Dieter Hildebrandt (1927–2013): «Ich habe im Wesentlichen herumgestochert»
Er ist 86 Jahre alt geworden. Und Kabarettist Dieter Hildebrandt bot bis zum Schluss keinen Anlass, Freundlichkeit mit Altersmilde zu verwechseln.
Schon in den fünfziger und sechziger Jahren war der nun verstorbene Kabarettist Dieter Hildebrandt sehr populär. Die von ihm und Sportreporter Sammy Drechsel gegründete Münchner Lach- und Schiessgesellschaft erreichte unglaubliche Einschaltquoten im damals allerdings noch einspurigen Deutschen Fernsehen, ein immer mal wieder sehr witziges und für damalige Verhältnisse im Adenauerstaat hochpolitisches Kabarett. Die regelmässigen Übertragungen der neuen Programme boten dem zu jener Zeit schon arg gebeutelten, aber immerhin noch vorhandenen sozialdemokratischen Milieu ein kurzes Aufatmen. Georg Schramm, das ist der fast immer sehr wütende Kabarettist mit Armprothese und schwarzem Handschuh, erzählte einmal, wie sich seine Familie damals vor dem Fernseher versammelte. Und Salzstangen kauend ihr geschundenes Gemüt streicheln liess. «Wenns so Leute wie den Hildebrandt nicht gäbe, dann wäre alles noch viel schlimmer», habe sein Vater gesagt.
Scheinbar dahingestotterte Sätze
Das heute nachzuempfinden, ist nicht ganz leicht. Die Nummern der Lach- und Schiessgesellschaft, die in den Nachrufen zu sehen waren, scheinen relativ schlecht gealtert. Unangenehm ist vor allem die damalige Fernsehinszenierung: Das Publikum war von bekannten Gestalten der Bonner Republik durchsetzt, die sich immer dann – wie man wohl sagt – köstlich amüsierten, wenn ein Scherz auf ihre Kosten ging und die Regisseure, die das Programm natürlich vorab kannten, die Kamera auf sie richten liessen. Das hatte schon viel von Hofkabarett. Damals freilich störten wir uns nicht daran. So bieder waren wir.
Hildebrandts Monologe allerdings hatten schon immer etwas Besonderes. Die scheinbar dahingestotterten Sätze und ins Nichts laufenden Gedanken, das scheinbar hilflose Kreisen um ein Thema, schliesslich die überraschende, klar formulierte Lösung. Georg Schramm erzählte vor zwei Jahren als Laudator bei der Verleihung des Kabarettpreises Salzburger Stier an Hildebrandt, dass der Meister einmal einen gewaltigen Hänger auf der Bühne hatte, bis er endlich wieder das Stichwort für seinen Partner gefunden hatte. Danach habe er erklärt: «Ich habe im Wesentlichen herumgestochert.» Schramms Kommentar: «Das könnte einmal auf seinem Grabstein stehen.»
Das Wesentliche für ihn selbst hat Hildebrandt sehr unprätentiös so formuliert: Er wolle sich nicht damit begnügen, dass es nur einigen gut geht. Und: Er wolle nicht die Personen fertigmachen, die er aufs Korn nimmt, sondern das System erhellen, innerhalb dessen die Person gross geworden ist. In der Welt, in der wir nun mal leben, war das eine eindeutige Zielbeschreibung. Die NZZ warf ihm das ganz ohne die gebotene Zurückhaltung gegenüber einem Toten noch in ihrem Nachruf vor: Der «Hofkabarettist der Genossen» habe mit seiner Häme stets die bürgerlichen Politiker treffen wollen, dabei aber «veraltet» gewirkt und immer weniger Entrüstung hervorgerufen.
Veraltet kann wirken, wenn einer an sozialdemokratischen Werten festhält, die die Sozialdemokratische Partei längst aufgegeben hat. «Hofnarr der Genossen» wäre also der treffendere Vorwurf, den man ihm machen könnte. Das allerdings konnte sich die NZZ nicht gestatten bei ihrem einigermassen gebildeten Publikum. Dem hätte ja einfallen können, dass es die Aufgabe der Narren bei Hofe war, Unbequemes auszusprechen.
