwischen sind in Griechenland auch Tote zu beklagen. So wurden gemäss dem jährlichen Bericht der Bürgerbeauftragten Kalliopi Spanou, deren Aufgabe es ist, die Missachtung von BürgerInnenrechten zu untersuchen, zwischen Januar 2012 und April 2013 vier Personen aus rassistischen Gründen ermordet; über 135 wurden verletzt. Der Mitte September in Keratsini erstochene antifaschistische Rapper Petros Fyssas war das fünfte Todesopfer der rechtsextrem motivierten Gewalt. Ob der Anschlag gegen drei Mitglieder von Chrysi Avgi vergangene Woche, bei der zwei Personen starben, ebenfalls politisch motiviert war, ist derzeit noch unklar.

Das rechtsradikale Denken hat inzwischen den Kern der Gesellschaft erreicht. So ist es heute kein Tabu mehr, rassistische Ansichten offen zu äussern. Chrysi Avgis Ideen sind auch in Massenmedien salonfähig geworden. Und da viele VertreterInnen der Polizei mit Chrysi Avgi sympathisieren, werden deren Aktionen, wie etwa die populistische Hetze gegen MigrantInnen, nach wie vor toleriert.

Doch auch antirassistische Bewegungen erhalten Zulauf und organisieren sich zunehmend besser. So sind in den letzten drei Jahren im ganzen Land zahlreiche BürgerInneninitiativen entstanden, die sich die «Aufklärung der Bevölkerung» und das «lokale Handeln» auf die Fahnen geschrieben haben. Zwar berichten die griechischen Massenmedien nur selten über die Aktionen der AntirassistInnen, doch in den sozialen Medien sind sie stark präsent.

Parallel zu den antirassistischen Bewegungen, die sich oft mit antifaschistischen Initiativen verknüpfen, kommt es zunehmend zu einer starken sozialen Mobilisierung. Die Folgen der Finanzkrise zwingen die GriechInnen dazu, solidarischer zu handeln und für die durch die Sparmassnahmen entstandenen Mängel in der Bildung, bei der Gesundheitsversorgung und den sozialen Einrichtungen Lösungen zu finden. So ist eine Vielzahl sozialer Selbstorganisationen entstanden, wie die «sozialen Küchen», die auf öffentlichen Plätzen in den Städten für die sozial Schwachen kochen, oder medizinische Einrichtungen und Apotheken, in denen ärztliche Behandlungen für jene angeboten werden, die sich dies nicht mehr leisten können. LehrerInnen bieten SchülerInnen gratis Nachhilfeunterricht an. Andere Initiativen organisieren, oft mit Unterstützung der kommunalen Behörden, den Verkauf von landwirtschaftlichen Produkten direkt von den BäuerInnen an die KonsumentInnen, um damit den Zwischenhandel umgehen zu können.

Korrupte Sozialdemokratie

Die Probleme im Land sind jedoch derart vielfältig, dass Eigeninitiativen keineswegs die Aufgaben von staatlichen sozialen Institutionen übernehmen können. Hinzu kommt, dass es sich bei den Initiativen oft um Einzelaktionen handelt und diese meist nicht untereinander koordiniert sind. Das schwächt ihre Effizienz. Besonders deutlich zeigt sich dies bei den Gewerkschaften, deren Führungsriege sich bisher nicht der neuen Situation anpassen konnte – oder wollte. Zu stark sind führende GewerkschaftsvertreterInnen verschiedener Branchen – etwa die des Gewerkschaftsbunds der BeamtInnen (Adedy) oder der ArbeiterInnen Griechenlands (GSEE) – noch immer mit der korrupten sozialdemokratischen Pasok verbunden, die mit der ND eine Koalitionsregierung bildet und deren Elite jede gewerkschaftliche Bewegung blockiert.

Andere Gewerkschaften, wie etwa die der griechischen Dozenten und Professorinnen, streiken gegen die harten Sparmassnahmen der Regierung. So sind in Athen die beiden grossen Universitäten seit sieben Wochen geschlossen, weil die Gewerkschaften gegen die Streichung von 1600 Verwaltungsstellen protestieren, die die Regierung im September beschlossen hatte. Dennoch blieben die Proteste bisher auf einzelne Ereignisse beschränkt. Auch weil sie von der Regierung im Rahmen der «Theorie der zwei Extreme» immer wieder brutal niedergeschlagen wurden und jede Form sozialer Mobilisierung kriminalisiert wird. Dies zeigte sich etwa im März, als in Nordgriechenland eine ganze Region gegen eine geplante Goldmine mobilmachte (vgl. «Proteste gegen Goldmine»), oder bei der Räumung des ERT-Gebäudes vergangene Woche: Die ERT-MitarbeiterInnen hatten seit der Auflösung des Senders Anfang Juni ohne Unterbruch ein selbstverwaltetes Onlineprogramm aus dem besetzten Gebäude gesendet.

Proteste gegen Goldmine

Die griechische Regierung zeigt, dass sie bei der Umsetzung der Austeritätsmassnahmen auch vor extremer Gewalt nicht zurückschreckt: Als im März über 10 000 EinwohnerInnen aus der Region der nordgriechischen Stadt Skouries gegen eine geplante Goldmine des kanadischen Bergbaukonzerns Eldorado Gold Corporation protestierten, wurden sie mit einem massiven Polizeieinsatz niedergeschlagen.

Gegen die DemonstrantInnen, darunter viele Schulkinder und ältere Leute, wurde Tränengas eingesetzt. Bei weiteren Protesten wurden Hunderte verhaftet und teilweise erst nach Monaten wieder aus der Haft entlassen.

Der Goldkonzern hatte die Goldlagerstätte in Skouries 2011 gekauft und trotz grosser Bedenken wegen möglicher Umweltschäden von der Regierung im Schnellverfahren eine Abbaugenehmigung erhalten.