Firmengeheimnisse in der Verschlüsselungsbranche: Das Kapital aus den Antillen

Nr. 49 –

Die Dälliker Firma Omnisec liefert hoch geheime Verschlüsselungsgeräte an Regierungen und Militärs. Um vertrauenswürdig zu sein, betont sie ihre Neutralität und ihre rein schweizerische Struktur. Recherchen der WOZ belegen allerdings seltsame Geldströme aus dem Ausland und verschiedene Ungereimtheiten bei früheren Besitzern.

«Einzigartige, kompromisslose Sicherheit» aus der Schweiz: Firmensitz der Omisec im zürcherischen Dällikon.

Nein, der US-Geheimdienst NSA habe noch nie versucht, Einfluss zu nehmen. Wer mit früheren und jetzigen Managern der Schweizer Verschlüsselungsfirma Omnisec spricht, hört immer Ähnliches. Der langjährige Omnisec-Verwaltungsrat Hans-Peter Kneubühler sagt: «Ich wurde nie von Geheimdienstleuten angesprochen. Wir blieben total unbehelligt.» Er denkt gar, dass Omnisec «unter dem Radar» der Geheimdienste agiert, sprich zu unbedeutend ist.

Tatsächlich ist Omnisec nur eine kleine Schweizer Firma mit rund sechzig Beschäftigten im zürcherischen Dällikon. Sie stellt allerdings hoch geheime Verschlüsselungsgeräte her, die verhindern sollen, dass Telefon- und Handygespräche, Faxmeldungen und E-Mails abgehört und mitgelesen werden können. Nach eigenen Angaben beliefert sie ausschliesslich Regierungsstellen und Militärs mit diesen Geräten. Die Firma ist eine Hauptlieferantin der eidgenössischen Behörden und der Schweizer Armee. Zu ihren KundInnen zählten aber laut Aussagen früherer Manager auch etwa Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi, die Regierungen der erdölreichen Länder Venezuela und Nigeria sowie diverser Staaten im Arabischen Golf. Und da sollen Geheimdienste wie die NSA kein Interesse an Omnisec haben?

Die Betonung der rein schweizerischen Wurzeln ist zentraler Bestandteil von Omnisecs Marketing. Damit will sich die Firma von der ausländischen Konkurrenz abheben, Vertrauenswürdigkeit markieren. Visualisiert wird das auf der Firmenwebsite mit Bildern vom Matterhorn und anderen Schweizer Bergen. Nur Schweizer MitarbeiterInnen, nur Schweizer Verwaltungsräte, ein einzelner Schweizer Besitzer, das suggeriert Neutralität und Unabhängigkeit.

Bei näherem Hinschauen zeigt sich allerdings, dass zumindest in früheren Jahren längst nicht alles so eindeutig war: Die WOZ stiess bei ihren Recherchen auf Unterlagen, die belegen, dass bis mindestens zum Jahr 2000 der grösste Teil des Aktienkapitals von Omnisec, zwanzig Millionen Schweizer Franken, von der Briefkastenfirma Torcross N. V. in Curaçao (den damaligen Niederländischen Antillen) stammte. Und von dieser Firma führt die Spur in eine renommierte New Yorker Anwaltskanzlei.

Gründung auf Druck aus Bern

Doch der Reihe nach: Omnisec ging 1987 aus einer Unternehmenssparte der Firma Gretag hervor. Gretag sei damals Hauptlieferantin der Schweizer Behörden für Verschlüsselungsgeräte gewesen, erklärt ein ehemaliger Manager der beiden Firmen. Dem Schweizer Aussenministerium mit seinen Botschaften wurden etwa sogenannte James-Bond-Koffer verkauft, mit denen Diplomaten verschlüsselte Telexmeldungen von irgendwo im Ausland ins Bundeshaus absetzen konnten. Die Eidgenossenschaft hatte, dies sagen mehrere frühere Manager der WOZ, lange Zeit technologische Entwicklungen der Gretag auf dem Gebiet der Verschlüsselungstechnik vollumfänglich finanziert. Zwar genehmigte man der Firma mit der Zeit auch die Belieferung anderer Staaten, doch ganz aus den Fingern geben wollte man diesen strategisch wichtigen Betrieb offenbar nicht. Als Gretag-Besitzerin Ciba-Geigy (heute Novartis) die Gretag abstossen wollte, sei von Schweizer Behörden das Signal gekommen, dass die Sparte Kryptologie (Verschlüsselung) zuerst in eine separate, rein schweizerische Firma ausgegliedert werden müsse, sagt der spätere Omnisec-Geschäftsleiter Jürg Lindecker.