Absolute Narrenfreiheit genoss er deshalb auch nicht. Gleich mehrfach schalteten die liebedienerischen Figuren in den Fernsehanstalten seine Programme einfach ab. Etwa vor wichtigen Wahlen. Oder nach Tschernobyl. Damals klinkte sich der Bayerische Rundfunk mitten im Programm aus. Atomkritik unterhaltsam ins Wohnzimmer serviert, das sollte nicht auch noch sein, nachdem die aufgeschreckten Bürgerinnen und Bürger schon keinen Salat mehr essen wollten.
Seine Programme über den ganz und gar unsinnigen Rhein-Main-Donau-Kanal oder zu Tschernobyl zeigten schon in den achtziger Jahren, in welche Richtung er das politische Kabarett entwickeln wollte.
Mit Ernst und Haltung
Er selbst sprach später einmal von «Inhalt mit Unterhaltung». Faktisch war das eine anständigere Form des Journalismus. Genauer: eines Journalismus, der seine Arbeit ernst nahm und eine Haltung zu seinem Gegenstand zeigte. Pointen entstanden bei ihm (und mehr noch bei seinem Schüler Georg Schramm) aus überraschenden, meist bestürzenden Informationen und Informationsverbindungen. Man lachte und fühlte sich zugleich ertappt: weil man da auf etwas gestossen wurde, an das man selbst hätte denken können und das überhaupt nicht zum Lachen war. Kabarett über Merkel zu machen, sagte er einmal im «Freitag», das sei ein wenig wie «Tatort». Man suche andauernd nach Beweisen. Hildebrandts letztes grosses Projekt, der zu Anfang des Jahres im Internet gestartete Störsender.tv, formulierte denn auch gleich programmatisch die Verbindung von «Kabarett, Journalismus und politischem und sozialem Engagement zu einer Kampagnen-Plattform».
So einem wollten die Regierenden immer mal wieder das Bundesverdienstkreuz anhängen. Er lehnte das ab. Dafür lobte ihn sogar die erzbürgerliche «Frankfurter Allgemeine». Weil es «die nachträgliche Bescheinigung seiner Wirkungslosigkeit» gewesen wäre.
Fussballbegeistert: Leidenschaftlich und links aussen
«Wenn ich überhaupt mal fernsehe, dann meistens Fussball», sagte Dieter Hildebrandt in einem der überraschend vielen Interviews, die sich fast ausschliesslich um Fussball drehten. Lange hat er selbst vor den Ball getreten, beim FC Schmiere, der Prominentenmannschaft rund um die Münchner Lach- und Schiessgesellschaft. Nach eigenem Bekunden gab er dort einen eher bescheidenen Linksaussen, ganz offenbar aber einen leidenschaftlichen: Sicher wird ihm immer bewusst gewesen sein, dass Klappern zum Handwerk gehört und er seinen Prominentenstatus pflegen muss. Aber wenn es nur das gewesen wäre, hätte er sich besser zusammen mit dem bajuwarischen Geld- und Politikadel auf der Tribüne des widerlich erfolgreichen FC Bayern München gezeigt. Stattdessen war er bedingungsloser Anhänger des TSV 1860 München, der seit Jahr und Tag in der Zweiten Liga rumgurkt. Und immer noch von 1966, seinem Meisterjahr, träumt.
Hildebrandt «liebt» Andrés Iniesta vom FC Barcelona und erwähnt nicht dessen ungleich glamourösere Klubkameraden Lionel Messi und Xavi. In der Bundesliga, sagt er, «gibt es zu wenig Borussia Dortmunds». Bei Bayern München dagegen «habe ich immer das Gefühl, die kalkulieren, alles ist vorher besprochen».
Zumindest ein Gutes hat es also, dass er das letzte Wochenende mit der unverdienten 0:3-Schlappe Dortmunds gegen die Bayern nicht mehr erlebt hat.