Als ersten Omnisec-Besitzer nennen die meisten Befragten den Genfer Immobilienverwalter Urs Ingold. Tatsächlich hatte dieser, wie ein Gang ans Handelsregister Genf belegt, am 17. März 1987 die Firma Argonium in Genf gegründet und das Aktienkapital dazu bereitgestellt. Die Firma Argonium stellte einen Monat später das nötige Aktienkapital für die Gründung von Omnisec bereit. Ingold war innerhalb eines Monats Inhaber von zwei Firmen geworden. Doch für wie lange? Das Aktienrecht in der Schweiz garantiert BesitzerInnen von Aktiengesellschaften Anonymität. Ingold könnte Argonium (und damit auch Omnisec) jederzeit weiterverkauft haben.

Laut Jürg Lindecker bekleidete Ingold in der Schweizer Armee einen hohen Dienstgrad und war zeitweise «Platzkommandant der Stadt Genf». Ausserdem soll er im militärischen Nachrichtendienst Una aktiv gewesen sein. Ingold sei bis zu seinem Tod Ende der neunziger Jahre Besitzer von Omnisec gewesen. War Omnisec also womöglich eine Firma des Schweizer Geheimdiensts?

Gegen diese These sprechen die Finanzströme aus Curaçao zu Omnisec, die die Firma mit fünfzehn Millionen Franken frischem Kapital versorgt hatten. Stammte das Geld vielleicht von Beat Bettschart, der je nach Quelle bereits kurz nach der Gründung von Omnisec oder aber auch erst nach Ingolds Tod Firmeninhaber wurde? Und wer war dieser Beat Bettschart?

Einer, der Bettschart kannte, ist Hans-Peter Kneubühler, der vor seiner Tätigkeit als Anwalt in Zürich und bis kurz vor der Gründung von Omnisec vierzehn Jahre Rechtskonsulent des US-Rüstungskonzerns Litton Industries (heute Northrop Grumman) war. Anders als mehrere andere von der WOZ Befragte behauptet Kneubühler, Omnisec habe seit der Gründung und bis zum Tod von Beat Bettschart diesem gehört. «Er war ein währschafter Schweizer», sagt Kneubühler. Demnach hätte Ingold seine Firma also schon sehr bald weiterverkauft.

Allerdings bietet auch diese Darstellung Ungereimtheiten, denn ein Beat Bettschart taucht offiziell erst am 16. Juni 1999 in den Akten der Firma auf, als er zum Verwaltungsratspräsidenten gewählt wird. Hat er zuvor aus dem Hintergrund agiert? Auch überrascht, dass er in der Firma Argonium überhaupt nie eine Position bekleidet. Als Wohnort von Bettschart wird Freienbach im Kanton Schwyz angegeben. Beat Bettschart starb laut einem Omnisec-Firmendokument, das sich im Handelsregister Zürich findet, am 20. April 2002. Weitere Recherchen über ihn erweisen sich anfänglich als schwierig, es finden sich in der Schweiz kaum zusätzliche Informationen. Schliesslich wird deutlich, weshalb: Beat Bettschart wanderte bereits in den fünfziger Jahren in die USA aus und änderte seinen Vornamen in Bert. In den USA heiratete er und wurde Vater von sechs Kindern. Er arbeitete in den siebziger und achtziger Jahren am Hauptsitz des Grosskonzerns Rockwell in führender Position. Rockwell war in der fraglichen Zeit ein Mischkonzern mit einem starken Standbein im Rüstungs- und Raumfahrtbereich, das heute zur Firma Boeing gehört. Begraben wurde Bettschart in Pittsburgh im Bundesstaat Pennsylvania.

Jürg Lindecker sagt, Beat Bettschart sei ab Ende der neunziger Jahre durchaus präsent gewesen und habe am Firmensitz auch ein eigenes Büro gehabt. Das bestätigt auch Lindeckers Nachfolger Marco Guerra. Beat alias Bert Bettscharts Witwe zeigt sich am Telefon der WOZ gegenüber völlig überrascht vom angeblichen Firmenbesitz ihres verstorbenen Ehemanns. Sie hat weder von einer Firma Omnisec noch von einer Firma Argonium je etwas gehört.

Erinnerungslücken eines Anwalts

Doch zurück zum Handelsregister in Genf. Zwei Aktienkapitalerhöhungen von Argonium wurden von Torcross finanziert. Die erste am 2. November 1995, als das Kapital von fünf auf zehn Millionen Franken verdoppelt wurde. Urs Ingold zeichnet dabei die Aktien «treuhänderisch» für Torcross, die als die eigentliche Besitzerin der Firma deklariert wird. Am 7. Dezember 2000 erfolgt die nächste Kapitalerhöhung, diesmal um 15 Millionen auf 25 Millionen Franken. Das neue Aktienkapital wird diesmal nicht per Bankguthaben präsentiert, sondern die Firmenbesitzerin Torcross deklariert laufende Rechnungen und Darlehen in der Höhe von 16 Millionen Franken, die gegenüber Argonium bestünden. Auf eine Million wird verzichtet. Bei der notariellen Beglaubigung des Handels ist auch der Vertreter von Torcross anwesend, Anwalt Donald G. Glascoff jr. aus New York.

Donald Glascoff hatte zum Zeitpunkt dieser Finanztransaktionen führende Funktionen in der angesehenen Anwaltskanzlei Cadwalader, Wickersham & Taft inne. Nach der Jahrtausendwende wurde er CEO der New Yorker Park Avenue Bank, bis er vor einigen Jahren schliesslich neben erneuter anwaltschaftlicher Tätigkeit ins Filmgeschäft einstieg und unter anderem den regierungskritischen Film «Taxi to the Dark Side» mit produzierte. Von der WOZ auf seine Genfreise und die Finanzströme zu Argonium beziehungsweise Omnisec angesprochen, mochte er sich an nichts erinnern. Er habe als Anwalt Hunderte Personen und «Tausende solcher Firmen» vertreten.

Die Kanzlei Cadwalader, Wickersham & Taft gilt als älteste Anwaltsfirma der Wall Street und arbeitet nach eigenen Angaben für multinationale Konzerne und diverse Regierungsstellen. Die Kanzlei verfügt zumindest heute über exzellente Verbindungen zu US-amerikanischen Ermittlungsbehörden und Geheimdiensten. So arbeitet etwa Kenneth Wainstein in führender Position im Hauptstadtbüro der Kanzlei. Wainstein war zuvor jahrelang für das FBI tätig, wurde 2006 Beauftragter für Nationale Sicherheit im Justizdepartement und 2008 zum Berater des US-Präsidenten George W. Bush für Innere Sicherheit und Terrorbekämpfung.

Neuer Besitzer, neue Produkte

Hans-Jörg Bärtschi gilt seit rund zehn Jahren als Besitzer von Omnisec und Argonium. Er habe weder Bettschart gekannt noch je etwas von einer Firma Torcross gehört, sagt er zur WOZ. Omnisec habe er «zu einem vernünftigen Preis via Anwälte» erwerben können, will aber keine genauen Zahlen nennen.

Der Firma sei es bei seiner Übernahme nicht gut gegangen. Nachdem er das Ruder übernommen hatte, sei ein grosser technologischer Schritt gemacht worden, und man habe die Produkte erneuert. Heute schreibe Omnisec Gewinne. Und seit immer neue Meldungen über die Abhörpraktiken der NSA und anderer Geheimdienste publik würden, häuften sich die Anfragen potenzieller neuer KundInnen.

In den neunziger Jahren hatte Bärtschi als Finanzchef der 2001 in Konkurs gegangenen ISL Marketing gearbeitet, einer Firma, die hohe Schmiergeldzahlungen an Funktionäre des Weltfussballverbands Fifa tätigte. Verschiedene ISL-Manager waren bis 2010 deswegen in Gerichtsverfahren verwickelt. Neben seiner Tätigkeit bei Omnisec sitzt Bärtschi heute unter anderem auch im Verwaltungsrat zweier Firmen, die sich mit Sportmarketing befassen, und einer weiteren, die Verschlüsselungslösungen für Privatfirmen anbietet. Ausserdem betreibt er eine Beratungsfirma mit dem Namen B-Capital und gehört seit fünf Jahren der eidgenössischen Rüstungskommission an. Er sei eben gut vernetzt, erklärt Bärtschi gegenüber der WOZ seine Wahl durch den Bundesrat.

Die Frage, wer Besitzer einer Firma ist, die Verschlüsselungsgeräte der höchsten Sicherheitsstufe für Regierungen und Militärs produziert, ist durchaus von Bedeutung. Frühere Manager von Omnisec sagen, die Kunden wollten nicht nur alle technischen Details sehr genau wissen, sondern gerade auch solche Dinge. Denn absolute Sicherheit gibt es auch bei Verschlüsselungsgeräten nie. Es braucht ein Vertrauensverhältnis zwischen KundInnen und Produzenten. Dies bestätigt auch Ueli Maurer, Professor für Kryptologie an der ETH Zürich: «Ein Gerät wie ein Computer oder ein Handy kann nur sicher sein, wenn die Hardware, die Software und die verwendeten Verschlüsselungsalgorithmen sicher sind. Eine Manipulation einer dieser Komponenten könnte es Geheimdiensten erlauben, die Kommunikation abzuhören, weshalb ein Hersteller solcher Geräte sicherstellen muss, dass es keine solche Manipulation gibt. Das Vertrauen in den Hersteller ist deshalb zentral.» Maurer arbeitet auch als Berater von Omnisec, betont jedoch, dass er seine Aussage rein als Wissenschaftler mache.

Handys für den Bundesrat

Zu den Omnisec-Produkten gehören auch abhörsichere Handys, mit denen laut einem Bericht der «Weltwoche» der Schweizer Bundesrat künftig sicher telefonieren will. Der derzeitige Omnisec-Geschäftsleiter Clemens Kammer will eine Handylieferung ins Bundeshaus nicht kommentieren, erläutert aber freimütig den Ansatz des entsprechenden Produkts: «Als Grundlage dient ein handelsübliches Samsung-Modell, das durch unsere Ingenieure und Kryptologen umgebaut wird.» Sämtliche Teile, die Hintertürchen für Geheimdienste bieten könnten, würden entfernt und ein eigenes Betriebssystem installiert. Kammer spricht von einer «einzigartigen, kompromisslosen Sicherheit». Gespräche und Sprachmitteilungen würden so verschlüsselt, dass kein Computer dieser Welt diese innert nützlicher Frist wieder entschlüsseln könne. Total sicher eben.

Die Crypto AG: Omnisecs mysteriöse Konkurrentin

Die Crypto AG im zugerischen Steinhausen ist die grosse Konkurrentin der Omnisec. Auch sie liefert Verschlüsselungsgeräte für Regierungen und Militärs in der ganzen Welt. Die Firma ist so verschwiegen wie Omnisec; sie informiert weder über Umsatzzahlen noch Kundschaft. Auch über die Besitzverhältnisse ist nur wenig bekannt. Im März 1992 geriet die Firma in die Schlagzeilen, nachdem ihr Verkaufsingenieur Hans Bühler im Iran verhaftet worden war. Er hatte sich mit Vertretern der iranischen Armee getroffen, die zur Kundschaft der Crypto AG gehörte. Bühler wurde Spionage vorgeworfen; er war neun Monate inhaftiert. Die Hintergründe der Inhaftierung, die zu einer diplomatischen Krise zwischen dem Iran und der Schweiz führten, sind bis heute nicht restlos geklärt. Immer wieder wurde die Vermutung geäussert, die Crypto AG habe ihre Geräte für den Iran absichtlich so präpariert, dass sie von westlichen Geheimdiensten zu knacken sind. Bühler sei deswegen verhaftet worden.

Allerdings gibt es für diese Version keine Beweise. Die Crypto AG entliess Bühler nach seiner Rückkehr in die Schweiz. Nach einem Rechtsstreit einigte er sich Ende 1993 aussergerichtlich mit seiner früheren Firma und schweigt seither. Das deutsche Magazin «Spiegel» zitierte 1996 einen ehemaligen Crypto-Mitarbeiter, der angab, in früheren Jahren sei die Verschlüsselungstechnik der Firma mit dem deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) abgestimmt worden. Auch Mitarbeiter des US-Geheimdiensts NSA seien bei der Crypto AG ein- und ausgegangen. Die Crypto AG wies diese Aussagen als «reine Erfindung» zurück.